Schon seit einiger Zeit ist die Ehe von Miriam (Madeleine Sims-Fewer) und ihrem Mann Caleb (Obi Abili) angeschlagen. Miriam fühlt, dass sie sich bald von ihm trennen wird, da sie sich beide immer mehr voneinander distanzieren, doch sie will ihrer Beziehung noch eine Chance geben. Ein Wochenende in ihrer Heimat, bei ihrer Schwester Greta (Anna Maguire) und deren Gatten Jesse (Jesse LaVercombe), soll ihr und Caleb nicht nur Zeit zum Entspannen geben, sondern auch die Möglichkeit für einen Neuanfang ebnen. Zunächst scheint diese Rechnung auch aufzugehen, jedoch holen Caleb und Miriam ihre Probleme bald wieder ein, sodass sich Miriam an ihre Schwester wegen eines Rats wendet. Auch Jesse, zu dem sie sich immer hingezogen gefühlt hat, will ihr helfen, was zu einem fatalen Missverständnis zwischen den beiden führt, als sich Miriam ihm gegenüber unvorsichtig verhält. Monate später leidet Miriam immer noch unter den Folgen dieser einen Nacht und sie will ihre Schwester um jeden Preis vor dem Einfluss Jesses schützen. Als diese Miriam abweist, beschließt Miriam ihrerseits zu handeln und Jesse mit seiner Tat zu konfrontieren.
Im Netz gefangen
Seit dem Kurzfilm Slap Happy (2017) arbeiten Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli als Drehbuchautoren und Regisseure zusammen. In ihrem ersten Spielfilm Violation, der auf dem diesjährigen Toronto International Film Festival Premiere feiert, widmet sich das Duo dem Rape-and-Revenge-Subgenre, wobei Sims-Fewer und Mancinelli die Handlung innerhalb einer Familie verlegen, wohingegen die Bedrohung in anderen Einträgen dieses Genres meist von außen kommt. Herausgekommen ist dabei ein sehr intensiv gespielter Film über die Überwindung eines Traumas und wie das Netz des Vertrauens, welches eine Familie bietet, zu einer gefährlichen Falle werden kann.
Von der ersten Einstellung an präsentiert uns Violation die Idee des Ausgeliefertseins als Fundament der Geschichte. Das Bild des Wolfes, der dabei ist seine Beute, einen Hasen, zu reißen – eine Einstellung, die bereits vieles in der Geschichte voraus deutet – verweist auf einen Moment der Gewalt und des Ausgeliefertseins. Nicht nur die von Sims-Fewer gespielte Miriam, auch Figuren wie Caleb oder Greta sind in gewisser Weise in einer Situation, in der sie sich gefangen fühlen, aber nicht mehr herauskommen. Die Situation ist zu einer Sackgasse geworden, was gleich zu Beginn eine gewisse Anspannung auf jeden Dialog legt, eine Ahnung, dass jene Entspanntheit der Figuren nur eine Hülle ist, die jeden Moment durchbrechen kann.
Die Extremerfahrung einer solchen Lage, die Miriam widerfährt, führt zu einer Übertragung der eigenen Erfahrung auf die Schwester. Die Autoren beschreiben eine Frau, die zwischen der Verarbeitung dieses Erlebnisses, dem Ringen, dass man ihr endlich glaubt und dem Willen zu agieren gefangen zu sein scheint. Sims-Fewer spielt mit großem Engagement und körperlichem Einsatz Miriam als eine Figur, die über die Folgen des Erlebnisses und das damit verbundene Trauma nicht hinwegkommt, dauerhaft verletzt ist und für die nur eine Umkehrung der Tat, auch als Schutz für ihre Schwester, eine mögliche Verarbeitung sein kann.
Gewalt und Schönheit
Besonders intensiv wird Violation gerade im Zusammenspiel des Inhalts mit der Ästhetik des Films, die sich gerade durch die Bilder Adam Crosbys sowie die Filmmusik Andrea Boccadoro auszeichnet. Die Erfahrung von Gewalt und Konflikt werden teils wunderschöne Naturaufnahmen gegenüber gestellt, intensive Bilder, teilweise surreal oder gar stark verfremdet, dann wieder als Fragmente, welche die Gewalt der Erfahrung widerspiegeln. Die Gewalt der Natur, beispielsweise der gefangenen Insekten in einem Spinnennetz, verweist direkt auf die in der Welt der Figuren.
OT: „Violation“
Land: Kanada
Jahr: 2020
Regie: Madeleine Sims-Fewer, Dusty Mancinelli
Drehbuch: Madeleine Sims-Fewer, Dusty Mancinelli
Musik: Andrea Boccadoro
Kamera: Adam Crosby
Besetzung: Madeleine Sims-Fewer, Anna Maguire, Jesse LaVercombe, Obi Abili
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