Der Schock ist groß bei Atiye (Beren Saat). Eigentlich dachte die Malerin ja, ihr Leben würde jetzt endlich wieder normal werden nach den seltsamen Erfahrungen der letzten Zeit. Doch stattdessen wird es tatsächlich noch seltsamer: Die Welt ist irgendwie ganz anders geworden, die Leute sind anders geworden, niemand weiß mehr, wer sie ist. Außerdem scheint die Welt kurz vorm Aussterben zu stehen, denn eine mysteriöse Krankheit hat zuletzt die schwangeren Frauen befallen. Wenn nicht bald etwas geschieht, dann wird es in Zukunft keine Menschen mehr geben. Die Antwort auf ihre Fragen findet Atiye jedoch nicht hier, sondern in der Vergangenheit …
Auf der Suche nach Antworten
Es geht doch nichts über ein schönes Geheimnis, um zumindest für eine Weile den drögen Alltag zu vergessen. Und so erfreuen sich Mystery-Filme und Serien durchaus einer größeren Beliebtheit, sofern sie die Balance hinbekommen aus Rätseln und Auflösung, es schaffen, das Publikum neugierig zu machen, diese Neugierde am Ende zu belohnen. Aber es geht auch anders, wie letztes Jahr Atiye – Die Gabe bewies. Die türkische Serie begann als eine Art Abenteuerserie, deren Anfang in einer mysteriösen Archäologie-Ausgrabung bestand. Doch diese Rätsel und das Thema der Prophezeiung machte immer mehr dem persönlichen Drama Platz, bis das eigentlich gar nichts mehr mit Genre zu tun hatte. Populär war die Serie aber auch so, womit man im Vorfeld wohl auch rechnete. Und so gibt es bereits neun Monate nach der ersten Staffel Nachschub.
Das ist nett, zumal die erste Staffel von Atiye – Die Gabe – wie fast jede Netflix-Serie – mit einem fiesen Cliffhanger endete, der schon andeutete, dass die Realität auf einmal eine andere ist. Was sich genau alles verändert hat, wird im Laufe der zweiten Staffel deutlich. In mancher Hinsicht ist die Welt auf den Kopf gestellt, in anderer sind es eher subtile Abweichungen. Vereinzelt trifft Atiye auch auf etwas – oder jemand –, das gleich geblieben ist. Vergleiche zu anderen Mystery-Produktionen wie Dark drängen sich da auf, die ebenfalls mit mehreren verschiedenen Realitäten und divergierenden Zeitabläufen spielen. Die am Ende auch die Frage stellen: Gibt es diese eine Welt und Realität überhaupt?
Die Menschen im Rätsel
Anders als der genannte Netflix-Kollege liegt der Fokus hier aber nach wie vor auf den Figuren. Atiye – Die Gabe ist weniger distanziert, interessiert sich mehr für die Menschen und ihre jeweiligen Beziehungen, befasst sich mit den individuellen Nöten und Sorgen und lässt die Welt schon mal da draußen sein. Vor allem zum Ende hin strapaziert das erneut die Geduld, wenn mit großem Pathos und einer aufdringlichen Musik das Drama ins Publikum geprügelt werden soll. Die türkische Produktion kennt da wiederholt keine Zurückhaltung, opfert die Handlung und Entwicklung der Geschichte lieber einer sehr bemühten Emotionalität, die eine unangenehme Nähe zur Seifenoper sucht.
Insgesamt ist die Adaption eines Werks von Şengül Boybaş beim zweiten Anlauf dabei schon etwas stimmiger. Zumindest scheint einiges hier tatsächlich einem Sinn und Zweck zu folgen, anstatt einfach nur bedeutungsschwangere, esoterisch angehauchte Nicht-Sätze durch die Gegend wabern zu lassen. Wer auf der Suche nach einer Mystery-Geschichte kann es hiermit also versuchen, sofern man sich nicht daran stört, dass Atiye – Die Gabe zuweilen umständlich erzählt ist. Fans der ersten Staffel dürfen eh wieder mit am Start sein. Denn auch wenn einiges anders ist und variiert wurde, an der grundsätzlichen Machart hat sich so wenig verändert, dass man auch dieses Mal auf seine Kosten kommen dürfte.
OT: „Atiye“
IT: „The Gift“
Land: Türkei
Jahr: 2020
Regie: Ali Taner Baltaci, Burcu Alptekin, Gökhan Tiryaki
Drehbuch: Sengül Boybas, Ali Ercivan, Nuran Evren Sit, Nergis Otluoğlu Akoğlu, Merih Aslan, Pelin Karamehmetoğlu, Atasay Koç
Vorlage: Şengül Boybaş
Musik: Sertac Özgümüs
Kamera: Ahmet Sesigurgil
Besetzung: Beren Saat, Mehmet Günsür, Metin Akdülger, Melisa Senolsun, Basak Köklükaya, Civan Canova, Tim Seyfi, Meral Çetinkaya
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