Ratched Netflix
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Ratched – Staffel 1

Kritik

Ratched Netflix
„Ratched – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 18. September 2020 (Netflix)

In dem Lucia State Hospital geht man mit der Zeit, denn Dr. Richard Hanover (Jon Jon Briones), der die psychiatrische Anstalt leitet, nutzt nur die neuesten Methoden und Techniken, um seine zahlreichen Patienten und Patientinnen von ihren Geisteskrankheiten zu heilen. Doch zuletzt kommt es immer wieder zu seltsamen Vorkommnissen, die seinen guten Ruf und damit das Schicksal des Hauses bedrohen. Glücklicherweise ist Mildred Ratchet (Sarah Paulson) aber da, eine neue und überaus eifrige Schwester, die für alles einen Rat hat – sehr zum Leidwesen von Oberschwester Betsy Bucket (Judy Davis), die so gar nicht glücklich über die junge Konkurrenz ist. Dabei hat Ratchet ganz andere Pläne, es geht ihr weniger um die Anstalt oder die Patienten. Vielmehr ist sie wegen Edmund Tolleson (Finn Wittrock) gekommen, der zuvor vier Priester brutal ermordet hat und dessen Schuldfähigkeit nun festgestellt werden soll …

Dass Nebenfiguren erfolgreicher Filme oder Serien manchmal eigene Auftritte bekommen, das ist ein durchaus häufiger mal auftretendes Phänomen. Ob nun Minions oder Fast & Furious: Hobbs & Shaw bei den Filmen oder Better Call Saul, Frasier und Angel an der Serienfront, erfolgreiche Beispiele hat es immer wieder gegeben. Während die genannten Produktionen aber durchaus nachvollziehbar waren, dürfte bei der neuen Netflix-Serie Ratched die Verwunderung überwiegt haben. Warum sollte man Jahrzehnte nach dem Buch Einer flog über das Kuckucksnest von Ken Kesey bzw. der oscargekrönten Filmumsetzung mit Jack Nicholson und Louise Fletcher eine Serie über die fiese Oberschwester machen wollen, die in der Anstalt die Patienten terrorisierte?

Der widersprüchliche Anfang des Bösen
Dabei handelt es sich im Fall von Ratched nicht direkt um ein Spin-off. Vielmehr hatte Evan Romansky die Idee, eine Art Origin Story aus dem Stoff zu machen. Vergleichbar zu Joker vergangenes Jahr soll hier erzählt werden, weshalb ein Mensch zu einem Monster werden kann, wie es zu dem ikonischen Bösen kam. Diese Entwicklung ist dabei alles andere als geradlinig. Wenn wir die Titelfigur hier kennenlernen, dann ist sie noch sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite merkt man schnell, dass sie keinerlei Skrupel hat, wenn es um das Verfolgen ihrer Ziele geht: Sie intrigiert, ruiniert, schreckt auch vor größeren Opfern nicht zurück. Gleichzeitig ist sie in der Serie noch schockiert von den Behandlungen der Anstalt, welche alles andere als menschenwürdig sind.

Daraus hätte man sicherlich ein spannendes Drama machen können über einen Menschen, der an der Schwelle vom Opfer zum Täter ist. Tatsächlich gelingt es Hauptdarstellerin Sarah Paulson (Glass) ganz gut, diese beiden Seiten ihrer Figur zu verkörpern, kann gleichzeitig warmherzig und eiskalt sein, grausam und einfühlsam, rätselhaft und direkt. Doch auch wenn Ratched im Mittelpunkt steht und diverse Geschichten vorantreibt, um sie herum passiert so viel, dass man das zuweilen ganz vergessen kann. Da gibt es Geschichten um Patienten und Patientinnen, innerhalb der Anstalt wird intrigiert, neue Figuren sorgen für brenzlige Situationen. Außerdem versucht sich die Serie noch an einem Gesellschaftsporträt der späten 40er, zeigt Behandlungshorror, korrupte Politiker und gleichgeschlechtliche Liebe, die damals noch als Geisteskrankheit wahrgenommen wurde.

Ein überzogenes hin und her
Das ist schon relativ viel Stoff, zumal Ryan Murphy (The Politician), der die Serie letztendlich entwickelte, keine wirklich einheitliche Linie fährt. An der einen Stelle ist die Serie so lustvoll absurd, dass man meint, Ratched sei eigentlich eine Komödie. Dann wieder werden persönliche Dramen ausgepackt, bei denen selbst Seifenoper-Autoren erröten würden. Zwischendurch wird auch der Ansatz verfolgt, große Spannung erzeugen zu wollen, denn nicht nur der gefasste Serienmörder hat mörderische Absichten. Das Ergebnis ist ein Wechselbad der Gefühle, das unterhaltsam, aber nie ganz griffig wird. Selbst die tragischen Geschichten sind so bizarr, dass sie einen eher verwirren als bewegen. Positive Figuren sind ohnehin Mangelware: Hier wird so oft das blutverschmierte Zepter weitergereicht, dass man allenfalls das kleinste Übel wählen kann.

Aber auch wenn das Bild nie so wirklich stimmig ist, so sieht es doch toll aus. Wie schon bei Murphys Hollywood ist seine neue Serie eine knallbunte Zeitreise, die mit geradezu verschwenderischer Detailfreude eine vergangene Ära wiederaufleben lässt – oder zumindest die Vorstellung davon. Dazu trägt auch die Musik von Mac Quayle bei, die sich wie so vieles hier an der Serie schamlos bei alten Klassikern bedient, dabei an der Grenze zwischen Hommage und Parodie wandelt. Das ist auf gewisse Weise ein Fest, hier wird mit großem Stilbewusstsein ein Pulp-Erbe zelebriert. Und doch, auf Dauer ist das irgendwie zu wenig. Sind erst einmal die diversen Parteien und ihre Interessenskonflikte etabliert, kommt es zwar zu zahlreichen Verschiebungen und wechselnden Allianzen. Aber das ist eher ermüdend als tatsächlich spannend, das ständige hin und her, auch auf der emotionalen Ebene, verbunden mit Willkürlichkeit, wirkt wie der Versuch, alles hinauszuzögern, bis es einem schon fast egal ist, wie das überhaupt ausgeht.

Credits

OT: „Ratched“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Ryan Murphy, Nelson Cragg, Michael Uppendahl, Jessica Yu, Jennifer Lynch, Daniel Minahan
Drehbuch: Evan Romansky, Ian Brennan, Jennifer Salt
Idee: Evan Romansky
Musik: Mac Quayle
Kamera: Nelson Cragg, Blake McClure, Andrew Mitchell, Simon Dennis
Besetzung: Sarah Paulson, Finn Wittrock, Cynthia Nixon, Jon Jon Briones, Charlie Carver, Judy Davis, Sharon Stone, Amanda Plummer,  Sophie Okonedo, Vincent D’Onofrio

Bilder

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„Ratched“ will erzählen, wie Oberschwester Mildred Ratched in „Einer flog übers Kukucksnest“ zu einem solchen Monster werden konnte. Das geht aber nur zum Teil auf. Die Serie ist so überzogen, dass sie schon als Komödie durchginge, die wichtigen und vielfältigen Themen gehen in einem stylischen Bilderrausch unter. Das sieht toll aus, auch Hauptdarstellerin Sarah Paulson überzeugt. Die Willkürlichkeit und Oberflächlichkeit verhindern aber, dass mehr draus wird.
6
von 10