Massoud Bakhshi

Massoud Bakhshi [Interview]

In seinem zweiten Spielfilm Yalda – A Night for Forgiveness (Kinostart: 27. August 2020) erzählt Massoud Bakhshi die Geschichte zweier Frauen, die bei einer Live-Show aufeinandertreffen. Während die eine wegen Mordes verurteilt wurde und die Show für sie eine Möglichkeit der Vergebung darstellt, ist die andere die Tochter ihres Opfers und hat es in der Hand, ob sie der Mörderin ihres Vaters vergibt oder nicht. Während seiner Kinotour durch Deutschland setzten wir uns mit dem iranischen Regisseur zusammen und redeten über die Inspiration zum Film, die Hintergründe der Geschichte sowie die Besetzung.

Kannst du uns was zu Shab-e Yalda sagen und welche Rolle der Feiertag im Kontext des Filmes spielt?
Shab-e Yalda ist ein prä-islamisches Fest, eine zoroastraische Feier, deren Ursprung viele Jahrhunderte zurückreicht, als die Bewohner des heutigen Iran eine viel innigere Beziehung zur Natur hatten als heute, besonders zu den Jahreszeiten. Zu jeder Jahreszeit gab es eine bestimmte Feier, zum Beispiel Nowruz, was bis heute in vielen Ländern, in denen Farsi gesprochen wird, zelebriert wird. Yalda ist auch so eines und es markiert den Beginn des Winters und findet in der längsten Nacht des Jahres statt. Das Wort „yalda“ bedeutet so viel wie „Geburt“, denn die Iraner glauben, dass nach dieser einen Nacht die folgenden Nächte immer kürzer werden und am Ende dieses Zyklus der Frühling steht mit Sonne und Licht. In dieser Nacht kommen immer viele Familien zusammen und essen getrocknete Früchte der vorherigen Jahreszeiten, wie beispielsweise Granatäpfel oder Wassermelonen, ein Symbol des Sommers. Viele behaupten, Yalda habe gewisse Ähnlichkeiten mit christlichen Feiern oder auch heidnischen Ritualen.

Die TV-Show, die man in meinem Film sieht, findet genau am Yalda-Tag statt. Eine Frau, die im Kontrollraum des Senders arbeitet, versucht dem Produzenten zu vermitteln, dass der Inhalt der Show und deren Thema sehr tragisch sind und nicht zu einem solchen Feiertag passen würden. Jedoch sieht der Produzent nur, dass dies für Maryam, die junge Frau, die wegen Mordes verurteilt wurde, die letzte Möglichkeit ist, ihr Leben zu retten und von Mona, der Tochter des Opfers, Vergebung zu erfahren, da ihre Familie nach dem Tod des Vaters das Land verlassen wird.

Ist Shab-e Yalda per Definition mit der Idee jemandem zu vergeben verknüpft?
Eigentlich nicht. Es ist in erster Linie ein Fest, welches die Natur und den Wechsel der Jahreszeiten zelebriert, wie ich schon sagte. Aber natürlich ist es auch eine Zeit, in der viele Familien zusammenkommen, was die Wirkung einer Show wie in Yalda noch verstärkt, die sich schließlich auch mit Familienthemen befasst. Sollte Mona Maryam nicht vergeben, ist dies nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern eine, die viele Familien sehr beschäftigen wird, gerade an einem solchen Tag. Deswegen will die Frau im Kontrollraum dem Produzenten erklären, dass die es nicht richtig findet, solche Inhalte an einem solchen Tag zu zeigen, weil es sehr viele Zuschauer und deren Gefühle verletzen könnte. Jedoch meint der Produzent, er habe keine andere Wahl als die Show zu senden.

Eine solche Show, wie dein Film sie zeigt, ist in deiner Heimat sehr beliebt. Was macht diese Formate so beliebt und wie nah ist die Show im Film an der Realität?
Es gab eine ähnliche Show, die für circa 12 Jahre im iranischen Fernsehen lief und die immer während des Ramadan-Festes ausgestrahlt wurde. In ihr ging es immer um Vergebung, wenn auch nicht immer verbunden mit einem Verbrechen wie in Yalda. Dennoch erfreuten sich gerade jene Episoden, in denen solche Fälle behandelt wurden, großer Beliebtheit und hoher Einschaltquoten. Eine solche Episode habe auch ich einmal gesehen und sie hat mich sehr bewegt, sodass ich mich entschloss, eine solche Show ins Zentrum meiner nächsten Geschichte zu stellen. Es gibt noch immer viele solcher Shows im iranischen Fernsehen, in denen beispielsweise durch Zuschauerspenden das Blutgeld für die Verbrechensopfer aufgetrieben wird.

Übrigens fand ich heraus, dass ein Sender im Iran eine Show produzieren wollte, die sehr ähnlich zu der Film war. In ihr ging es auch um solche unbeabsichtigten Verbrechen und es sollte im Zentrum die Konfrontation von Opfer und Täter gehen, wobei beide Seiten ihre Sicht der Dinge präsentieren konnte. Letztlich machten sie zwei oder drei Shows, nach denen das Format aufgegeben wurde, weil es einfach unmöglich ist, solche Fälle und deren Komplexität im Rahmen einer Show darzustellen.

