Als Anfang Dezember 2019 der erste Patient in Wuhan, China mit dem damals noch neuartigen Coronavirus ins Krankenhaus eingeliefert wurde, war noch nicht klar, welchen Schatten dieses Ereignis auf die Folgemonate und wahrscheinlich auch noch die nächsten Jahre werfen würde. Auch wenn das Virus wahrscheinlich in absehbarer Zeit durch Impfungen eingedämmt werden könnte, wird der Eindruck, den die Pandemie, der Lockdown und die vielen Toten auf die Welt hinterlassen haben, nicht gering sein und uns alle noch lange begleiten. Dabei geht es nicht nur um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nachbeben, sondern auch darum, wie das Virus und die Reaktion darauf demokratische Grundwerte im Sinne des Schutzes vieler außer Kraft setze. Aus dieser Sicht erscheint es sinnvoll, sich mit der Pandemie von dem Standpunkt aus zu befassen, inwiefern der Umgang mit dieser als Beispiel herhalten kann für das globale Krisenmanagement, welches wohl in den Folgejahren noch einige Herausforderungen zu meistern hat, die mindestens genauso schwierig sein werden.
In seiner neuen Dokumentation Coronation, die nun auf Streamingdiensten wie Vimeo läuft, kehrt der chinesische Regisseur und Künstler Ai Weiwei zum Ursprung der Pandemie, nämlich nach Wuhan zurück. Da es ihm aufgrund seiner Biografie unmöglich ist, nach China zu reisen, inszenierte Weiwei aus der Ferne von Europa aus, wobei er auf Material zurückgriff, welches mehrere Menschen, allesamt Einwohner Wuhans oder der Umgebung, gefilmt haben. So entsteht ein kaleidoskopischer Film, der ausgehend von persönlichen Geschichten von Familienangehörigen und Ärzten einen Blick darauf wirft, wie die Menschen mit dem Virus und dessen Folgen leben, aber auch wie der Staat China auf die Krise reagierte. Durch gelegentliche Hinzunahme von Archivmaterial entsteht so eine bedrückende Dokumentation über Menschen in Trauer, unter Schock und in Wut über ein System, von welchem sie sich im Stich gelassen fühlen.
Klein und bedeutungslos
Während sich die vergangenen Arbeiten Ai Weiweis durch ihre Ambivalenz und ihre Offenheit auszeichneten, ist es schwierig, dies auch einer Dokumentation wie Coronation zu unterstellen. Dies liegt nicht zuletzt an der noch immer grassierenden Corona-Pandemie weltweit, die offenbarte, wo die Grenzen der modernen Gesellschaft und ihren Institutionen liegen. Anders als in Human Flow oder The Rest gibt es wenig Interpretationsspielraum bei den Bildern oder den Gesprächen. Wenn die Kamera ganz zu Anfang eine Luftaufnahme des Hauptbahnhofs von Wuhan während des Lockdowns aufnimmt, unterlegt von einer elektronischen, bedrohlichen Musik, nimmt man bereits jenen Ton, jene Atmosphäre von Unruhe, Angst und Wut auf, die den Film durchströmt.
Dennoch ergeben sich auch Parallelen Ai Weiweis bisherigen Arbeiten, konzentriert er sich doch abermals auf jene Menschen, die sich hilf- und machtlos fühlen. Eine Geschichte wie die Meng Liangs, eines Ersthelfers, der nach dem Lockdown aus Wuhan nicht mehr herauskam und nun verzweifelt versucht, wieder zurück nach Hause zu kommen, steht sinnbildlich für viele, die sich nicht nur mit der Angst um die eigene Gesundheit befassen müssen, sondern gleichzeitig mit dem labyrinthischen Bürokratie-Apparat eines Staates, der sie mal ignoriert und dann wieder an andere Stellen verweist. Coronation erzählt Geschichten von dem Gefühl sich „klein und bedeutungslos“ zu fühlen, wie es an einer Stelle heißt, wenn sogar der Akt des Verabschiedens und der Trauer ein Symptom wird für ein System, welches für ihr zu spätes Handeln nun andere mit drakonischen, bürokratischen Maßnahmen schikaniert.
OT: „Coronation“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Ai Weiwei
Musik: Hundunzhe Studio, Ling Ling, Punkgod
Kamera: Diverse
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