The Woman Trilogie Special Frontpage

Familie und Zivilisation in der „The Woman“ – Trilogie [Special]

„Tu nichts, was ich nicht auch tun würde“

The Woman TrilogieIn Lucky McKees The Woman kommt es gleich zu Anfang zu einer Szene, die viele der Themen der mittlerweile drei Filme umfassenden Reihe glänzend zusammenfasst. Der von Sean Bridgers gespielte Anwalt Chris Cleek beobachtet während eines Jagdausflugs, wie eine Frau (gespielt von Pollyanna McIntosh) an einem Fluss trinkt. Die dreckige, modrige Kleidung wie auch ihr filziges Haar sind klare Indizien, dass sie schon lange in der Wildnis lebt – ein Eindruck, der sich im Laufe der Handlung noch vertiefen wird. In Chris‘ Gesicht spiegeln sich Faszination und Ekel wider, doch auch ein Plan, den er schon bald in die Tat umsetzen wird, ein Projekt, dieser wilden Frau zu helfen, ihre Wildheit ihr abzugewöhnen und die mit nach Hause zu nehmen.

Unser ambivalentes Verhältnis zu Natur und Zivilisation ist immer wieder Thema der drei Filme der Reihe. Es zeigt sich in den Blicken der Figuren, in ihrer Begegnung mit der Verkörperung der Natur, der schlicht „The Woman“ genannten Figur von Pollyanna McIntosh, die sie in allen drei Werken spielt. Jedoch ist Zivilisation nicht nur ein sehr vager Begriff, sondern auch ein sehr dünner Schleier für die moralisch fragwürdigen Entgleisungen unserer Welt, angefangen bei häuslicher Gewalt bis hin zu institutionell geduldetem Missbrauch. „Tu nichts, was ich nicht auch tun würde“ ist eine vielsagende Äußerung Chris gegenüber seinem Sohn Brian (Zach Rand), dem er damit einen Freifahrtschein ausstellt die gefesselte „Frau“ weiterhin zu quälen, eine Tätigkeit, der er auch immer wieder nachgeht.

Zivilisation und Natur sind Gegensätze in den Augen der Figuren der drei Filme, doch sind sie doch anderseits so nah beieinander. Die implizierte Ordnung des einen ist nicht mehr als eine Hierarchie der Gewalt, der Unterdrückung und des Missbrauchs, besonders gegenüber Frauen, was die drei Filme der Reihe nicht nur zu gelungenen Genrebeiträgen macht, sondern zu provokanten, thematisch vielschichtigen Studien über unsere moderne Zivilisation und welche Monster sie hervorgebracht hat.

Beutegier: Das Überleben der Familie
BeutegierNach seiner Arbeit als Produzent bei der Romanverfilmung von Jack Ketchums Evil wollte Andrew van den Houten unbedingt an einem weiteren Werk des mittlerweile leider verstorbenen US-Autors mitwirken, dieses Mal allerdings als Regisseur. Da die Rechte für Beutezeit, der Vorgeschichte zu Beutegier, bereits verkauft waren, bot Ketchum van den Houten seinen Roman Beutegier an, ein Angebot, was er sogleich annahm. Die Dreharbeiten gestalteten sich, nicht zuletzt wegen des knapp bemessenen Budgets und diverser anderer Episoden – beispielsweise als einer der Darsteller verhaftet wurde – recht turbulent, was nach van den Houten Meinung in gewisser Weise zum Ton des Films passt.

Beutegier hatte dann noch das zweifelhafte Vergnügen etwa zur gleichen Zeit veröffentlicht zu werden wie Pacal Laugiers Martyrs oder Alexandre Ajas High Tension, beides Werke, die von Publikum und Kritik dem „torture porn“ zugeteilt wurden. Wie van den Houten im Interview mit film-rezensionen.de sagt, könnte dieses Label – auch auf die anderen Titel bezogen – nicht unangebrachter sein, fokussiert es sich doch lediglich auf die blutigen Effekte der Geschichte, die letztlich im Kontext einer viel größer und thematisch komplexeren Erzählung zu verstehen sind, die in der Hülle des Home Inavsion-Thrillers sich mit Themen wie Zivilisation, Natur und menschlicher Triebhaftigkeit befasst.

