Für Bol (Ṣọpẹ́ Dìrísù) und Rial Majur (Wunmi Mosaku) war es eine lange beschwerliche Flucht aus dem Südsudan bis nach England, mit vielen Entbehrungen und großen Verlusten. Vor allem der Tod ihrer Tochter, die unterwegs ertrunken ist, liegt ihn schwer auf ihrer Seele. Doch jetzt scheint ihnen endlich das Glück hold zu sein. Den beiden wurden ein Haus zugeteilt, in dem sie bleiben können, bis ihr Asylantrag bearbeitet ist. Schön ist das Haus sicher nicht, vielmehr schäbig, heruntergekommen. Und doch ist es für sie das Symbol eines besseren Lebens, einer möglichen Zukunft in ihrer neuen Heimat. So dachten sie zumindest. Bald müssen sie dabei aber feststellen, dass ihnen die Geister der Vergangenheit gefolgt sind und etwas Böses hinter den Wänden auf sie lauert …
In Folge der Flüchtlingskrise, welche nach 2015 über längere Zeit die Schlagzeilen und Diskussionen dominierte, kamen eine ganze Flut an Filmen, die sich irgendwie mit dem Thema auseinandersetzten. Vor allem im Bereich des Dokumentarfilms gab es unzählige Beiträge, welche sich die unterschiedlichsten Aspekte dieses Themas aussuchten und näher beleuchteten. Aber auch diverse fiktive Werke versuchten dem Publikum näherzubringen, was es heißt, in der Fremde gestrandet zu sein. Dieses Jahr stachen dabei unter anderem die schockierende Serie Stateless hervor, welche einen Blick auf ein Flüchtlingslager in Australien warf, oder auch Berlin Alexanderplatz, die opulente Neuverfilmung des Romanklassikers.
Der schäbige Albtraum von heute
Mit dem Netflix-Titel His House folgt nun einer der interessantesten Filme, die zu diesem Thema gedreht worden, obwohl – oder weil – ein dafür erst mal nicht so naheliegendes Genre gewählt wurde. Regisseur und Drehbuchautor Remi Weekes, der hiermit sein Langfilmdebüt abliefert, siedelt die Geschichte im Horrorumfeld an. Genauer bedient er sich des immer wieder gern gesehenen Haunted-House-Elements, wenn die Helden und Heldinnen in einem Spukhaus gefangen sind. Hier ist es ausnahmsweise mal kein abgelegenes Herrenhaus, sondern ein vergleichsweise neues Gebäude inmitten der Stadt. Stoff für Albträume bietet jedoch auch dieser Schauplatz mit seinen abblätternden Tapeten, dem modrigen Geruch des Schimmels und der vielen Schatten, bei denen nie ganz klar ist, ob sie nun eingebildet oder real sind.
Das ist dem häuslichen Albtraum von Amulet – Es wird dich finden ganz ähnlich, der zeitgleich mit His House beim Sundance Film Festival 2020 Premiere feierte. Beide Schauergeschichten haben zudem mit traumatischen Erfahrungen im Kriegsumfeld zu tun, welche die Figuren verfolgen. Im Gegensatz zum Kollegen nutzt Weekes diese Ausflüge in die Vergangenheit aber, um etwas über die Gegenwart auszusagen. Genauer führt er vor Augen, was es für die Menschen bedeutet, die vor Terror und Krieg fliehen, um dann in der Fremde eine neue Heimat aufbauen zu wollen. Eine Heimat, die sie im besten Fall duldet. Oft nicht einmal das: Immer wieder gibt es in dem Film Beispiele von Rassismus, mal versteckt, dann wieder ganz offen. Eine der grausamsten Szenen zeigt, wie eine Gruppe schwarzer Jugendlicher die verwirrte Rial verspottet und ihr zuruft, sie soll zurück nach Afrika gehen.
Verfolgt von der Vergangenheit
Ein wichtiger Aspekt des Films ist dann auch der der Identität. Während Bol versucht, alles hinter sich zu lassen, was mit seiner Vergangenheit zu tun hat, will Rial diese Verbindung aufrecht erhalten. His House zeigt auf diese Weise schön, wie innerlich zerrissen Flüchtlinge oft sind, gerade durch den Druck auf Anpassung, dem sie ausgesetzt sind – sei einer von uns oder hau wieder ab! Doch wer sind sie dann? Wie viel solltest du von dem aufgeben, mit dem du abgereist bist? Kannst du das überhaupt? Die Geister der Vergangenheit reisen immer mit, so die Essenz des Films. Aber es bleibt dir überlassen, wie du mit diesen umgehst, ob du sie zu vertreiben versuchst oder lernst mit ihnen zu leben. Obwohl der Titel von seinem Haus spricht, so ist es doch vielmehr ein Haus von vielen.
Einem reinen Horrorpublikum könnte das zu viel Nebensächliches sein, wenn der Film zwischendurch mehr Flüchtlingsdrama als wirklich Genre ist. Umgekehrt ist es nicht unbedingt immer sehr subtil, was Weekes da so treibt, wenn er schon recht offensichtliche Symbolik betreibt. Da merkt man schon, dass die Angst umging, das Publikum könnte vielleicht die transportierte Nachricht nicht ganz verstehen. Doch auch wenn His House manchmal dazu neigt, etwas zu direkt auszuformulieren, so gibt es doch eine ganze Reihe starker Momente und effektiver Querverbindungen. Surreale Zwischensequenzen, reizvolle folkloristische Elemente und eine wendungsreiche Geschichte fügen sich mit ein paar Terrormomenten zu einem sehenswerten Beitrag zusammen, der schockierend und versöhnlich zugleich ist.
OT: „His House“
Land: UK
Jahr: 2020
Regie: Remi Weekes
Drehbuch: Remi Weekes
Geschichte: Felicity Evans, Toby Venables
Musik: Roque Baños
Kamera: Jo Willems
Besetzung: Ṣọpẹ́ Dìrísù, Wunmi Mosaku, Matt Smith
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