München im Jahr 1900: Die heimischen Brauereien bereiten sich auf das kommende Oktoberfest vor, was nicht nur das gesellschaftliche Ereignis des Jahres ist, sondern auch die Zeit, in der richtig abgeräumt wird. Doch das Geschäft ist hart umkämpft, vor allem Curt Prank (Mišel Matičević), ein Großbrauer aus Franken, hat es sich in den Kopf gesetzt, bei dem Spektakel kräftig mitzuverdienen. Dafür ist ihm auch jedes Mittel recht. Das bekommen nicht nur Ignatz (Francis Fulton-Smith) und Maria Hoflinger (Martina Gedeck) zu spüren, die mit ihren Söhnen Roman (Klaus Steinbacher) und Ludwig (Markus Krojer) eine Traditionsbrauerei betreiben. Auch die übrige Konkurrenz befindet sich in einem ständigen Machtkampf, der zunehmend brutaler geführt wird …
Es ist eines der vielen gesellschaftlichen Ereignisse, die dem Corona-Jahr zum Opfer gefallen sind. Und eines der größten: Da Schunkeln, Alkohol und körperliche Nähe während einer Pandemie nicht wirklich ratsam sind, musste das Oktoberfest schweren Herzens abgesagt werden. Fast könnte man meinen, da hätte jemand vorher ein Orakel befragt, was 2020 uns so bringen wird, wenn nun ausgerechnet in diesem Jahr eine eigene Serie zu dem Thema zur besten Prime Time ausgestrahlt wird. Doch zum einen war die durchaus mit Aufwand betriebene deutsche Produktion natürlich längst geplant, noch bevor der erste Fall aus China bekannt wurde. Zudem dürfte das übliche Wiesn-Klientel sich nur sehr bedingt in dem wiederfinden, was hier so abgeht.
Ein Kampf mit unlauteren Mitteln
Tatsächlich verrät schon der Blick auf die Credits, dass hier eine andere Richtung eingeschlagen wird, als die Veranstalter für sich selbst in Anspruch nehmen. Genauer führt Hannu Salonen Regie, der überwiegend Krimis fürs Fernsehen inszeniert, zuletzt etwa Die Toten vom Bodensee: Die vierte Frau und die Serie Arctic Circle – Der unsichtbare Tod. An Verbrechen mangelt es dann auch nicht in Oktoberfest 1900. Gleich zu Beginn gibt es Beispiele für Einschüchterung und Erpressung, auch vor körperlicher Gewalt bis hin zum Mord wird nicht zurückgeschreckt. Ist ja schließlich alles für einen guten Zweck, der da lautet: Geld! Für Fröhlichkeit und Gemütlichkeit ist da kein Platz, man ist viel zu sehr mit Intrigen beschäftigt.
Diese Ausrichtung ist auch deutlich in den Bildern zu sehen. Farben gab es im Bayern der damaligen Zeit offensichtlich kaum, ein anfängliches idyllisches Familienfest ist da schon die Ausnahme. Stattdessen werden hier Grau und Braun zusammengemischt, zwischendurch darf es auch mal ein Schwarz sein, mit ein bisschen Blutrot akzentuiert. Das verstärkt die leicht klaustrophobische Stimmung, wenn wir uns in den sechs Folgen überwiegend in düsteren, muffigen Räumen aufhalten, alternativ durch kleine verkommene Gässchen schlendern, in deren Schatten schon irgendwelche Leute darauf warten, den Nächstbesten zu verprügeln. Oder eben mehr. Gewaltrausch und Korruption gehen hier Hand in Hand, kaum eine Figur, die nicht daran arbeitet, anderen irgendwie zu schaden. Und wenn dann doch mal jemand an einem Glück arbeitet, welches anderen nicht schaden würde – die beiden Hoflinger-Brüder dürfen sich verlieben –, geht das nur mit Problemen einher.
Der theatralische Abgrund
Sonderlich realistisch ist das natürlich nicht. Auch wenn sich Oktoberfest 1900 den Anschein gibt, irgendwie auf wahren Begebenheiten zu beruhen – 1898 soll es tatsächlich einen Wirte-Krieg gegeben haben –, ernst nehmen sollte man das nicht. So wie man die gesamte Serie nicht übermäßig ernst nehmen sollte. Da wird schon lustvoll übertrieben, auf theatralische Weise alles übersteigert, bis jeglicher Anflug von Normalität unter dem Dreck der Straße begraben ist. Dass die heute in dem Bereich tätigen Wirte und Brauereien sich verunglimpft fühlen, ist verständlich. Sinnvoll ist es hingegen nicht. Denn abgesehen von den diversen Mauscheleien und den Versuchen, möglichst noch mehr Geld aus den Leuten rauszuholen, sind da wenige Gemeinsamkeiten zu entdecken.
Dass man nicht stärker versucht hat, auf die wirklichen Veränderungen einzugehen, die es seinerzeit gegeben hat, als beispielsweise Elektrizität dem Volksfest neue Möglichkeiten eröffnete, das darf man natürlich schade, wenn nicht sogar ärgerlich finden. Aber man kann durchaus seinen Spaß mit Oktoberfest 1900 haben. Gerade der Kontrast aus dem auf edel getrimmten Äußeren und der Geschichte, die eher in einem Pulp-Magazin ihr Zuhause hat, verleiht der Serie einen gewissen Reiz. Außerdem will man natürlich wissen, wie das Ganze ausgeht: Wenn Figuren keine Scham, keine Zurückhaltung, keine Moral kennen, dann sind der Eskalation keine Grenzen gesetzt. Die eigene Neugierde lässt einen beim Geschehen bleiben, wie tief die Leute noch sinken werden. Zudem ist das Ensemble durchaus hochkarätig. Mišel Matičević (Exil) gefällt als großer Manipulator, der sich für keinen Dreck zu schade ist, während er selbst schön herausgeputzt ist. Auch Brigitte Hobmeier (Ein Dorf wehrt sich) hat einige schöne Auftritte, irgendwo zwischen verschlagen und tragisch. Der eigene High-End-Anspruch ist dann aber doch vielleicht etwas zu hoch gegriffen, man nimmt sich wichtiger, als es der eher dünne Inhalt rechtfertigt.
OT: „Oktoberfest 1900“
Land: Deutschland, Tschechische Republik
Jahr: 2020
Regie: Hannu Salonen
Drehbuch: Christian Limmer, Ronny Schalk, Michael Proehl, Nikolaus Schulz-Dornburg, Stephan Betz, Christian Lex
Idee: Alexis von Wittgenstein
Musik: Michael Klaukien
Kamera: Felix Cramer
Besetzung: Mišel Matičević, Martina Gedeck, Francis Fulton-Smith, Klaus Steinbacher, Mercedes Müller, Brigitte Hobmeier, Maximilian Brückner, Markus Krojer, Martin Feifel, Michael Kranz, Vladimir Burlakov, Eisi Gulp
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