Interessanterweise fiel die Veröffentlichung von Yalda in meiner Heimat zusammen mit dem Ende der Show, die während des Ramadan lief. Das Format gehörte zu einem der erfolgreichsten in der Branche und ich glaube, es hatte etwas mit dem Erscheinen des Films zu tun und welches Bild die Geschichte von der Medienlandschaft sowie ihren Akteuren zeichnet.

Das ist eine interessante Verbindung.
Richtig, aber ich denke, es stimmt, denn außer Yalda gibt es keinen Film im Iran, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt. Der Film wurde finanziert mithilfe von vier europäischen Ländern, was ziemlich besonders ist, denn es gibt keinerlei Kooperationsvereinbarungen zwischen dem Iran und irgendeinem Land Europas. Normalerweise funktioniert dies nur, wenn beispielsweise ein Teil der Crew aus diesem Land kommt oder dort gedreht wird, doch für Yalda bestand ich darauf, dass wir im Iran drehen würden mit einer größtenteils iranischen Crew. Letztlich kamen nur eine Handvoll Mitglieder meiner Crew aus Europa.

Ich bin sehr zufrieden mit dem Film, denn er behandelt ein Thema, das sehr eng mit der Kultur und der Gesellschaft meiner Heimat verbunden ist.

Inwiefern ist Yalda nicht auch ein Spiegel iranischer Politik?
Das ist ein sehr weites Feld. (Pause)

Na ja, die Geschichte findet während einer Live-Show statt, in der Werte verhandelt werden, die man hinter den Kulissen, wie im Kontrollraum, vergeblich sucht. Ich sehe die Geschichte als ein Beispiel dafür an, dass die eigentlichen Entscheidungen über das Leben der Menschen in den Hinterzimmern der Macht getroffen werden.
Ich bin mir nicht so sicher, denn in meinen Augen ist dies eine Geschichte über Menschen und behandelt ein sehr sensibles Thema, was auch der Grund ist, weshalb ich während der Recherche mit vielen Anwälten gesprochen habe über das Szenario im Film. Alle haben mir gesagt, dass dies die einzige Möglichkeit für einen Verurteilten wäre, nicht nur seine Freiheit wiederzuerlangen, sondern zudem der Todesstrafe zu entkommen. Sie betonten auch, dass ich dieses Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen und es nicht als Plattform für Kritik nutzen solle.

Im Verlauf der Handlung erleben wir einen Perspektivwechsel, denn diese konzentriert sich plötzlich auf Mona, die wir bislang nur als Art Antagonistin wahrgenommen haben zu Maryam. Ich tat dies, damit der Zuschauer erkennen kann, dass auch sie sich in einer problematischen Situation befindet, die sie sehr unter Druck setzt.

Yalda ist ein Film, der daher für mich die Situation der Frauen im Iran zeigt, ihre Stärke und wie sie für ihre Rechte kämpfen müssen. Auch wenn sie alle unterschiedliche soziale Hintergründe haben, wie Maryam und Mona im Film, vereinigt sie doch dieser Kampf.

In einer der frühen Versionen des Drehbuchs war der Kontrollraum des TV Studios übrigens so gut wie nur mit Männern besetzt, doch als ich dann einmal in einem echten Studio war, bemerkte ich, wie viele Frauen in diesem Beruf arbeiten, was mit dazu verleitete, das Skript in diesen Punkten zu ändern.

Interview Massoud Bakshi Rouven Linnarz
Regisseur Massoud Bakshi und unser Autor Rouven Linnarz beim Interview in Düsseldorf, wo „Yalda“ im Rahmen einer Kinotour gezeigt wurde.

Was ist deine Herangehensweise als Autor und Regisseur bei einer Geschichte, die sich mehrheitlich in engen oder sehr begrenzten Handlungsorten abspielt?
Als ich mich dazu entschloss, die Geschichte um das Aufzeichnen einer TV-Show zu erzählen, wusste ich, dass dies sehr riskant war. Eine Entscheidung für einen solchen Handlungsort limitiert mich als Regisseur sehr in vielen anderen Aspekten, beispielsweise, wo ich die Kamera hinstellen würde. Als Autor habe ich weniger die Möglichkeit auf Konzepte wie Rückblenden zurückzugreifen, was den Erzählrhythmus stören kann und die Hintergründe der Figuren beleuchten könnte. Auch den eigentlichen Mord, weswegen Maryam verurteilt wurde, konnte ich nun nicht mehr zeigen.

Jedoch gewinnt die Geschichte um Mona und Maryam auch an Intensität. Yalda wird so zu einem Kammerspiel mit einer schon fast klaustrophobischen Wirkung, bei dem die Figuren im Scheinwerferlicht stehen und ihnen Millionen von Menschen dabei zusehen, wie sie einen sehr persönlichen Moment erfahren. Man bekommt als Kinozuschauer ein Gefühl von dem, was für diese beiden Frauen auf dem Spiel steht.

