Wenn es nach dem weltberühmten Architekten Sergi Zakoyan, im Volksmund „Mister Beton“ genannt, geht, dann wird die armenische Stadt Jerewan schon bald seiner Vision der perfekten Stadt entsprechen. Nach dem Ende des Kommunismus haben die staatlichen Organe ihn damit beauftragt, die Stadt von jeglichen Überresten des alten Systems zu säubern, was zu einer radikalen Veränderung des Stadtbildes geführt hat, vom Abreißen sämtlicher Statuen bis hin zum Abriss alter Mietwohnungen, alles ausgehend vom RAD, dem Radikalen Architektur Departement, welches Zakoyan leitet. Sein Sohn Frunz, selbst Professor für Architektur in Armenien, berichtet seinen Studierenden voller Stolz von den Prinzipien des Brutalismus, die Schluss machen soll mit dem Alten und alle anderen Baustile in sich vereint, aber diese auch weiterdenkt. Jedoch hat diese Vision auch eine Kehrseite, denn die steigende Zahl von Obdachlosen dank der radikalen Umstrukturierungen, kombiniert mit einer Zahl anderer sozialer Probleme hat gerade die Arbeiter gegen Zakoyan aufgehetzt. Trotz des wachsenden Unmuts glauben Zakoyan und sein Sohn an die Richtigkeit der Vision, an ein Einsehen der Menschen, dass sie es gut mit ihnen meinen, doch als es dann tatsächlich zur Revolution kommt, hat diese nicht nur Auswirkungen auf ihre Arbeit, sondern auch auf die Familie an sich sowie den Glauben an die Baukunst als Heilsbringer der Menschen.
Eine unheilvolle Skyline
In seiner Graphic Novel Marode Substanz, Genosse!, die bereits von der Presse gefeiert wurde, beschäftigt sich der im Libanon geborene Schriftsteller und Essayist Viken Berberian mit den Versprechen von Ideologien, wobei er sich vor allem auf das Feld der Architektur als Spiegelbild dieses Themas konzentriert. Nicht nur thematisch, sondern auch formal gehen er und Illustrator Yann Kebbi eigene Wege, wollten sie sich mit dem Projekt von den gängigen Konventionen, wie den Sprechblasen, befreien, wie Berberian in Interviews erklärt.
Im Kern folgt Marode Substanz der Prämisse, dass Kunst immer einer Ideologie folgt, ob nun bewusst oder unbewusst. Voller Leidenschaft und Überzeugung erklärt Frunz der eifrig alles notierenden Studentenschaft die Prinzipien des Brutalismus, erzählt von seiner Kindheit und Jugend als einer Art Initiationsreise, an dessen Ende die Erkenntnis steht, man könne mittels der Kunst die wirklich wahre Revolution in die Welt bringen. Auch wenn die Ähnlichkeit seiner Reden zu denen politischer Agitatoren gegeben zu sein scheint, ist dies keiner Bewegung der Gewalt, die letztlich nur die alten Hierarchien anders wiederaufbaut. Es ist eine Vision, die von der Liebe zum Beton geprägt ist, von einer einfachen Form, die so schlicht und simpel ist, dass sie jeder begreifen kann.
Doch es kommen nicht nur dem Leser schnell Zweifel, denn selbst Frunz ist sich dem Heilsversprechen der Architektur nicht mehr so sicher. Von einer Art Elfenbeinturm aus, der Chefetage der RAD, blicken er und sein Vater auf diese Stadt, auf Pläne und auf Skizzen, aber vergessen die Realität, die sie für eine Zeit geflissentlich ignorieren. Berberian blickt auf seine Figuren mit viel Ironie, aber ohne sie zu werten, was ihr Scheitern umso schlimmer macht, weil es absehbar ist anhand der „unheilvollen Skyline“, die sie kreieren.
Form und Funktion
Die Geschichte wird durch die kunstvollen Illustrationen Yann Kebbis unterstützt, welche ebenfalls jenen Ton zwischen Ironie und Tragödie treffen. Durch das teils Skizzenhafte, Unfertige und zugleich so Klare wird die Nähe zur Baukunst gesucht, wirken manche Panels fast wie abstrakte Baupläne. Die Figuren wirken wie Metaphern für Denkrichtungen und eben jene Distanz zwischen den Bevölkerungsschichten, zwischen den schönen Luftschlössern der Architekten und der Lebensrealität vieler Menschen, was letztlich ein Gegensatz bleibt, der unvereinbar scheint.
OT: „The Structure is Rotten. Comrade“
Land: USA
Jahr: 2017
Text: Viken Berberian
Zeichnung: Yann Kebbi
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