Im Leben von Ben (John-Paul Howard) sah es schon mal besser aus. Seine Eltern sind gerade dabei sich zu trennen, weshalb der Teenager den Sommer mit seinem Vater Liam (Jamison Jones) in einer kleinen Küstenstadt verbringen soll. Richtig genießen kann er das Wasser auch nicht, da er sich kürzlich erst den Arm gebrochen hat. Und dann muss er sich auch noch von irgendwelchen Idioten vor Ort verspotten lassen. Einziger Lichtblick ist Mallory (Piper Curda), die mit ihm und seinem Vater am Hafen arbeitet und ihm schon ganz gut gefällt. Weniger gefällt ihm hingegen eine andere Frau: Seine Nachbarin beginnt sich immer seltsamer und unheimlicher zu verhalten, bis Ben irgendwann davon überzeugt ist, dass sie in Wahrheit eine Hexe ist und es auf die Kinder in der Gegend abgesehen hat …
Zuletzt waren Hexen in Filmen und Serien wieder richtig angesagt, jedoch nicht ganz so, wie man es von ihnen gewohnt ist. Statt der klassischen Gegenspielerinnen, die mithilfe ihrer Magie dunkle Absichten verfolgen, versuchten sich auffallend viele an einer zeitgemäßeren, feministischeren Variante. Gretel & Hänsel, Luna Nera, The Cleansing – Die Säuberung und andere Produktionen nutzten das Motiv der Hexe als Vorlage für weibliche Selbstbestimmung, teils auch für das sexuelle Erwachen. Die Frauen in diesen Titeln sind keine Feinde der Menschen, sondern müssen sich im Gegenteil gegen Übergriffe und Bevormundungen patriarchaler Gesellschaften wehren, die in jeder starken, selbstverantwortlichen Frau erst einmal eine Bedrohung sehen.
Horror der alten Schule
Mit Feminismus haben die Brüder Brett und Drew T. Pierce, welche hier Regie führten und das Drehbuch schrieben, eher weniger am Hut. Zumindest in The Witch Next Door gewähren sie den Frauen lediglich die klassischen Rollen, wie es sie gerade im Genrekino immer gab: Eine Frau ist entweder eine Hexe oder eine Damsel in Distress, ein schmückendes Beiwerk in der Welt der Männer. Daraus sollte man jedoch keine wirkliche Aussage ableiten wollen. Das Duo orientiert sich vielmehr ganz allgemein an dem, was im Horrorbereich etabliert war und ist, verfolgt nicht die Ambitionen, diesem in irgendeiner Form neue Impulse zu verleihen. Der Film mag im hier und jetzt spielen, hätte genauso gut aber auch in den 80ern veröffentlicht werden können.
Nun muss natürlich nicht jeder Film neue Revolutionen anzetteln oder sich zwangsläufig einem Zeitgeist unterwerfen. Manchmal darf man auch einfach nur Spaß haben. Bei The Witch Next Door stehen die Chancen gut, dass dies der Fall ist, zumindest wenn man für diese Art Horror etwas übrig hat. Da den Pierce-Brüdern offensichtlich nicht das größte Budget zur Verfügung stand, mussten sie sich anderweitig behelfen. Große Effektschlachten oder Gore-Orgien sollte man hier dann gar nicht erst erwarten. Furcht und Angst soll in erster Linie durch das verbreitet werden, was man eben nicht sieht. Deswegen wird viel mit Schatten und Dunkelheit gearbeitet, die nur ahnen lassen, was vor sich geht. Den Rest erledigt das Sound Design.
Die Angst vor der Dunkelheit
Das ist streckenweise recht effektiv. Mit einer schön unheimlichen Szene geht es los, die zwar inhaltlich für den weiteren Verlauf irrelevant ist, aber schon einmal gut Stimmung erzeugt. Auch zum Ende hin gibt es einige spannende Momente. Der Horrorfilm, der beim HARD:LINE Festival 2019 Deutschlandpremiere hatte, spielt mit unserer Angst vor dem, was im Verborgenen geschieht. Die Hexe selbst ist ebenfalls überzeugend in Szene gesetzt. Die diversen Tricks und Einfälle werden zwar ein bisschen oft wiederholt, funktionieren jedoch. Manchmal reicht es, wenn sie irgendwo rumsteht, um in Verbindung mit den heidnisch-archaischen Symbolen für wohliges Grauen zu sorgen.
Sicher wäre da noch mehr drin gewesen. Die Figuren entsprechen nur den üblichen Stereotypen, bei der Geschichte wird ebenfalls Altbekanntes abgeklappert. Wie so oft in dem Bereich dreht sich hier alles um einen Protagonisten, der als einziger die Wahrheit erkennt, dem aber keiner glauben will. Hinzu kommt, dass manches nicht wirklich Sinn ergibt, selbst innerhalb des Genrekontexts. Vor allem aber bei der emotionalen und psychologischen Komponente hätten die Pierce-Brüder mehr machen können, das wird zu schnell für den nächsten Schrecken beiseitegeschoben. Wer das jedoch alles gar nicht braucht, sondern einfach nur stimmungsvollen Horror der alten Schule sehen will, der findet hier einen kompetenten Vertreter, der einen tatsächlich für eine Weile das hier und jetzt vergessen lässt und zum Ende hin auch noch nette Wendungen bereithält.
OT: „The Wretched“
Land: USA
Jahr: 2019
Regie: Brett Pierce, Drew T. Pierce
Drehbuch: Brett Pierce, Drew T. Pierce
Musik: Devin Burrows
Kamera: Conor Murphy
Besetzung: John-Paul Howard, Jamison Jones, Piper Curda, Azie Tesfai, Kevin Bigley, Blane Crockarell
Fantasia Film Festival 2019
HARD:LINE Festival 2019
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