Ich brauchte diesen Kontrast von der hellen Welt des TV-Studios zu der Gewalt und dem Drama der Charaktere. Es ist wichtiger Bestandteil der mise-en-scène, an der ich zusammen mit meiner Crew und vor allem Kameramann Julian Atanassov gearbeitet habe.

Yalda hat viel gemein mit dem Kino der 1970er Jahre aus Hollywood, mit medienkritischen Filmen wie Sidney Lumets Network oder sogar Martin Scorseses The King of Comedy. Hattest du bestimmte Inspirationen für den Film?
Das stimmt, gerade Lumet ist für mich eine große Inspiration als Geschichtenerzähler und auch Regisseur. Sein Film Die 12 Geschworenen hatte auf mich eine besonders große Wirkung und gehört für mich zu den besten Kammerspielen des Kinos.

Dennoch ist für mich der Einfluss eines Ingmar Bergman vielleicht noch wichtiger. In seinen Filmen, die auch oft Kammerspiele sind, geht es um menschliche Tragödien, um existenzielle Belange und die Moderne. Natürlich geht es Bergman nicht um die Medien wie in meinem Film, aber die Art, wie er seine Charaktere und deren Welt zeigt, beeindrucken mich sehr.

Als ich mich bei Yalda dazu entschloss ein eben solches Kammerspiel selbst zu inszenieren, hatte ich keine Angst, denn ich wusste, dass Ingmar ein „guter Freund“ von mir ist. (lacht)

Kannst du uns was zu der Besetzung des Films erzählen und wie du deine Darsteller gefunden hast?
Das war ein sehr schwieriger und langer Prozess. Für die Rolle der Maryam war mir klar, dass ich jemanden jungen haben wollte, ein neues Gesicht, aber im Iran gibt es nur wenige Darstellerinnen, die dieses Profil erfüllen. Ich habe mir unzählige Videos von jungen Frauen angesehen und diese interviewt, als sie für die Rolle vorsprachen und am Schluss kam ich auf Sadaf Asgari. Sie hatte vor Yalda nur in ein paar kleinen Produktionen mitgespielt und zeigte schon beim ersten Vorsprechen ein solches Engagement und eine solche Energie, dass ich wusste, sie ist die richtige Darstellerin für die Rolle.

Behnaz Jafari, mit der ich bereits für Eine respektable Familie zusammengearbeitet hatte, hat in vielen internationalen Produktionen wie Jafar Panahis letztem Film Drei Gesichter mitgespielt. Als ich ihr die Rolle anbot, war sie mit Panahi gerade auf Promotionstour in Europa, kehrte aber für zwei Wochen in den Iran zurück, was die einzige Zeit war, in der sie proben konnte. Behnaz war geehrt, als ich ihr die Rolle anbot, doch während der Proben brach sie während einer Szene zusammen und teilte mir mit, dass Mona eine sehr schwierige, emotional sehr fordernde Rolle sei. Ihr war zum ersten Mal bewusst geworden, was für eine zutiefst verzweifelte Person Mona ist.

Während der Proben bat ich die Besetzung, dass sie sich eine Art Vorbild für ihre Rolle suchen sollten, beispielsweise eine Person, welche die gleiche oder eine ähnliche Tätigkeit in einem TV Studio hätte. Einige der Darsteller kamen auch direkt von solchen Studios zu uns und machten im Endeffekt dieselbe Arbeit wie die, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Es sind letztlich nur kleine Details, die aber viel aus machen.

Als Yalda im Iran in die Kinos kam, sprachen mich viele darauf an, in welchem TV Studio ich dies alles gedreht hätte. Das Set des Films war für sie so realistisch, dass sie dachten, wir hätten in einem echten Studio gedreht.

Kannst du noch was zu Projekten sagen, an denen du im Moment arbeitest?
Auch wenn ich zwei Spielfilme gedreht habe, sehe ich mich selbst immer noch als einen Regisseur von Dokumentationen. Ich habe noch zwei Projekte, an denen ich nun schon zwei Jahre arbeite und bald abschließen will. Ansonsten nehme ich mir die Zeit und denke über neue Ideen für Spielfilme nach. Ich bin von Natur aus ein langsamer Arbeiter, denn ich investiere viel Zeit in die Recherche zu meinen Ideen.

Vielen Dank für das nette Gespräch.

Massoud Bakhshi

Zur Person
Massoud Bakhshi wurde 1972 in Teheran geboren. Bevor er mit seinem Spielfilmdebüt Eine respektable Familie (2012) international bekannt wurde, hatte er sich bereits einen Namen gemacht als Regisseur von einer ganzen Reihe Kurzfilme sowie von Dokumentationen. Inhaltlich befassen sich seine Werke mit dem Leben im Iran und der Gesellschaft. Sein zweiter Spielfilm Yalda – A Night for Forgiveness (2019) lief unter anderem auf dem Sundance Film Festival und der Berlinale.



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