Wang Erhao (Tian Tian) hat einfach kein Glück in ihrem Leben. Zwei Männer hat sie schon begraben müssen, nun starb auch noch ihr dritter, als dessen Feuerwerk-Fabrik explodiert. Sie selbst überlebt den Vorfall jedoch auf wundersame Weise, weshalb ihr schon bald nachgesagt wird, sie sei eine Hexe und verfüge über übernatürliche Kräfte. Davon will Erhao zunächst nichts wissen. Stattdessen sucht sie für sich und ihren 10-jährigen, stummen Schwager Shi Tou (Xinyu Wen) erst einmal eine neue Bleibe. Doch das ist gar nicht so einfach, so ganz ohne Geld. Und so beschließt sie, die Gerüchte über sich zu nutzen und als Schamanin aufzutreten – zumal es tatsächlich immer wieder zu sonderbaren Vorfällen kommt …
Die Frau als Hexe
Die Rollen von Frauen in Filmen sind traditionell ja eher etwas undankbar. Ob sie nun das Objekt der Begierde sind, die Freundin des Helden oder Mutter – fast immer gibt es sie nur in Relation zu anderen Menschen. Oder man macht sie eben gleich zur Hexe, das Symbol einer unabhängigen Frau, die sich keinem Mann unterordnen will und deswegen automatisch irgendwie böse sein muss. Wenn Erhao in The Widowed Witch von den anderen zur Hexe erklärt wird, dann nicht zuletzt deswegen, weil ihre Männer gestorben sind. Dass einer mal vorzeitig aus dem Leben scheidet, das kann vorkommen. Aber gleich mehrere? Da muss es mit dem Teufel zugehen. Oder eben mit der Frau.
Mit einer besonders schockierenden Szene beginnt das Drama, in dem ein Mann dann doch wieder die Vorherrschaft über die Witwe übernehmen will. Nach diesem harten Einstieg wird The Widowed Witch zwar zunehmend leichter. An manchen Stellen ist es sogar geradezu komisch, wie sich die Protagonistin als Hexe wider Willen durchs Leben schlägt und den Menschen genau das sagt, was sie hören will. Doch die angeschnittenen Themen bleiben. Immer wieder dreht sich der Film um Geschlechterrollen, um Traditionen und überlieferte Überzeugungen, um Erwartungen, die man zu erfüllen hat, wenn man Teil einer Gesellschaft sein will. Wobei Erhao dabei selbst zwiespältig bleibt, die Annahme ihrer Schamaninnen-Rolle geschieht teils aus Notwendigkeit, wenn sie irgendwie überleben will. Sie bietet ihr aber auch die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun.
Die magische Beschäftigung mit dem Alltag
Regisseur und Drehbuchautor Chengjie Cai, der hiermit sein Spielfilmdebüt abgibt, zeigt sich dabei als Vertreter eines magischen Realismus. So wie die Anhäufung von Todesfällen Zufall sein kann, geschieht in The Widowed Witch eigentlich nichts, was völlig unmöglich wäre. Er lässt dann auch weitestgehend offen, ob sie denn nun über Kräfte verfügt oder ob die Wunder das Ergebnis von Aberglaube und Selbsttäuschung ist. Wichtiger ist es ihm, von den Auswirkungen und den Reaktionen zu erzählen. Auch das kann zuweilen recht komisch sein. Doch gegen Ende wird es wieder ziemlich düster. Das Drama ist eine bittere und zynische Abrechnung mit der menschlichen Natur, prangert diverse Missstände in der Gesellschaft an und findet selbst im Glück noch das Unglück.
Dass die Stimmung an manchen Stellen sehr beklemmend ist, liegt auch an der ungewöhnlichen Optik. Zum einen verwendet The Widowed Witch das ältere 4:3 Format. Zum anderen gibt es so gut wie keine Kamerabewegungen. Die meiste Zeit über ist der Ausschnitt starr, was die Bilder zu einem Gefängnis werden lässt, aus dem man sich nicht befreien kann. Eigenwillig ist auch die Verwendung von Farbe bzw. deren Fehlen. Die meisten Aufnahmen sind in Schwarzweiß. Wenn dann doch mal etwas bunt wird, dann verleiht es den Szenen etwas Gespenstisches und Surreales, zumal oft nur einzelne Elemente davon betroffen sind, was zu sehr starken Kontrasten führt. Gleichzeitig sind die Bilder aber auch sehr schön, teils kunstvoll zusammengestellt, weshalb man beim Geheimtipp vom Chinesischen Filmfest München 2020 immer wieder zum Träumen neigt – bis der wenig traumhafte Alltag wieder auftaucht, grotesk, lächerlich und traurig.
OT: „Xiao gua fu cheng xian ji“
Land: China
Jahr: 2018
Regie: Chengjie Cai
Drehbuch: Chengjie Cai
Musik: Qiang Li, Weiye Jin
Kamera: Feng Jiao
Besetzung: Tian Tian, Xinyu Wen
International Film Festival Rotterdam 2018
Chinesisches Filmfest München 2020
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