The Enigma of Arrival
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The Enigma of Arrival

Kritik

The Enigma of Arrival
„The Enigma of Arrival“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Früher einmal, da waren sie unzertrennlich. Zhao Xiaolong (Xian Li), Fang Yuan (Borui Dong), San Pi (Wei Liu) und Dai Siwen (Xiaofan Lin) verbrachten viel Zeit miteinander, machten dabei auch schon mal was richtig Blödes, während sie von einem besseren Leben träumten. Doch das ist Jahre her, inzwischen hat es sie in alle möglichen Richtungen verschlagen. Als sie nun doch wieder einmal zusammenkommen, ist dieses Wiedersehen auch nicht ganz einfach. Schließlich hatte es seine Gründe, weshalb sie damals getrennte Wege gingen. Gründe, die mit Li Dongdong (Xuan Gu) zusammenhängen, einem hübschen Mädchen, das Teil ihrer Clique wurde, bis sie eines Tages spurlos verschwand …

Es ist oft mit etwas eigenen, eher gemischten Gefühlen verbunden, wenn sich einstige Freunde, die sich jahrelang nicht mehr gesehen haben, wieder treffen. Da wird einerseits viel von früher geträumt, von einer Zeit, in der man jünger war und alle Türen offen zu stehen schienen. Ein Fest der Nostalgie. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, sich damit auseinanderzusetzen, dass vieles eben nicht mehr so ist wie damals. Dass man selbst nicht mehr so ist. Die Welt hat sich als eine andere herausgestellt. Da gehen Glücksgefühle schon mal mit Ernüchterung einher. Vor allem wenn dann bei der gemeinsamen Beschäftigung mit der Vergangenheit die weniger schönen Dinge zur Sprache kommen und man sich eventuell eingestehen muss, dass das vielleicht doch nicht alles so toll war.

Eine Zeit davor, eine Zeit danach
Zumindest teilweise baut The Enigma of Arrival auf einer solchen Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart auf, wenn wir hier einer einstigen Freundesclique begegnen, die sich viele Jahre später noch einmal trifft. Und doch ist der Film nur bedingt mit thematisch ähnlich gelagerten Werken wie 10 Jahre – Zauber eines Wiedersehens oder Der Sommer nach dem Abitur zu vergleichen. Dort ist die Erzählzeit in der Gegenwart angesiedelt, von der aus mittels Gesprächen die Gegenwart wieder neu erlebt wird. Das chinesische Drama ist hingegen klar in der Vergangenheit angesiedelt, die über längere Zeit chronologisch erzählt wird. Wir sind hier also dabei, während die Dinge geschehen und sehen später nur die Auswirkungen der Ereignisse.

Genauer besteht The Enigma of Arrival aus zwei Hälften, die so unterschiedlich sind, dass man fast von zwei separaten Filmen sprechen muss. Die erste Hälfte ist eine eher konventionelle Darstellung einer Freundesclique in jungen Jahren, die sich in Kinos B-Movies anschaut, viel in einem Restaurant abhängt und davon träumt, sich ein cooleres Motorrad zuzulegen und mal nach Japan zu reisen. Es ist ein ereignisloses, wenig glamouröses Leben, auf der einen Seite noch unschuldig aufgrund mangelnden besseren Wissens, gleichzeitig mit ersten dunklen Flecken. So lassen sich die Jungs zu unüberlegten Sachen hinreißen, für die sie mehrfach einen hohen Preis zu zahlen haben – einen sofortigen und einen, der erst später fällig wird und nicht sofort offensichtlich ist.

Ein Drama im Wandel
The Enigma of Arrival ist dann auch ein Film über die Folgen unserer Taten und wie uns diese Jahre später noch prägen. Ein Film über den Verlust von Unschuld. Vor allem aber hat Wen Song einen Film über zwischenmenschliche Beziehungen gedreht, über deren Brüchigkeit und wie sie sich verändern können. Während Xiaolong nach dem Verschwinden von Dongdong zunehmend besessen ist und sein ganzes Leben davon geprägt sein wird, haben andere den Vorfall bald hinter sich gelassen und damit die Brücke zu ihrer Vergangenheit. Damit einher geht die Frage, was genau denn damals eigentlich vorgefallen ist. Phasenweise wird das Drama auf diese Weise zu einem Krimi voller Hypothesen, falscher Spuren und sich widersprechender Aussagen. Parallel zu Xiaolong, der zur Identifikationsfigur wird, darf das Publikum kräftig miträtseln.

Song geht es dabei aber weniger um die Frage der Wahrheit, sondern die Subjektivität von Wahrheit. Immer wieder wechselt er die Perspektive, springt von einer Figur zur nächsten, um auf diese Weise ein Puzzleteil nach dem anderen hinzuzufügen. Das dabei entstehende Bild bleibt jedoch fragmentarisch, da die Männer zwar alle Teil derselben Geschichte sind, aber nicht dieselbe Geschichte erzählen. Wer sich den Beitrag vom Chinesischen Filmfest München 2020 also in erster Linie deswegen anschauen will, um zu erfahren, was geschehen ist, für den wird das nicht unbedingt genug sein. Stattdessen handelt es sich um ein stark gespieltes Drama, zwischen dokumentarisch und kunstvoll wechselnd, das auch sehr schmerzhaft werden kann. Das am Ende auch selbst ein kleines Rätsel bleibt – wie das zerbrechliche Leben, dem es sich annähert.

Credits

OT: „Di da zhi mi“
Land: China
Jahr: 2018
Regie: Wen Song
Drehbuch: Wen Song, Zonglei Li, Richeng Tao, Lian Duan
Musik: Zhu Mingkang
Kamera: You Li
Besetzung: Xian Li, Xuan Gu, Borui Dong, Xiaofan Lin, Wei Liu, Zonglei Li, Qiyan Zhang

Bilder

Trailer

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„The Enigma of Arrival“ folgt einer Freundesclique, die in einem ereignislosen Leben gefangen von etwas Besserem träumt – bis ein Zwischenfall alles anders macht. Der Film nimmt dabei zwar Krimielemente auf, wenn die Frage im Raum steht, was beim Verschwinden einer jungen Frau vorgefallen ist. Im Wesentlichen handelt es sich aber um ein Drama über den Verlust von Unschuld und sich verschiebende Beziehungen
8
von 10