2019 wurde anlässlich des Jubiläums des Mauerfalls wieder viel über die DDR gesprochen, über die damalige Lebenssituation und die Rolle des Einzelnen in einem umfassenden System. Dabei spielte es keine Rolle, ob es wie in Zwischen uns die Mauer um das Thema Liebe ging, in Und der Zukunft zugewandt die Aufarbeitung erfahrenen Leids verschwiegen werden musste oder im Animationsfilm Fritzi – Eine Wendewundergeschichte ein Mädchen ihre Freundin mit deren Hund wiedervereinen wollte: Sie alle machten deutlich, dass es das Private im sozialistischen Staat nicht gab. Selbst wer nicht aktiv unterdrückt wurde, lebte in einer Atmosphäre der Angst, befeuert durch die ständigen Überwachungen.
Persönliche Erinnerungen an eine schwierige Zeit
Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR hätte gut in diese kurze Welle an Filmen gepasst, denn auch hier wurde freie Selbstentfaltung verhindert, zumindest aber schwer eingeschränkt. Diesmal geht es, der Titel verrät es bereits, um homosexuelle Frauen. Wie erlebten sie die damalige Zeit? Wie ging der Staat mit dem Thema um? Barbara Wallbraun sucht dafür weniger das gesamtgesellschaftliche Bild, sondern konzentriert sich auf die persönlichen Ereignisse. Anstatt Historiker zu befragen, lässt sie lieber sechs Frauen zu Wort kommen und von ihren eigenen Erfahrungen erzählen, die sie vor der Wende gesammelt haben.
Die sind erwartungsgemäß weniger schön, teilweise sogar schockierend. Da ist von Selbstmordversuchen die Rede, von Eltern, die das eigene Kind in die psychiatrische Anstalt stecken wollten. Aber auch die Behörden sorgten dafür, dass das Erwachsenwerden von Lesben in der DDR zu einem traumatischen Abschnitt werden konnte. Wenn die Frauen von ihrer Vergangenheit erzählen, dann spielt es keine Rolle, dass diese mehrere Jahrzehnte zurückliegt. Die Erinnerungen haben sich tief in sie hineingefressen, die Gefühle der inzwischen teils betagten Damen spiegeln sich noch immer auf ihren Gesichtern wieder, wenn sie an früher zurückdenken.
Ohne äußere Kontexte
Was bei Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR ein wenig fehlt, ist die Einordnung in einen zeitlichen Kontext. Der Verzicht auf Experten führt einerseits zwar dazu, dass der Dokumentarfilm sehr persönlich ist, das Thema wird durch die Schilderungen greif- und spürbar. Der konzentrierte Blick bedeutet aber auch, dass Vergleiche fehlen, weil ihn die Frauen gar nicht selbst ziehen können. Was bedeutete Homosexualität in den 80ern in der BRD? Wie sah es mit dem Rest von Europa aus? Wenn der Film von Diskriminierungen und Unterdrückung erzählt, dann wird nie ganz klar, wie viel der Normen zeitlich bedingt, wie viele gesellschaftlich, wie viele politisch. Und auch die Situation der Gegenwart wird nur am Rand erwähnt, unter anderem bei der Frage, ob Lesben von heute von denen damals lernen können, den Kämpfen, die damals noch ausgetragen werden mussten.
Während der allgemeine Informationsgehalt also eher etwas gering ist, haben es die Geschichten dafür in sich. Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR ist jedoch mehr als nur eine Ansammlung von Schreckgespenstern und Albträume. Der Film ist auch sehenswert als das Dokument der Selbstfindung. Eine Frau erzählt beispielsweise, dass ihr erst während der zweiten Ehe – mit einem Mann – bewusst wurde, dass sie Gefühle für Frauen hat. Das war jedoch nicht, wie man vielleicht meinen könnte, das Ergebnis von Leugnung. Vielmehr fehlte seinerzeit das Bewusstsein dafür, dass es überhaupt eine Liebe zwischen Frauen gibt. Homosexualität, das war Männersache, erst eine pornografische Sammlung sorgte für Aufklärung, wie eine der Gesprächspartnerinnen erzählt. Der Film ist voll solcher Anekdoten, die mal witzig, dann wieder traurig sind, erschreckend sein können und doch auch wieder Mut machen, dass am Ende jeder seine Liebe finden darf – selbst wenn er oder sie dabei scheitern sollte.
OT: „Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Barbara Wallbraun
Drehbuch: Barbara Wallbraun
Musik: Martin Kohlstedt
Kamera: Anne Misselwitz, Julia Hönemann
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