Benedict Andrews Kirsten Stewart
Kristen Stewart und Regisseur Benedict Andrews beim Dreah von "Jean Seberg - Against all Enemies" (© 2019 PROKINO Filmverleih GmbH)

Benedict Andrews [Interview]

Benedict Andrews‘ zweiter Film Jean Seberg – Against All Enemies, im Original Seberg, erzählt die Geschichte der französisch-amerikanischen Schauspielerin Jean Seberg, die aufgrund ihres politischen Engagements zum Ziel des FBI wurde und überwacht wurde. Im August 2019 feierte der Film auf den Filmfestspielen in Venedig seine Weltpremiere, in Deutschland läuft das Drama am 17. September 2020 im Kino an. Im Interview mit film-rezensionen.de spricht Andrews über die Inspiration zum Film, die Beziehung von Kunst und Politik sowie die Arbeit mit Schauspielern wie Kristen Stewart und Anthony Mackie.

Was hat dich an der Geschichte von Jean Seberg interessiert oder inspiriert?
Ich habe mich für diesen Abschnitt in ihrem Leben interessiert, als sich ihr Erfolg als Schauspielerin, ihr politisches Engagement und ihr Liebesleben überschnitten. Jean war eine Person, die sehr idealistisch war, die versuchte ihre Stimme einer guten Sache zu geben, was sie letztlich ins Fadenkreuz einer groß angelegen Abhöraktion des FBI brachte. Durch diese Aktion zerbrach sie letzten Endes, ihr Privatleben wurde empfindlich gestört, alles abgesegnet vom Staat. Das war auf eine Art und Weise eine faszinierende Entdeckung für mich und eine sehr komplexe Materie.

Viele Prominente nutzen heutzutage ihre Popularität, um ihre politischen Meinungen zu äußern oder Bewegungen zu unterstützen. Würde jemand wie Jean Seberg heute anders behandelt werden als in den 60ern?
Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht, denn mein Film behandelt ein sehr spezifisches Beispiel innerhalb eines sehr speziellen Kontextes. Natürlich ermöglichen heute soziale Medien und das Internet, dass viele Prominente ihre Meinung zu politischen Themen mitteilen, aber in Sebergs Fall haben wir zudem einen sehr speziellen gesellschaftlich-politischen Rahmen. Da die politischen Bewegungen der Afroamerikaner innerhalb der Mainstream-Medien sowie von einem rassistischen FBI als Bedrohung aufgefasst wurden, wurde sie zum Ziel. Das hatte weniger was mit der Art ihrer politischen Engagements zu tun, welches, im Gegensatz zu dem von Jane Fonda beispielsweise, keinesfalls so öffentlich war. Jeans Engagement war meist privater Natur und zeigte sich in ihren Spenden für die Malcom X Stiftung oder die Black Panthers.

Was ich an ihrer Geschichte so erschreckend finde, ist, wie Überwachung gegen einen Menschen gerichtet wird und ihn verändert, an den Abgrund bringt und alles aus rein politischen Gründen. Hinzu kommt noch, wie diese Institution das Privatleben der abgehörten Person als Waffe gegen diese benutzt, diese Person diskreditiert und „fake news“ über diese verbreitet haben. In unserer Welt leben wir mit der Wirklichkeit eines Krieges der Information, egal ob diese nun wahr oder falsch sind. Jean Seberg ist, wenn man so will, eines der ersten Opfer dieses Krieges.

In Bezug auf Una und Ray hast du einmal gesagt, dass du dich für Figuren interessierst, deren Erfahrungen sie für sich selbst zu Fremden machen. Inwiefern könnte dies auf die Charaktere in Against All Enemies zutreffen?
Wenn man eine Figur wie Jean Seberg in meinem Film betrachtet, könnte man sagen, sie macht eine ähnliche Erfahrung wie Jack O’Connells Figur. Beide müssen durchs Feuer gehen und in Jeans Fall hat dies die Zerstörung dessen, was sie als Wahrheit und Wirklichkeit betrachtet, zur Folge. Dies ist die Konsequenz der Überwachung sowie der Lügen, die über sie verbreitet werden. Sie ist in einer Spirale gefangen, die mit hohen persönlichen Verlusten verbunden ist.

Diese Erfahrung gibt ihr eine veränderte Wahrnehmung der Welt, was man in den letzten Momenten des Films erahnen kann. Sie ist dann schon nicht mehr diese etwas naive, sehr impulsive Frau, die wir noch am Anfang des Films kennengelernt haben. Figuren wie Blanche DuBois aus Tennessee Williams‘ Endstation Sehnsucht oder King Lear, aber auch Charaktere wie Una und Ray müssen diese schmerzvolle Erfahrung durchleben um dann zu einem anderen Verständnis ihrer Welt zu gelangen. Dieser Prozess ist sehr komplex und nicht gerade einfach zu definieren.

Parallel zu Jeans Geschichte durchlebt Jack O’Donnells Figur eine ähnliche Entwicklung. Er verändert sich von einem Mann, der an demokratische Werte und die moralische Integrität des FBI glaubt, zu jemanden der, indem er sieht, was mit Jean geschieht, einsehen muss, wie korrupt dieses System ist. Weil sich auch seine Wahrheit, seine Welt verändert hat, wird er letztlich zum Whistleblower, einer Person, die sich komplett von seiner Figur zu Anfang des Films emanzipiert hat.

