Selbst wer sich nicht unbedingt mit der Fleischproduktion beschäftigt, vielleicht sogar keines selbst konsumiert, wird diesen Namen gehört haben: Tönnies. Mehrfach stand das Unternehmen dieses Jahr in den Schlagzeilen, weil deren Fabriken zu Hotspots der Corona-Pandemie wurden. Damit einher ging die Erkenntnis, dass in dieser Branche ganz grundsätzlich etwas verkehrt läuft. Die Arbeitsbedingungen sind oft menschenunwürdig, die Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen werden auf engstem Raum zusammengepfercht. Für die Ausbreitung von Viren und die Einsparung von Kosten ist das prima, moralisch eher weniger. Je mehr im Zuge der Krankheitsbekämpfung ans Tageslicht kam, umso schockierte durfte man sein, wie da Menschen ausgebeutet werden, nur um billiges Fleisch in die Supermärkte zu bekommen.
Ein Skandal mit Ansage
Dabei war die Erkenntnis eigentlich nicht neu. Zumindest Besucher und Besucherinnen des Max Ophüls Preis Filmfests 2020 hatten einige Monate zuvor bereits die Gelegenheit, sich mit den Widrigkeiten zu befassen. Denn dort feierte der Dokumentarfilm Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit Premiere und wurde auch als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Regisseurin Yulia Lokshin gibt darin Einblicke in die Gepflogenheiten bei Tönnies, lange vor dem großen Skandal, tut dies jedoch auf eine sehr eigene Weise. Hier gibt es keinen investigativen Journalismus, der sich heimlich in Fabriken schleicht und Verstöße festhält. Offiziell war sie dort ohnehin nicht erwünscht, man wusste schon warum.
Und so nähert sie sich dem Ganzen über die Menschen an. Das bedeutet einerseits die zu erwartenden Interviews. Lokshin spricht dabei einerseits mit den Arbeitern und Arbeiterinnen, die dort angestellt sind und überwiegend aus Osteuropa kommen. Viel Positives haben die natürlich nicht zu berichten. Großer Zeitdruck, beengte Verhältnisse, Kälte – da wird schon mit der Not der Leute Kasse gemacht. Das bestätigen auch die Gespräche mit den Aktivisten und Aktivistinnen, die sich für bessere Bedingungen einsetzen, woran aber weder die Unternehmer noch die Politik größeres Interesse zu haben scheint. Könnte ja schlecht für die Wirtschaft sein.
Die Vergangenheit an der Schule
Während diese Interviews vergleichsweise konventionell sind, ist ein anderer Einfall verblüffend: Münchner Gymnasiasten führen das Stück Die Heilige Johanna der Schlachthöfe von Bertolt Brecht auf. Das ist bereits aus dem Jahr 1931, wurde aber erst nach dem Tod des Autors 1959 uraufgeführt – der Widerstand war seinerzeit zu groß. Dieses spielt in den Schlachthöfen Chicagos und handelt von einer jungen Frau, die den Arbeitern den Glauben an Gott näherbringen will. Sie setzt sich aber vor allem auch mit Kapitalismus auseinander, mit den Bedingungen von Arbeitern und von der ungleichen Verteilung von Macht. Also alles Themen, die rund 90 Jahre später bei Tönnies wieder auftauchen.
Dennoch dauert es eine Weile, bis diese einzelnen Bestandteile zusammenfinden. Beim Theaterstück ist man doch zuerst mit sich selbst beschäftigt und den Versuchen, die jungen Menschen zu einer Reaktion zu bewegen. Erst mit der Zeit werden sie mit dem Thema warm, beginnen stärker darüber nachzudenken und eigene Positionen zu finden. Das Publikum daheim darf zeitgleich ebenfalls ein bisschen nachgrübeln, wobei der Schluss eigentlich so offensichtlich ist, dass man schwer zu einem anderen kommen kann. Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit ist als Film zwar so ungewöhnlich wie der Titel, führt aber doch zu dem Ziel, das wir aus anderen Dokumentationen aus diesem Themengebiet kennen: Das Publikum soll sich bewusst werden, was diese Produkte bedeuten, die tagtäglich in unseren Einkaufskörben landen, und dass sie vielleicht nicht mit Geld, dafür anderweitig teuer eingekauft wurden.
OT: „Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Yulia Lokshina
Drehbuch: Yulia Lokshina
Kamera: Zeno Legner, Lilli Pongratz
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