The Macaluso Sisters Le sorelle Macaluso
© Charades

The Macaluso Sisters

Kritik

The Macaluso Sisters Le sorelle Macaluso
„The Macaluso Sisters“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Sie mögen nicht viel im Leben haben. Aber es ist genug: Gemeinsam leben die fünf Schwestern Katia, Lia, Pinuccia, Maria und Antonella, die meisten davon minderjährig, in einer Wohnung bei Palermo, die sie mit weißen Tauben teilen, welche sie für Hochzeiten und andere feierliche Anlässe vermieten. Aber heute steht erst einmal der Spaß im Vordergrund. Und so machen sie sich bereit für einen Tag am Strand, wo sie herumtollen, ein wenig schwimmen gehen, auch für den einen oder anderen Flirt ist noch Platz. Dabei ahnen sie nicht, dass dieser ausgelassene, fröhliche Tag für immer ihr Leben verändern wird, als es zu einer Tragödie kommt …

Familiensagen, die sich über mehrere Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinwegziehen, haben oft einen ganz eigenen Reiz. Es gibt meist schwere Zerwürfnisse, aber auch vorsichtige Annäherungen. Große Dramen spielen sich ab vor einer Kulisse, die im Kontrast zum Leben drum herum konstant bleibt. Vielleicht geht es auch darum, alte Familiengeheimnisse auszugraben, unterdrückte Gefühle anzusprechen, all das ans Licht zu bringen, was in den Schatten einer vorgeblichen Gemeinsamkeit wuchert. The Macaluso Sisters bietet all das und ist doch ganz anders, wenn wir hier mehrere Jahrzehnte aus dem Leben der titelgebenden Schwestern beobachten, von der Jugend bis ins hohe Alter.

Ein Drama des Unausgesprochenen
Dabei ist Emma Dante, die als Regisseurin von The Macaluso Sisters ihr eigenes Theaterstück verfilmt hat, keine Frau der großen Worte. Sicher, gesprochen wird in dem Drama, mal leise, dann wieder laut, wenn sich die Schwestern zwischendurch anschreien, wie man es in einer Familie zuweilen wieder tut. Doch vieles bleibt dabei unausgesprochen. Das beginnt schon mit dem Ausgangsszenario, das vieles nicht wirklich erklärt. Was mit den Eltern geschehen ist, weshalb die fünf Schwestern alleine leben, das wird kaum thematisiert. Zwar wird es später immer wieder Halbsätze geben, welche dem Gesamtbild neue Elemente und Facetten hinzufügen. Aber die Erzählung setzt ganz bewusst auf Lücken, zeigt Momentaufnahmen statt eines großen Ganzen.

Das wird besonders in dem mittleren Teil deutlich, der viele Jahre später spielt. Dass sich viel verändert hat, das wird auf den ersten Blick klar. Aus den Mädchen und jungen Frauen, die anfangs noch so ausgelassen waren, sind sehr viel ernstere Menschen geworden, gezeichnet von dem, was sie erlebt haben. Die Details werden erst mit der Zeit klar. Zunächst heißt es ohnehin den großen Bruch zu verarbeiten. Dante verzichtet darauf, den Zeitsprung mit Worten zu begleiten oder die Frauen mit den Kindern zu verknüpfen. Wer da wer ist, was in der Zwischenzeit geschehen ist, wird erst allmählich, letztendlich nie umfassend klar. The Macaluso Sisters bleibt der eher impressionistischen Darstellung treu, erzählt keine Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern zeigt, wie Menschen sich ändern, wie sie gleich bleiben, was sie aus der Vergangenheit mitnehmen.

Gefangen in Erinnerungen
Das italienische Drama, welches im Wettbewerb von Venedig 2020 um den Goldenen Löwen kämpfte, ist ein Film über die Jugend und das Alter, über das Erleben und das Erinnern, über Träume und Vergänglichkeit. Die Wohnung, die anfangs noch nach einem Abenteuerspielplatz aussah, wird mit der Zeit düsterer und bedrückender, verwandelt sich zunehmend in ein Mausoleum, in das sich die Schatten der Vergangenheit eingebrannt haben. Das muss nicht alles von Trauer und Tragik begleitet sein. Es gibt auch durchaus rührende Momente, wenn die immer älter werdenden Frauen mit einem Lächeln auf das zurückblicken, was einmal war – und was immer noch ist. Inmitten der Dunkelheit finden sich Lichtblicke, findet sich eine über die Jahre gewachsene Zärtlichkeit, findet sich auch eine Würde, die dem allmählichen Zerfall trotzt, welcher die Wohnung und die Protagonistinnen befällt.

Das ist dann weniger für die Zuschauer und Zuschauerinnen geeignet, die eine Handlung erfordern, befreiende Gefühle oder wenigstens neue Erkenntnisse. Stattdessen ist The Macaluso Sisters ein kunstvoll komponiertes Gemälde voller Menschlichkeit, voller Details auch, welche es sehr lebendig machen – trotz des allgegenwärtigen Todes. Es sind aber nicht allein die wunderbaren Bilder, die das Drama so sehenswert machen, sondern auch die Darstellerinnen, die – gleich welchen Alters – aufzeigen, was es heißt zu leben und zu lieben, später zu trauern und zu zweifeln. Wenn vieles hier nicht ganz greifbar ist, man das Gefühl hat, Teile der Geschichte würden fehlen, dann ist das deswegen nicht unbedingt ein Manko. Vielmehr findet der Film zwischen Realismus und Poesie einen Raum, in dem man sich selbst wiederfindet, in dem man erkennt und sich erinnert, an das was war, was nicht war, was vielleicht hätte sein können, wenn nicht doch alles anders gekommen wäre.

Credits

OT: „Le sorelle Macaluso“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Emma Dante
Drehbuch: Emma Dante, Giorgio Vasta, Elena Stancanelli
Kamera: Gherardo Gossi
Besetzung: Alissa Maria Orlando, Laura Giordani, Rosalba Bologna, Susanna Piraino, Serena Barone, Maria Rosaria Alati, Anita Pomario, Donatella Finocchiaro, Ileana Rigano, Eleonora De Luca, Simona Malato,  Viola Pusateri

Trailer

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Venedig 2020

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„The Macaluso Sisters“ nimmt uns mit auf eine Reise in das Leben von fünf Schwestern, erzählt über mehrere Jahrzehnte hinweg. Das Drama besteht aus einer Reihe von Momentaufnahmen, zeigt wie sich das Leben entwickelt und welche Auswirkungen ein einzelnes Ereignis haben kann. Mit viel Mut zur erzählerischen Lücke sucht der Film einen Weg zwischen Realismus und Poesie, ist ein kunstvoller, berührender Blick darauf, was es heißt, ein Mensch zu sein.
8
von 10