Im Kern vieler Märchen steckt eine zutiefst menschliche Wahrheit verborgen, die keinesfalls nur für Kinder gedacht ist. Neben Botschaften der Toleranz und der Nächstenliebe werden immer auch Geschichten über Zuneigung, Sehnsucht und Liebe erzählt, vor allem wie uns die Nähe eines anderen emporheben kann. Man erinnere sich nur an das Märchen von Rapunzel, die auf ihren Prinzen wartet oder an Schneewittchen, die gleichsam auf ihren Geliebten wartet. In seinem kurzen Animationsfilm Autumn Winds, Spring Winds and Two Doves, der auf der diesjährigen DOK Leipzig zu sehen ist, vereinigt der iranische Regisseur Sadegh Javadi Nikjeh die Logik eines Märchens mit jenen Themen zu einer Erzählung über zwei Seelen, die sich zwar noch nicht gesehen haben, sich aber so nach dem Gegenüber sehnen, dass sie gewillt sind, Zeit und Raum zu überwinden für ihre große Liebe.
Basierend auf einem iranischen Kinderbuch des iranischen Autors Ahamdreza Ahmadi beginnt die Geschichte mit einem Jungen und einem Mädchen, welche über viele Meilen voneinander getrennt sind. Per Brieftauben kommunizieren beide miteinander, bis eines Tages die Sehnsucht so groß ist, dass der Junge sich auf die gefährliche Reise macht zu dem Mädchen. Während sie zu Hause wartet, überquert er das Meer. Doch als auf einmal ein schwerer Sturm aufkommt, wird die See rauer und das Boot kentert.
Illusion und Hoffnung
Mag auch die Geschichte bekannten Mustern folgen, so sind es Aspekte wie die Animation sowie die schöne Musikuntermalung Behnam Moayerians, welche Nikjehs Film zu einem kurzweiligen Vergnügen machen. Relativ traditionell geht es um den Mann, der auf die Heldenreise aufbricht und große Gefahren überwinden muss, während die Frau eher passiv im stillen Kämmerlein sitzt und auf die Rückkehr ihres Helden wartet. Gehüllt in die Form des Märchens mag man dies an gewissen Stellen noch verzeihen, doch andererseits gibt es doch auch wahrlich progressivere Erzählungen von ähnlichem Format.
Andererseits ist auf der Bildebene gerade jenes Wechselspiel von Illusion und Hoffnung sehr gelungen. Liebe und Zweisamkeit verwandeln den Menschen, aber auch die Tiere, welche in gewisser Weise als Spiegel jener Sehnsucht der menschlichen Akteure dienen. Die Illusion des Anderen, dessen Präsenz begleitet das eigene Leben, kann aber auch zu einer Qual werden, wenn das Gegenüber körperlich nicht anwesend ist, was man (natürlich) bei dem Mädchen sieht.
OT: „Badhaye paeezi, badhaye bahari va do kabootar“
Land: Iran
Jahr: 2020
Regie: Sadegh Javadi Nikjeh
Drehbuch: Sadegh Javadi Nikjeh
Vorlage: Ahamdreza Ahmadi
Musik: Behnam Moayerian
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