Als ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben kommt, landet Beth Harmon (Isla Johnston) in einem Waisenhaus. Ganz leicht tut sie sich mit der Situation dort nicht, bis sie eines Tages im Keller den Hausmeister Mr. Shaibel (Bill Camp) beim Schachspiel beobachtet. Schnell entwickelt sie eine Faszination dafür, prägt sich die Figuren und ihre Bewegungen ein und überredet Mr. Shaibel dazu, ihr die Regeln beizubringen. Tatsächlich zeigt sie dabei großes Talent, sehr zum Ärgernis der Heimleitung, die ihr diese Tätigkeit verbieten will, schließlich gilt Schach in den 1950ern als reine Männerangelegenheit. Doch das wird sich ändern. Von ihrer Adoptivmutter Mrs. Alma Wheatley (Marielle Heller) ermutigt, nimmt die inzwischen zu einer jungen Frau herangewachsenen Beth (Anya Taylor-Joy) an Schachturnieren teil und macht sich dort schnell einen Namen als ungewöhnliche, aber brillante Gegnerin …
Geht nicht? Geht wohl! Die Filmgeschichte ist voller Beispiele, wie irgendwelchen Underdogs gesagt wird, dass sie nie im Leben und unter keinen Umständen eine Chance haben, nur um dann der Welt zu beweisen, dass es anders ist. So etwas erfreut immer das Herz, lässt es einen doch davon träumen, dass es jeder zu etwas bringen kann. Besonders oft sind solche Geschichten im Sportbereich anzutreffen. Dort ist es dann oft ein Haufen von Außenseitern, denen niemand etwas zutraut, die aber in der Gemeinschaft ihre Stärke entdecken und als Team auftreten. Am Ende steht dann gerne mal der Sieg über die Favoriten, wenigstens aber die Erkenntnis, dass man etwas wert ist. Was mindestens genauso wichtig ist wie ein schicker Pokal.
Verloren unter Menschen
Im Prinzip hält sich die Netflix-Serie Das Damengambit genau an dieses bewährte Format. Hier ist es dann zwar ein Schachspiel und keine körperliche Sportart, wie sie sonst in diesem Umfeld zum Einsatz kommt. Aber das ist erst einmal weniger relevant: Auch hier gilt es, allen Zweiflern zu beweisen, dass man mehr drauf hat und es mit den Großen aufnehmen kann. Auswirkungen auf die Geschichte hat die Wahl der Disziplin dafür indirekt. Anders als bei den anderen Sportarten ist Schach eine Solo-Betätigung. Wenn Beth im Laufe der sieben Folgen Strategien lernt und sich in der Rangliste nach oben kämpft, dann bedeutet es auch menschlich voranzukommen. Denn so talentiert sie darin ist, die Züge auf dem Brett zu analysieren, so wenig versteht sie von den Menschen an sich.
Die Adaption von Walter Tevis’ Roman ist deshalb nur zum Teil herkömmliche Aufstiegsgeschichte, sondern verbindet dies mit Coming-of-Age-Elementen, wenn Beth mit den Jahren lernt, ihren Platz in der Welt zu finden. Damit einher geht eine starke feministische Ausrichtung. Immer wieder muss sich die Protagonistin beweisen, als Mädchen wie als erwachsene Frau, während Männer ihr vorschreiben wollen, was sie zu tun und zu lassen hat. Es ist daher mit einer Extraportion Genugtuung verbunden, wenn Beth es den zum Teil doch recht selbstverliebten Gegenspielern zeigt, damit nicht nur einen persönlichen Triumph einholt, sondern einen zwar unbewussten, aber spürbaren Beitrag zur Gleichberechtigung leistet.
Zwischen Sucht und Sehnsucht
Solche Geschichten können dann schnell schon mal ein bisschen glorifizieren oder einseitig moralisieren. Zum Glück ist Das Damengambit in der Hinsicht aber deutlich spannender. Männer sind hier nicht zwangsläufig Unterdrücker, umgekehrt hat Beth so ihre Schattenseiten. Der schockierendste Aspekt ist sicherlich, wie sie schon als junges Mädchen tablettensüchtig wird und die Sucht sich über Jahre hinweg verfestigt. Die allmähliche Selbstfindung und innerliche Erstarkung bedeutet immer auch eine Auseinandersetzung mit inneren Dämonen und verschleppten Traumata, die in der hübsch zurechtgemachten Frau rumoren. Mit Anya Taylor-Joy (Emma., Split) wurde hierfür auch eine Idealbesetzung gefunden. Mit ihrer Darstellung eines jungen Menschen, der zwischen Arroganz und Selbstzweifel schwankt, zwischen Sehnsucht und Eiseskälte, zementiert sie ihren Ruf, eine der spannendsten Jungdarstellerinnen unserer Zeit zu sein.
Eine weitere große Stärke ist die Optik. Das Damengambit wurde mit viel Liebe zum Detail gedreht, sowie einem großen Stilbewusstsein. Ob es die aufwändigen Kostüme sind, die Gestaltung der Schauplätze oder auch die Visualisierung der Schachpartien: Es gibt hier schon jede Menge zu sehen. Die Serie spricht auf diese Weise zusätzlich die Fans von Historiendramen an, die sich an kunstvollen, vielleicht etwas überzogenen Abbildern der Vergangenheit erfreuen. Die großen Überraschungen bleiben hierbei dann zwar aus, manchmal ist das hier zudem recht ungeniert sentimental. Aber es ist in der Summe doch eine wirklich schöne Geschichte, die einen daran glauben lässt, dass am Ende alles gut wird.
OT: „The Queen’s Gambit“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Scott Frank
Drehbuch: Scott Frank
Idee: Allan Scott, Scott Frank
Vorlage: Walter Tevis
Musik: Carlos Rafael Rivera
Kamera: Steven Meizler
Besetzung: Anya Taylor-Joy, Isla Johnston, Bill Camp, Moses Ingram, Marielle Heller, Harry Melling, Thomas Brodie-Sangster
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