Im Leben des Rettungssanitäters Ángel (Mario Casas) geht es gerade drunter und drüber. Als wäre es nicht schon demütigend genug, dass er erfahren musste, seine Spermien wären für eine natürliche Schwangerschaft zu träge, gerät er beim Einsatz in einen schweren Unfall. Zwar überlebt er die Tragödie, sitzt seither aber im Rollstuhl, ob er jemals wieder selbständig laufen kann, steht in den Sternen. Frustriert von seiner Situation wird Ángel zunehmend reizbarer, vor allem das Zusammenleben mit Vane (Déborah François) ist von Streitigkeiten und Vorwürfen geprägt. Und von Misstrauen, denn er ist überzeugt davon, dass sie ihn mit jemandem betrügt, weshalb er anfängt ihr hinterher zu spionieren …
Eines muss man Mario Casas lassen: Er machte es sich bei seiner Karriere alles andere als einfach. Anfangs spielte der Spanier in seichten Komödien oder Liebesfilmen wie Drei Meter über dem Himmel mit, die in erster Linie auf seiner Attraktivität aufbauten. Und es wäre ein Leichtes gewesen, auch dauerhaft den Mädchenschwarm zu geben, der nicht viel mehr tun muss, als hin und wieder in die Kamera zu lächeln, um ein großes, überwiegend weibliches Publikum an sich zu binden und damit richtig viel Geld zu scheffeln. Stattdessen wechselte er mit der Zeit immer wieder ins Genrekino über und zeigte dabei viel Mut zur Hässlichkeit: Ob nun als ausgezehrter Häftling in Francisco Boix: Der Fotograf von Mauthausen, korrupter Polizist in Kings of the City oder grober Klotz in Die Haut des Wolfes: Wieder und wieder bewies er, dass er nicht im Traum daran denkt, sein filmisches Vermächtnis auf die Rolle des Beaus zu beschränken.
Vorsicht vor dem gekränkten Mann
Insofern ist es keine große Überraschung, dass sich Casas dafür entschieden hat, auch bei dem Netflix-Film Der Sanitäter die Hauptrolle zu spielen. Schon in den ersten Minuten, in denen die späteren Eskalationen weit entfernt sind, gibt er erste Anzeichen bei ihm, vielleicht nicht der angenehmste Mensch auf der Erde zu sein. Zwar ist er als Rettungssanitäter durchaus um andere bemüht, ist auch mitgenommen von dem, was er jeden Tag erlebt. Gleichzeitig zeigen sich Neigungen zur Übergriffigkeit und toxischer Männlichkeit, wenn die ausbleibende Schwangerschaft erst einmal die Schuld der Frau sein muss. Alles andere ist mit seinem Selbstwertgefühl nicht zu vereinbaren. Sympathisch ist das nicht, aber doch eine stimmige Vorbereitung auf das, was später geschieht.
Der Sanitäter ist damit einerseits das Porträt eines Mannes, dessen Selbstwertgefühl und Selbstbild so fragil ist, dass es immer wieder Bestätigung braucht, und der so gar nicht damit umgehen kann, als diese ausbleibt. Was als Drama sicher auch funktioniert hätte, nimmt hier jedoch die Gestalt eines Thrillers an. Die spanische Produktion setzt ganz klassisch auf Eskalation, wenn die wachsende Unzufriedenheit in zunehmenden Grenzüberschreitungen mündet. Nicht allein, dass Ángel, der so gar nicht seinem Namen entspricht, seine Wut an Vane auslässt und ihr das Leben zur Hölle macht. Er zeigt auch einen Kontrollzwang und Ansprüche, bei denen schnell klar wird, dass das Ganze nicht gut ausgehen kann.
Ich weiß, was du morgen tust
Die Frage, die das Publikum von Anfang an umtreibt, ist also: Wie weit wird er gehen? Was wird er alles tun, um das Leben zu bekommen, das ihm seiner Meinung nach zusteht? Leider findet Carles Torras, der hier Regie führte und am Drehbuch mitschrieb, keine sonderlich spannenden Antworten. Die jeweils nächsten Handlungen des Protagonisten sind immer so offensichtlich, ebenso die Reaktionen der anderen, dass man durchweg schon weiß, was geschehen wird, noch bevor die Situation überhaupt eingetreten ist. Auch wenn diese natürlich mindestens brenzlig sind, es zunehmend gefährlich wird: Tatsächlicher Nervenkitzel will sich dabei nicht einstellen. Der Film gleicht da mehr dem Abhaken einer To-do-Liste.
Auch beim Drumherum gab sich das drei Mann große Drehbuchteam nicht so wirklich viel Mühe. Vane darf nie mehr sein als die hübsche, hilflose Frau. Es gibt im Zwischenmenschlichen keine Entwicklung. Dass der Terror von einem Sanitäter ausgeht, also jemandem, der eigentlich Leben rettet, wird auch so gut wie nicht genutzt. Aufgrund der Darstellung von Casas ist das zwar immer noch solide. Er schafft es erneut, eine unheimliche Präsenz aufzubauen. Doch diese natürliche Anspannung verpufft aufgrund des austauschbaren Skripts zu sehr. Da hilft dann auch eine schöne perfide Wendung zum Schluss nichts mehr: Der Thriller hätte so viel mehr sein können und müssen.
OT: „El practicante“
IT: „The Paramedic“
Land: Spanien
Jahr: 2020
Regie: Carles Torras
Drehbuch: David Desola, Hèctor Hernández Vicens, Carles Torras
Musik: Santos Martínez
Kamera: Juan Sebastián Vasquez
Besetzung: Mario Casas, Déborah François, Guillermo Pfening
https://www.youtube.com/watch?v=9MAKFZixbvk
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