Kurz vor Anfang des Fastenbrechens eröffnet in Bagdad der Hauptbahnhof wieder, nach dem verheerenden Krieg im Land ein weiteres Zeichen des Wiederaufbruchs. Nicht nur die internationale Presse, auch das US-amerikanische Militär wie auch die irakische Polizei überwachen das Gelände streng, doch bei den Menschenmassen ist es nahezu unmöglich, den Überblick zu bewahren. Mitten im Gedränge hat sich Sara (Zahraa Ghandour) einen Weg in das Innere des Gebäudes gebahnt und erregt, trotz ihres intensiven Blicks, kaum Aufsehen, sodass keiner ahnt, dass sich unter ihrer Kleidung ein Sprengsatz befindet, den sie plant beim Eintreffen des Zuges in die Luft zu jagen. Doch ihr Plan, unentdeckt in der Menge zu bleiben, schlägt fehl, denn sie hat die Aufmerksamkeit Salaams (Armeer Ali Jabarah) auf sich gezogen, der nun versucht, mit ihr zu flirten und die zahlreichen Versuche Saras, ihm zu entkommen gekonnt übergeht. Schließlich ahnt auch Salaam, was Sara vorhat, doch da ist es für ihn schon zu spät, denn die junge Frau hat ihn schnell überwältigt und in ihre Gewalt gebracht. Während Sara versucht ihren Gefangenen zu ihren Auftraggebern, die jeden ihrer Schritte beobachten, zu bringen, geraten die beiden mitten in eine Verfolgung einer anderen Frau, die von zwei US-Soldaten gejagt wird. In der Tasche, die ihr die Frau in aller Eile in die Hand drückte, findet Sara zu ihrer Überraschung ein wenige Monate altes Baby. Nun sind auch die Soldaten auf Salaam und Sara aufmerksam geworden und es bleibt Salaam nicht viel Zeit sein Gegenüber davon zu überzeugen, sich und andere nicht in ein großes Unglück zu stürzen.
Das Trauma des Krieges
Wie bereits in seinem vorherigen Spielfilm In the Sands of Babylon erzählt der irakisch-holländische Regisseur und Drehbuchautor Mohamed Jabarah-Al Daradij von den Wunden des Irakkrieges. The Journey, der beim diesjährigen Arabischen Filmfestival in Berlin läuft, ist eine Mischung aus Thriller und Drama, die im Jahre seiner Veröffentlichung zum Oscarbeitrag des Irak gewählt wurde. Daradij entwirft ein oftmals sehr bedrückendes Bild der irakischen Gesellschaft, einer Gemeinschaft geprägt von Anspannung und dem Trauma des Krieges, welches sich in einem intensiven Moment zeigt.
Schon nach wenigen Minuten ist man als Zuschauer drin in diesem Irak, gefangen zwischen dem noch frischen Erlebnis des Friedens und den Bestrebungen des Wiederaufbaus. Daradij entwirft das Eintreffen der Hauptfigur Sara im neu eröffneten Bahnhof als eine Kakofonie der Eindrücke, der lauten Gespräche, hektisch gebrüllter Befehle und der blechernen Stimme der Ansagerin, die in mehreren Sprachen an den glorreichen Moment erinnert, der ihnen allen bevor steht, an das Eid-Fest und diesen Schritt in die Zukunft. Es liegt eine Spannung in der Luft, die sich schon bald entlädt, beispielsweise, wenn Salaam entnervt ein bettelndes Kind mit Schlägen und Tritten vertreibt, alles aufgezeichnet von den staunenden Blicken um die beiden herum. Der ruhige, intensive Blick Saras sowie ihr Griff in die Tasche zum Auslöser betonen, dass sich diese Atmosphäre der Spannung und Aggression schon bald weiter entwickeln wird.
Brüchige Hoffnung
Über seine beiden Hauptcharakter sowie einige angerissene Episoden, die das Leben einiger Nebenfiguren zeigen, beschreibt Daradij seine Sicht auf den Irak nach dem Krieg. Während der von Ameer Ali Jabarah gespielte Salaam versucht zu überleben und dabei immer mehr in fragwürdige Kreise der Gesellschaft rutscht, zeigt sich in der von Zahraa Ghandour mit großer Intensität gespielten Sara jene Wut und Trauer, die zu einer wahrlich explosiven Mischung werden können. Es ist ein Blick, der von Verzweiflung und Entbehrung spricht sowie von Szenen, deren Brutalität Wunden hinterlassen haben, die, im Gegensatz zu den körperlichen, wohl nie mehr heilen werden.
Dennoch ist The Journey keinesfalls ein hoffnungsloser Film. Vielmehr streut Daradij in der Geschichte immer wieder Momente ein, die Glück, Freundschaft und Zusammenhalt zeigen, wobei er keinen Hehl daraus macht, dass diese Szenen selten und kostbar sind. Es sind, wie das Treffen eines alten Paares am Bahnhof, kleine Schritte in ein Leben danach, einem Leben mit dem Trauma, doch es ist, wie so vieles, eine brüchige Hoffnung, die sich mit diesen Bildern verbindet.
OT: „Al Rahal“
Land: Irak
Jahr: 2017
Regie: Mohamed Jabarah-Al Daradij
Drehbuch: Mohamed Jabarah-Al Daradij
Musik: Mike Kourtzer, Fabien Kourtzer
Kamera: Duraid Munajim
Besetzung: Zahraa Ghandour, Ameer Ali Jabarah
Toronto International Film Festival 2017
Arabisches Filmfest Berlin 2020
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