Die Bilder der Menschen, die unter dem Motto Black Lives Matter protestierten, gingen dieses Jahr um die Welt und haben viele berührt. Wie kann es sein, dass so viele Schwarze Opfer von Polizeigewalt werden, gerade, aber nicht ausschließlich, in den USA? Doch institutioneller Rassismus bedeutet nicht allein, auf offener Straße, manchmal auch daheim, im Namen des Gesetzes ermordet zu werden. Er bedeutet auch, dass schwarze Männer und Frauen oft deutlich härtere Strafen im Justizsystem erfahren. Wo die weiße Bevölkerung teils mit einer Verwarnung davonkäme, dürfen Minderheiten kaum auf Milde hoffen. Selbst Bagatellen können drakonische Strafen nach sich ziehen.
Eine Bagatelle war es sicher nicht, als Fox und Robert Richardson vor zwanzig Jahren entschieden, eine Bank ausrauben zu wollen. Während Fox aufgrund eines Deals mit der Staatsanwaltschaft mit zwölf Jahren Gefängnis davon kam, von dem sie auch nur einen Teil absitzen musste, wurde ihr Ehemann zu sechzig Jahren verurteilt, ohne die Chance auf eine Begnadigung. Dass dieses Urteil exzessiv ist und in keinem Verhältnis zu anderen Gefängnisstrafen steht, das muss man nicht erst erklären. Wobei der Fall nicht allein für Rassismus steht, sondern allgemein für ein Justizsystem in den USA, das nicht viel übrig hat für den Menschen und das Individuum.
Das Schicksal hinter der Strafe
Time erinnert daran, dass ein Sträfling ein Mensch ist und hinter einer Zahl ein Schicksal steckt. Anders als man erwarten könnte, nimmt sich Regisseurin Garrett Bradley aber nicht explizit der diversen Mängel des Systems an. Sie zeigt auch nicht Robert, wie es ihm während seiner Zeit hinter Gittern steht. Stattdessen besteht ihr Dokumentarfilm aus zwei hauptsächlichen Bestandteilen. Der eine hat Fox zum Mittelpunkt, die – vorzeitig entlassen – darum kämpft, dass ihr Mann nicht die vollen 60 Jahre absitzen muss. Dieser Teil funktioniert als Kritik an dem System an sich, wenn Fox die Menschen zwar höflich begegnen, aber keiner Interesse an ihr und ihrer Geschichte hat. Eine Kritik, die auch beim Zuschauer jede Menge Wut auslöst und die Geduld der Aktivistin bewundernswert macht.
Noch größeren Eindruck hinterlässt aber der andere Bestandteil. Time führt vor Augen, was die Gefängnisstrafe von Robert für die Familie bedeutet. Mehr als zwanzig Jahre war er in Haft, bevor Fox Erfolg hatte. Zwanzig Jahre, die der Dokumentarfilm mit Hilfe von Home Videos verdeutlicht. Besonders bitter ist in dem Zusammenhang natürlich, wie die Kinder ohne ihren Vater aufwachsen müssen. Vier Jungs hatten die beiden bereits vor dem Überfall, Fox war mit weiteren zwei schwanger. Der Dokumentarfilm hält fest, wie sie von Anfang an ohne Robert auskommen mussten und wie das Leben war in all den Jahren während seiner Inhaftierung. Wir sind dabei, wie die Kinder erste Schritte gehen, aufwachsen, zu Jugendlichen werden.
Ein unwiderruflicher Zeitverlust
Solche sehr persönlichen Aufnahmen können oft eine unangenehm voyeuristische Note annehmen. Im Fall von Time ist das glücklicherweise nicht der Fall. Ohne große Manipulationen lässt uns der Film an einem Leben teilhaben, das einerseits reich an Eindrücken ist, gleichzeitig immer von einer Leerstelle geprägt wurde. Von einem Verlust, der nicht wieder gutzumachen ist. Das Thema der Zeit, welches im Titel angekündigt ist, wird hier durch ein subjektives Empfinden ausgedrückt. Es sind keine großen Momente, die Bradley und Richardson mit uns teilen, sondern die kleinen des Alltags – die gerade deshalb auf so viel Resonanz stoßen, weil sie jeder erlebt oder erleben könnte.
Der Dokumentarfilm, der auf dem Sundance Film Festival 2020 mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet wurde und anschließend bei Amazon Prime Video landete, ist ein berührendes Werk, wunderschön und eben traurig. Gerade die Schwarzweißaufnahmen verleihen Time eine sehr poetische, manchmal verträumte Note. Ob dies bei einem so hässlichen Thema der richtige Zugang ist, darüber lässt sich streiten. Manchmal fehlt die Dringlichkeit, die gesellschaftlichen Probleme anzugehen, wenn einem gerade das Herz aufgeht, zu welch starken Persönlichkeiten die Zwillinge heranwachsen und sie nicht an ihrem Schicksal zerbrechen. Aber der Film lässt einen eben auch spüren, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, zu lieben und zu trauern, zu verzweifeln und zu hoffen, während die Zeit unbeirrt weiter voranschreitet.
OT: „Time“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Garrett Bradley
Musik: Jamieson Shaw, Edwin Montgomery
Kamera: Zac Manuel, Justin Zeifach, Nisa East
Wie kam sie auf das Thema von Time? Und was läuft da verkehrt beim amerikanischen Rechtssystem? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseurin Garrett Bradley in unserem Interview gestellt.
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