Ben (Max Kuess) hat es nicht so mit Regeln, gerät auch gerne mal ein bisschen mit dem Gesetz in Konflikt. Ganz so weit ist Luka (Lou von Schrader) zwar nicht, aber auch sie liebt die Freiheit und Ungebundenheit – weshalb romantische Gefühle weniger ihr Ding sind. Ihre Freundin Momo (Melissa Irowa) ist in der Hinsicht das komplette Gegenteil. Sie hat auch schon jemanden gefunden, bei dem sie sich mehr vorstellen könnte. Doch Alex (Valentin Gruber) hält sie an der kurzen Leine, außerhalb des Chatrooms haben sie sich noch nie getroffen. Aus gutem Grund: Er sitzt im Rollstuhl und hat Angst vor ihrer Reaktion. Jakob (Kerem Abdelhamed) und Anna (Sara Toth) haben sich hingegen längst gefunden. Mehr noch, sie sind unentwegt intim, und das gern auch schon mal vor der Kamera, schließlich gibt es einen Markt dafür …
Abenteuer Leben
Der Abschnitt zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter ist der vielleicht prägendste und entscheidendste im Leben eines Menschen. Nun gilt es, sich selbst zu finden, andere zu finden, den Platz im Leben zu suchen, dabei zu experimentieren, neue Wege zu beschreiten und dabei hin und wieder mal auf richtig auf die Fresse zu fliegen. Und auch wenn dieses Spannungsumfeld zwischen Selbstbehauptung und einer zunehmend komplexeren Gefühlswelt, inklusive erster sexueller Erfahrungen, bei jedem natürlich ein bisschen anders ausfällt, nicht jeder mit denselben Voraussetzungen sich in das Abenteuer Leben stürzt: Da ist doch so viel Universelles dabei, allgemeingültige Erfahrungen, durch die wir alle müssen, und die in Filmen deshalb gern thematisiert werden.
Grundsätzlich erzählen Iliana Estañol und Johanna Lietha in ihrem Spielfilmdebüt deshalb auch nichts, was man nicht in irgendeiner Form woanders schon gesehen oder gehört hätte. Drei junge Paare, oder auch Fast-Paare, entdecken einander, entdecken sich selbst, wissen aber irgendwie noch nicht so wirklich, worauf das alles hinauslaufen soll. Das geht mit Ängsten und Vorbehalten einher, an anderer Stelle vielleicht mit ein bisschen Idealisierung. Und auch das Spiel mit dem Bild, das wir nach außen hin vermitteln, hinter dem sich aber vielleicht etwas anderes verbirgt, findet hier Anwendung. Mal ein bisschen versteckter, mal offensichtlich – wie im Fall von Alex, der dank der rein virtuellen Begegnung verbergen kann, dass er Rollstuhlfahrer ist.
Das digitale Fremdbild
Das Thema der neuen Medien ist allgemein sehr präsent. Im Strang um Momo und Alex ist es das verbindende Mittel, gleichzeitig aber auch eine Art Mauer, die es zu überwindet gibt, womit Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht sehr schön die Widersprüchlichkeit der digitalisierten Welt vor Augen führt. Bei Jakob und Anna wiederum ist es die verschwindende Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, welche das Paar beschäftigt. In einer Welt, in der wir zunehmend alles von uns teilen, wo soll man da noch die Grenze setzen? Was ist erlaubt, was ist sinnvoll, wenn alles möglich ist? Sie spiele nur eine Rolle, sagt Anna, die zunehmend Geschmack an dieser Form der Selbstentblößung findet. Und doch bleibt offen, wie viel davon tatsächlich Rolle ist, wie viel Wahrheit – und ob man beides überhaupt voneinander trennen kann.
Ohnehin ist das Drama, welches auf dem Filmfest Max Ophüls Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde, keines, welches definitive Antworten bereithält oder überhaupt bereithalten möchte. Estañol und Lietha geben keinen Weg vor, sondern fühlen sich in Jugendliche hinein, die diesen Weg erst noch suchen. Das kann mal peinlich sein, sogar hässlich, dann wieder schön, Naivität und Abgeklärtheit gehen ebenfalls Hand in Hand. An manchen Stellen wird zwar etwas zu sehr versucht, das Geschehen zu dramatisieren, was etwas der ansonsten sehr authentischen Stimmung schadet. Insgesamt ist Lovecut – Liebe, Sex und Sehnsucht aber ein angenehm rauer, dabei unaufgeregter Vertreter des Coming-of-Age-Films, der dank eines schauspielerisch kaum erfahrenen Ensembles – zumindest bei den Paaren – auch immer eine dokumentarische Note hat. Das Regie- und Drehbuchduo erzählt eine Geschichte, die klassisch und modern ist, die üblichen Themen mit aktueller Befindlichkeit verbindet und drei sich immer wieder kreuzende Stränge stimmig zusammenführt. Selbst wenn diese nirgends enden.
OT: „Lovecut“
Land: Österreich
Jahr: 2020
Regie: Iliana Estañol, Johanna Lietha
Drehbuch: Iliana Estañol, Johanna Lietha
Musik: Michael Sauter
Kamera: Georg Geutebrueck, Steven Heyse
Besetzung: Lou von Schrader, Max Kuess, Melissa Irowa, Valentin Gruber, Kerem Abdelhamed, Sara Toth
https://www.youtube.com/watch?v=-MDVj6xxaew&feature=emb_title
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