Ausgehend von der Romanvorlage erzählt van den Houten von der Dekonstruktion der Familie. Die Invasion des Zuhauses findet auf zweierlei Ebenen statt, denn zum einen überfällt die Kannibalenfamilie das Haus einer „zivilisierten“ Familie, was schließlich die Wächter der Ordnung, die Polizei, dazu bringt immer mehr in die Heimat der Kannibalen vorzudringen, nicht ohne erhebliche Verluste auf beiden Seiten. Trotz der Andersartigkeit der Kannibalen inszeniert van den Houten sie als ein Spiegelbild der anderen Familie in ihrem Bedürfnis nach Geborgenheit sowie ihren Interaktionen, auch wenn diese naturgemäß nicht den Gesetzen „zivilisierter“ Sprache gehorcht. Dennoch definiert er, ähnlich wie in der bürgerlichen Familie, eine Hierarchie, an deren Kopf allerdings die von Pollyanna McIntosh gespielte Frau steht, die als Hüterin dieser Ordnung, dieses Zuhauses und daher auch dieser Familie agiert.

Bei beiden Familie sind die Triebe des Beschützens und des Überlebens der Antrieb aller Handlungen. Jegliches Vordringen in das Territorium des anderen zieht eine meist sehr brutale Vergeltungsmaßnahme nach sich, die im Verlauf der Handlung eine gewisse Eskalationsstufe erreicht. Nicht nur wegen des Budgets, sondern auch darüber hinaus ist Beutegier deswegen ein in vielen Belangen sehr roher Film, welcher in der auf 4K restaurierten Fassung nun viel näher an die Vision herankommt, die van den Houten machen wollte, wie er im Interview, welches im Mediabook zur The Woman-Trilogie enthalten ist, aussagt.

The Woman: Die Frau als Spiegel
The WomanNach einer eher unerfreulichen Erfahrung bei seinem Projekt Red wollte Regisseur Lucky McKee schon fast keine Filme mehr drehen, bis ihm unter anderem Andrew van den Houten die Fortsetzung zu Beutegier anbot. Die Gelegenheit wollte sich auch McKee nicht entgehen lassen, war es doch gerade Pollyanna McIntoshs Darstellung in Beutegier, die ihn begeisterte und welche die Aussicht, eine weitere Geschichte über die geheimnisvolle Frau zu erzählen, sehr attraktiv machte.

 Für viele ist The Woman, wie das Projekt genannt wurde, die erste Begegnung mit McIntoshs Figur und wird in Fan- wie auch Kritikerkreisen als der beste Teil der Reihe gesehen. Bei der Aufführung des Films im Rahmen des Sundance Festivals wurde der Film teils frenetisch gefeiert, aber auch angefeindet, beispielsweise von einem Politiker, der in The Woman ein abstoßendes Werk sah, das nicht nur künstlerisch, sondern vor allem moralisch minderwertig sei. Wie Andrew van den Houten im Interview anmerkt, war es eine Ironie des Schicksals, dass einige Zeit später eben jener Politiker als pädophil geoutet wurde, als man eine recht große Sammlung von Kinderpornografie in seinem Haus fand.

 Genauo dieses Level an Verlogenheit steckt auch hinter der bürgerlich-mittelständischen Fassade der Cleeks in The Woman. Schon nach wenigen Minuten schleicht sich beim Zuschauer der Verdacht ein, dass hier nichts so ist, wie es scheint und sich allerlei Dunkelheit innerhalb der Familie angesammelt hat. Dies fängt schon an mit dem Gehabe des Familienoberhauptes, welches keine Widerrede duldet und in seinem Verhalten gegenüber Frau und Tochter zeigt, was sie für ihn in seinen Augen sind. Peinlich ist für ihn deren Emotionalität, die Angst und die schlechten Leistungen in der Schule der Tochter wie auch seine Frau, deren Natur er bereits so weit unterdrückt hat, dass von ihr kaum Gegenwehr zu erwarten ist.

Anders als Beutegier versteht sich The Woman nicht als Geschichte, die nach Konventionen arbeitet oder diese als narrativ-thematisches Fundament betrachtet. McKees Film geht einen sehr eigenständigen Weg, wenn er Pollyanna McIntoshs Figur, ihre Erscheinung und stilles Dulden der zahlreichen Demütigungen als Spiegel der Verlogenheit und Verkommenheit der anderen Charaktere inszeniert. Wie Filmkritikerin Alexandra Heller-Nicholas in ihrem Essay Cycles of Abuse: The Woman as Family Horror Film anmerkt, wirkt die „Zivilisierung“, welcher Chris die „Frau“ unterzieht, wie eine bizarre Variation von Filmen wie Educating Rita oder Pretty Woman, in denen „inakzeptables weibliches Verhalten“ durch den Mann korrigiert wird. Der Unterschied ist freilich, dass Chris, wie auch weite Teile seiner Familie, vielmehr wie die Verkörperung des Monströsen und Unzivilisierten wirken, als es die „Frau“ ist, die am Ende gar in einem Akt der Gnade eine Art moralischer Überlegenheit beweist.

