Wirklich aufregend ist das Leben des kleinen Sebastian (Finn Freyer) eher nicht. Zusammen mit seiner Mutter (Ambar de la Horra), die wegen der Arbeit nie wirklich Zeit für ihn hat, lebt er in Hannover. Freunde hat er kaum, dafür aber ein paar alte Damen, deren Geschichten er lauscht. Eigene Geschichten hat er nicht zu erzählen, noch nicht. Erst als der inzwischen jugendliche Sebastian (Joseph Peschko) sich in seine Mitschülerin Elisabeth (Frederieke Morgenroth) verliebt, muss er sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wie es in Zukunft mit ihm weitergehen soll. Einen Traum hat er: Er möchte Pilot werden. Doch das ist natürlich alles andere als einfach …
Die Erinnerungen eines Lebens
Wir alle dürften das Phänomen kennen, wenn wir Plätze von früher aufsuchen, Orte, die uns als Kind oder Heranwachsender in irgendeiner Form wichtig waren. Plötzlich prasseln Erinnerungen auf uns ein, wir sehen unser altes Ich, fühlen wieder, wie das war, damals herumzulaufen, die Welt zu sehen und von den Möglichkeiten zu träumen. So ging es auch Ceylan Ataman-Checa, als er seine Geburtsstadt Hannover besuchte und dabei daran denken musste, wie er damals war, aber auch daran, wie er heute ist. Und so entschloss er sich, diese Erfahrung in Sebastian springt über Geländer einzubauen, seinen Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Das Drama um drei Abschnitte im Leben von Sebastian ist dann auch ein typischer Abschlussfilm. Das Schauspielensemble ist größtenteils unerfahren und hier das erste Mal in einem Spielfilm zu sehen, die Szenen sind bewusst alltäglich und unspektakulär, die Kameraführung erinnert eher an einen Dokumentarfilm als ein kommerzielles, fiktives Werk. Das ist alles rau, mitunter etwas holprig – soll es aber auch sein. Sebastian springt über Geländer ist ein erster Gehversuch in der Welt des Films, über einen Menschen, der erste Gehversuche in der Welt da draußen hinter sich bringt. Wer ist Sebastian? Was will er mit seinem Leben anfangen? Das weiß er selbst noch nicht genau.
Unspektakuläre Momentaufnahmen
Der Film, der auf dem International Film Festival Rotterdam 2020 Premiere hatte, ist gewissermaßen ein Coming-of-Age-Werk, das wie so viele andere einen Menschen auf dem Weg ins Erwachsenenalter begleitet. Anders als diese gibt es hier jedoch keine fortlaufende Entwicklung. Stattdessen befasst sich Ataman-Checa in den 70 Minuten mit drei Stationen auf dem Lebensweg, schafft auf diese Weise eine Art Langzeitporträt, aber eben auch das Bild eines Suchenden. Nach und nach kommen markantere Eigenschaften hinzu, ein Selbstbewusstsein formt sich, eine Idee davon, wohin die Reise gehen könnte. Sie ist nicht abgeschlossen am Ende von Sebastian springt über Geländer, wird es vermutlich nie sein. Denn da gibt es immer neue Orte, die man erkunden kann, neue Geschichten, die es sich anzuhören lohnt.
Das gilt auch für Sebastian springt über Geländer als Film. Neue, überraschende Antworten gibt es hier natürlich nicht zu finden, Ataman-Checa zeigt ein Leben, das so banal ist wie das der meisten Leute. Er baut keine künstlichen Dramen ein, keine geschliffenen Dialoge oder schillernden Anekdoten. Sieht man einmal von den langen Haaren des jungen Sebastians ab, wohl das Ergebnis einer nicht immer präsenten Mutter, gibt es wenig, das einem selbst in Erinnerung bleiben wird. Gleichzeitig liegt darin auch der Charme des Films, der so wirkt, als habe jemand seine Familienvideos zusammengeschnitten, und an dessen Ende man Sebastian die Daumen drückt, dass er seinen Weg machen wird. Denn obwohl das mit dem Piloten wohl eher nichts wird, man fühlt sich ihm verbunden, so als habe man ihn sein ganzes Leben gekannt.
OT: „Sebastian springt über Geländer“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Ceylan Ataman-Checa
Drehbuch: Ceylan Ataman-Checa
Kamera: Albrecht von Grünhagen
Besetzung: Joseph Peschko, Finn Freyer, Ambar de la Horra, Frederieke Morgenroth
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