Man müsse sich an die Vergangenheit erinnern, um die Zukunft zu verändern, heißt es an einer Stelle von Contemporary Past – Die Gegenwart der Vergangenheit. Das hört sich vielleicht etwas banal an. Wie viel an diesem einfachen Satz dran ist, zeigt aber ein Blick auf die derzeitige Entwicklung in vielen Ländern auf der ganzen Welt, die am liebsten die Uhr zurückdrehen würden. Ob es der Rassismus ist, der überall wieder aufflammt, Gesetze zur Einschränkung von LGBT-Rechten oder auch das Comeback eines Nationalismus, von dem man dachte, er sei in einer globalisierten Welt nicht mehr möglich: Man muss 2020 manchmal schon auf den Kalender schauen, um sich zu vergewissern, welches Jahr gerade ist und dass die Zeit tatsächlich voranschreitet.
Begegnung mit dem Holocaust
In Contemporary Past kommt beides zur Sprache, die Vergangenheit und die Gegenwart. Genauer dokumentiert der Film, wie Jugendliche aus Deutschland, Polen und Rumänien zum ehemaligen Konzentrationslager in Buchenwald fahren. Eine solche Erfahrung geht an den wenigsten spurlos vorüber. Da sind die jungen Menschen hier keine Ausnahme. Die Fotos, die an den Wänden hängen, die Geschichten der Gefangenen, die hier großen Qualen ausgesetzt waren oder gleich ganz ermordet wurden, sie alle erinnern an die Verbrechen, die erst vor 75 Jahren ihr Ende fanden. Dabei konzentriert sich das Projekt auf die Sinti und Roma, Bevölkerungsgruppen, die ebenfalls zu Opfern während des Holocausts wurden, was heute mehr und mehr in Vergessenheit gerät.
Das Projekt stellt sich diesem Vergessen entschieden entgegen, will nicht nur an die Geschichte erinnern, sondern auch aus den Akten wieder Menschen machen. An einer Stelle im Film sieht man beispielsweise, wie die Schüler und Schülerinnen Gedenksteine anfertigen, ein jeder mit einem Namen eines der Opfer. An einer anderen wird anhand eines Namens nachgeforscht, wer dieser Mensch war. Contemporary Past ist dabei jedoch keine Geschichtsstunde in dem Sinn. Regisseur Kamil Majchrzak versucht nicht, Abläufe zu rekonstruieren oder große Kontexte zu schaffen. Stattdessen bleibt er nahe an dem Individuum, sucht über den Einzelnen oder die Einzelne die Gemeinschaft.
Schockierende Geschichten von früher und heute
Immer wieder werden deshalb die Jugendlichen zu ihren Erfahrungen und Eindrücken befragt, dürfen dabei aber mehr sein, als einfach nur Zuschauer und Zuhörer. Sie dürfen sich selbst einbringen, von sich erzählen und ihre Gefühle teilen. Das tun auch die älteren Menschen, die Majchrzak vor die Kamera lockt. Bei ihnen geht es vor allem um die derzeitige Situation der Sinti und Roma, die so viele Jahrzehnte nach dem Holocaust noch immer Rassismus ausgesetzt sind. Die sich beschimpfen lassen müssen, ausgegrenzt werden, nirgends wirklich hingehören. Am stärksten betroffen macht aber wohl die Geschichte einer älteren Dame, die noch direkt von den Grausamkeiten der Nationalsozialisten betroffen war und deren Wunden nie ganz verheilt sind.
Dabei ist Contemporary Past mehr als nur die Auflistung von vergangenem und aktuellem Leid. Vielmehr sucht der Film, suchen die jungen Menschen nach einem Weg in die Zukunft, in dem solche Gräueltaten vielleicht kein Thema mehr sind. Gerade das Thema des Rassismus beschäftigt viele der Teilnehmenden, dem sie mehr Offenheit und Toleranz entgegenbringen wollen. Die eine bessere Welt wollen, als ihnen ihre Vorfahren zurückgelassen haben. Ob sie die am Ende finden werden, ist dabei zwangsläufig noch offen, ob die Wünsche und guten Absichten verfolgt werden, anstatt nur momentaner naiver Idealismus zu sein. Dem dokumentarischen Essay gelingt es jedoch gut, beides in eine Balance zu bringen: das Bewusstsein für das Grauen der Vergangenheit und die Hoffnung auf eine Zukunft, in der es für jeden Menschen einen Platz gibt, woher er auch kommen, wie auch immer er aussehen mag.
OT: „Contemporary Past“
Land: Deutschland, Polen, Rumänien
Jahr: 2019
Regie: Kamil Majchrzak
Drehbuch: Kamil Majchrzak
Musik: Miroslav Rác
Kamera: Tomasz Pawlik
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