Darlin’: Über Heilsversprechen und Sünde
Nicht zuletzt dank ihrer schauspielerischen Leistung in Beutegier und The Woman machte sich Pollyanna McIntosh in Fankreisen einen Namen und kann mittlerweile auch Rollen in bekannten TV-Serien wie The Walking Dead zu ihrer Filmografie zählen. Jedoch beschränken sich McIntoshs Interessen längst nicht mehr nur auf die Aspekte vor der Kamera, denn für ein Segment der Horror-Anthologie Deathcember übernahm McIntosh zudem die Regie, was Produzent Andrew van den Houten Grund genug war, ihr diesen Posten für den dritten Teil der The Woman-Reihe anzubieten.

DarlinBedenkt man, dass Darlin’ McIntoshs Spielfilmdebüt als Regisseurin ist, so ist das Ergebnis sehr beachtlich. Nicht nur wird die Geschichte aus The Woman weitererzählt, thematisch denkt die Geschichte viele Aspekte der Vorgängerfilme weiter, insbesondere das Konzept der Zivilisationskritik. Die Handlung folgt dabei zum einen Darlin‘ (Lauryn Canny), jenem Kind, welches die „Frau“ am Ende des zweiten Teils mit sich in den Wald nimmt, um mit ihr eine neue Familie zu gründen, nachdem die alte bekanntlich in Beutegier umgekommen war. Der zweite Erzählstrang konzentriert sich auf McIntoshs Figur und wie sie versucht, Darlin‘, die von ihr getrennt wurde, wiederzufinden, was sie beide auf Kollisionskurs mit den Ambitionen des moralisch eher fragwürdigen Bischofs (Bryan Batt) bringt.

Wie bereits in The Woman geht der Prozess der „Zivilisierung“ von einer männlichen Figur aus. Die Kirche sowie die Schule als Heilbringer betrachtend, ist der Bischof einer jener Repräsentanten einer Ordnung, welche die Natur genauso wenig ertragen kann wie der Anwalt im zweiten Film. Seine zutiefst patriarchal geformte Hierarchie duldet ebenso wenig Widerrede wie Rebellion, sodass die Ordensschwestern in Angst leben müssen und die Schülerrinnen jede Fluchtmöglichkeit nutzen, um gegen die repressiven Regeln zu verstoßen. Dennoch scheint jenes Heilsversprechen bei Darlin‘ anzuschlagen, sodass der Bischof sie als einen Beweis für seine Prinzipien sieht – eine grobe Fehlentscheidung, wie sich im Verlaufe der Handlung zeigen wird.

Was sich bei The Woman noch auf eine Familie beschränkte, zieht in Darlin‚ schon wesentlich weitere Kreise. Unterdrückung, nicht nur von Frauen, sondern auch von Minderheiten, ist Teil eines Systems, welches christliche Werte predigt, aber wenig von diesen einlöst, wie man alleine an dem heuchlerischen Bischof sieht. Was nicht passt oder sich widersetzt, ist eine „Sünde“ in den Augen des Systems und muss geahndet werden. Passenderweise sind es die beiden Frauen im Film, die den Aufstand gegen diese Hierarchie führen und sie infiltrieren.

Die Zukunft der „Frau“
Ob es noch einen vierten Teil der Geschichte rund um Pollyanna McIntoshs Figur geben wird, weiß noch nicht einmal Produzent Andrew van den Houten. Abgeneigt ist er allerdings nicht, sollte sich die Gelegenheit bieten und sich die Geschichte lohnen, was in einem Genre, welches vor allem männliche Ikonen wie Jason Vorhees, Michael Myers oder Freddy Krueger zu bieten hat, durchaus interessant wäre.

Doch es geht in den Filmen der Reihe nicht nur um Feminismus. Gewalt gegen Frauen sowie gegen Minderheiten, wie es Darlin‚ zeigt, ist eine Konstante eines zutiefst patriarchalen, repressiven Systems, repräsentiert durch Einzelpersonen sowie Institutionen. Die „Frau“ ist ein Spiegel dieser Ungerechtigkeit, ein Gegenentwurf einer Ordnung, die sich unter dem Schleier der Zivilisation als status quo definiert hat und alles Gegensätzliche versucht zu terminieren.

Gerade jetzt wo mit den Filmen eines Jordan Peele (Get Out, Wir) oder Werken wie Der Babadook das Horrorgenre sich mit gesellschaftlichen Themen befasst und das wahre Monster im Kern der Gesellschaft, also der Familie verortet, scheint die Zeit für Filme wie die der The Woman-Trilogie besser denn je zu sein.



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