Manche Städte sind innerhalb des Mediums Film von jeher mit einem bestimmten Image, wenn nicht gar mit einem bestimmten Genre verknüpft. Während man Tokio unweigerlich mit jener großen Riesenechse verbindet, welche ab den 1950er Jahren die Stadt immer wieder attackierte, oder New York mit diversen Alien-Invasionen oder eben den Eskapaden von Harry und Sally, ist Chicago wohl jene Stadt, die als Synonym für den Gangsterfilm gilt. Seit Schauspieler wie Paul Muni oder James Cagney in den 30er Jahren und darüber hinaus die Figur des Gangsters richtig berühmt machten, ist Chicago als Austragungsort von Bandenkriegen, Schießereien sowie dem Aufstieg und Fall eines Imperiums der passende Hintergrund.
Ganz anders ist da die Annäherung, welcher der deutsche Regisseur Heinrich Hauser in seiner Reisereportage Feldwege nach Chicago wählt. Dort heißt es an einer Stelle: „Die ist die schönste Stadt der Welt: technischer Traum als Aluminium, Glas, Stahl, Zement und künstlichen Sonnen, fremdartig wie ein anderer Stern.“ Nicht nur seine Notizbücher waren Hausers ständige Gefährten auf solchen Reisen, sondern auch seine Kamera, mit welcher er seine Eindrücke festhielt und in der Dokumentation Chicago – Weltstadt in den Flegeljahren verewigte. Gerade vor dem Hintergrund der Faszination für die Stadt als Raum der Möglichkeiten, als Platz der Ausschweifung, als Sinnbild der Moderne wie auch der Technisierung, aber auch der Klassenunterschiede zeichnet Hauser ein einnehmendes Bild Chicagos als Blaupause einer modernen Metropole.
Labyrinth aus Glas und Steinen
Nach Veröffentlichungen wie Die Stadt ohne Juden ist es abermals absolut MEDIEN zu verdanken, dass wir als Zuschauer ein filmisches Dokument erhalten, welches nicht nur aus filmhistorischer Sicht von einigem Wert ist, sondern zudem auch noch sehr gut unterhält. Mag Hauser auch wegen einer Reisereportage unterwegs gewesen sein, so ist seine Motivation, wie man schon nach wenigen Minuten des Films sehen wird, eine ganz andere, nämlich den Raum Stadt zu zeigen in all seinen Facetten, den strahlenden wie auch den dunklen Ecken. Die Faszination für diesen Ort zeigt sich in jedem der Bilder, den Gesichtern der Passanten, der strahlenden Kinder, die auf der Straße spielen, wie auch den Pendlern, die sich wie Abenteurer in einem Dschungel durch das morgendliche Gedrängel auf den Straßen Chicagos zu ihrem Arbeitsplatz durchschlagen.
Wie sein Sujet ist auch der Film an sich ständig in Bewegung. Hausers Kamera hastet wie eine Art rasender Reporter durch diese Stadt, nimmt alles auf und verbindet es zu einem großen Ganzen, zu einem stolzen Puzzle, der Silhouette der Stadt, welche sich aus dem Morgennebel schält. In gewisser Weise ist Chicago – Weltstadt in den Flegeljahren ein von den Eindrücken der Neuen Sachlichkeit geprägtes Dokument und hat bisweilen einen ähnlichen Ton wie die großen Stadtromane eines Erich Kästner oder Alfred Döblin. Hinter dem „Labyrinth aus Glas und Steinen“ verbergen sich die guten Boutiquen wie auch die Elendsviertel, die „Kehrseite der Front“, wie es an einer Stelle im Film heißt. So ist die Stadt nicht nur ein Raum der Moderne, sondern auch ein Abbild der Gesellschaft, ihres atemlosen Fortschrittsdrangs wie auch der Elendsviertel, der Arbeitslosigkeit und der Armut.
OT: „Chicago – Weltstadt in den Flegeljahren“
Land: Deutschland
Jahr: 1931
Regie: Heinrich Hauser
Musik: Andy Miles
Kamera: Heinrich Hauser
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