Die Szene, in der Kristen Stewart und Anthony Mackies Charaktere einen Dialog aus einem Skript proben ist sehr schön, toll gespielt und inszeniert. Kannst du uns was zur Entstehung dieser Szene sagen oder anderer, auf die du besonders stolz bist?
In dieser Szene wollten wir zum einen Jeans Leben als Schauspielerin zeigen, aber zudem ihre Affäre mit Hakim näher beleuchten. Hakim bekommt so einen Einblick in ihre Welt, aber innerhalb dieses Spiels mit dem Gespräch, das sie proben, erhält er zudem eine Idee davon, wer sie ist und sein kann. Ich mag, wie Anthony Mackie in dieser Szene spielt und den Drehort, der unglaublich schöne war. Die Szene, die sie beide spielen, also die in dem fiktiven Drehbuch im Film, kommt einer Szene in Sebergs Film Westwärts zieht der Wind sehr nahe, aber wir haben den Dialog für den Film etwas geändert und angepasst.

Generell gibt es viel, auf das ich in diesem Film stolz bin. Dazu gehört auch die Subtilität von Jack O’Connells Spiel sowie die sehr mutige Darstellung Jean Sebergs durch Kristen Stewart. Eine sehr spannende und dramatische Szene, die mir sehr gefällt, ist der Kindergeburtstag. Auf der einen Seite ist es ein freudiger, fast schon idyllischer Anlass mit den vielen Kindern, dem schönen Wetter und dem Barbecue, aber dann weiß man, dass Zazie Beetz, die Hakims Frau im Film spielt, von der Affäre weiß und nun Jean damit konfrontiert. Sie beschimpft sie als Touristin, die sich nur oberflächlich und aus Prestigegründen für die Belange der Schwarzen interessiert. In der Szene mag ich neben den darstellerischen Leistungen, wie hier die Komplexität der Beziehungen der Charaktere untereinander gezeigt wird.

Ein anderes Beispiel für eine Szene, die ich mag, ist das Bild von Jean im Swimmingpool, als der Prozess ihres mentalen Verfalls aufgrund der Berichterstattung und der Überwachung schon fortgeschritten ist. Auf visueller Ebene finde ich diese Sequenz wunderschön und sehr komplex.

Ich finde auch die Szene mit Jack O’Donnells und Vince Vaughns Charakteren interessant, wenn sie beide mit ihren Familien zu Abend essen und Vaughns Figur auf einmal eine sehr laute Auseinandersetzung mit seiner Tochter hat.
Diese Szene zeigt in etwa den republikanisch-konservativen Albtraum (lacht). Vinces Charakter ist jemand, der so etwas wie einen Krieg mit seinem Sohn und seiner Tochter ausfechtet, wenn er davon spricht, dass sein Sohn nun einer Kommune angehört. Zugleich ist dieser Krieg auch der, den er in seiner Arbeit kämpft: der die USA zu einem weißen, konservativen, sehr maskulin dominierten Land zu machen. Das ist eine Figur, die versucht die Kontrolle zu bewahren, aber die doch immer wieder die Kontrolle verliert.

Darüber hinaus ist die Szene interessant, weil hier das FBI nicht mehr länger nur als eine Maschine oder eine Institution wahrgenommen wird, sondern man als Zuschauer einen Einblick in das Privatleben der Ermittler erhält.

Mir war es wichtig, dass jede Szene auf die Beziehung von Jean und Jack verweist. Wenn also Vinces Figur am Ende der Szene ärgert und mit Blick auf seine Tochter und deren Kurzhaarfrisur fragt, wem sie ähnlich sehe, kommt der Film wieder zu dieser Beziehung zwischen Jack und Jean zurück.

Kannst du uns was zu deiner Kollaboration mit Kamerafrau Rachel Morrison erzählen?
Eine der wichtigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben, was das Aussehen des Film angeht, war, dass wir mit richtigen Filmkameras arbeiten wollten und keinen digitalen. Auch wenn wir mit einem begrenzten Budget auskommen mussten, wollten wir einen Film drehen, der formal den Filmen der 60er, aber auch jenen Verschwörungsthrillern der frühen 70er ähnelt, insbesondere den Werken von Alan J. Pakula (Klute, Zeuge einer Verschwörung, Die Unbestechlichen). Generell mussten wir eine Bildsprache für die Überwachung aber auch für Jeans Zusammenbruch finden.

Zudem setzten wir uns sehr früh mit unserer Produktionsdesignerin Jahmin Assa zusammen, um passende Drehorte zu finden, die provokativ und ausdrucksstark sein sollten. Da wir nicht das Geld hatten, eine detailgetreues Bild dieser Zeit zu zeigen, konzentrierten wir uns stattdessen auf das innere Drama der Figuren und wie die Drehorte und die Kamera dieses ausdrücken konnten.

Dabei half Rachel ungemein, denn sie kann ungemein schöne und starke Handkamera-Aufnahmen drehen, was man an diesen Film aber auch an ihren früheren Arbeiten wie Ryan Cooglers Nächster Halt: Fruitvale Station sehen kann. Gerade im späteren Verlauf des Filmes illustriert der Wechsel von anfänglich noch statischen Aufnahmen hin zu diesen unruhigen, aber sehr sensiblen Handkamera-Aufnahmen den Prozess und Zerfall, den Jean durchlebt. Der Zuschauer ist, glaube ich, so in der Lage das, was Jean durchmacht, besser zu verstehen.

Vielen Dank für das nette Gespräch.

Zur Person
Benedict Andrews wurde 1972 im australischen Adelaide geboren und studierte am  dortigen Flinder University Drama Centre. Im Jahre 2016 führte Andrews Regie bei seinem ersten Spielfilm Una und Ray, einer Adaption des Bühnenstücks Blackbird von David Harrower. Neben der Welt des Films hat sich Andrews vor allem als Theater- und Opernregisseur einen Namen gemacht, der in Australien, aber auch in vielen Ländern Europas Stücke von Jean Genet, William Shakespeare und Tennessee Williams inszenierte. Zudem hat Andrews auch eigene Theaterstücke sowie Gedicht geschrieben.



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