Eigentlich war Philosophie-Professorin Judith (Sophie von Kessel) bereits auf dem Weg zu ihren Eltern, um mit diesen Weihnachten zu feiern. Ihre Sachen sind gepackt, sie hat aus dem Hotel ausgecheckt. Doch wo ist das Taxi, das eigentlich vor der Tür auf sie warten sollte? Abbestellt, erklärt ihr Thomas (Charly Hübner), der auf einmal vor ihr steht und sich als Polizist ausgibt. Er habe nur ein paar Fragen, versichert er ihr, weshalb sie ihm, wenn auch zögerlich, zurück ins Hotel folgt. Doch aus diesen paar Fragen wird ein nervenaufreibendes Verhör, denn es stehen jede Menge Menschenleben auf dem Spiel – und es bleibt nur noch wenig Zeit …
Weihnachten im Fernsehen, das bedeutet meist Märchen, Liebesgeschichten oder Animation für die Kleinen. Doch es geht auch anders, wie Das Verhör in der Nacht vormacht. Hier wird das Fest der Liebe zum Schauplatz eines Kampfes, der viele Facetten enthält. Es ist ein Kampf der Ideologien und um die Legitimität von Gewalt. Es ist ein Kampf der Worte, wenn zwei Menschen darum ringen, wer die Deutungshoheit hat. Aber es ist auch ein persönlicher Kampf, der sich um Emotionen dreht, um Aufopferung und die Frage, was wir bereit sind für andere aufzugeben. Mit Weihnachten an sich hat das zwar weniger zu tun. Als Kulisse spielt es jedoch immer wieder mit ein, der Kontrast zwischen zeitlichem Setting und Inhalt könnte inhaltlich nicht größer sein.
Das Hotelzimmer als Bühne
Ausgedacht hat sich dieses Szenario der Autor Daniel Kehlmann (Die Vermessung der Welt, Ich und Kaminski), auf dessen Theaterstück der Film basiert und der auch das Drehbuch geschrieben hat. Dass die Geschichte eigentlich auf einer Bühne zu Hause ist, das merkt man ihr zu jeder Zeit an. Zum einen spielt sich ein Großteil von ihr in dem Hotelzimmer ab, das zum Ort des Verhörs wird. Aber auch die Dialoge hören sich nur selten nach etwas an, was Menschen in der Realität von sich geben würden. Zum Teil ist das natürlich den Figuren als solchen geschuldet – von einer Philosophie-Professorin wird es fast schon erwartet, in anderen sprachlichen Sphären unterwegs zu sein. Zum Teil sind die Dialoge aber auch nur ein Mittel zum Zweck für die inhaltliche Auseinandersetzung, weshalb so manches hier aus dem Zylinder gezaubert wird, bei dem man sich fragt, wie es überhaupt da hinein gekommen ist.
Aber in Das Verhör in der Nacht geht es eben nicht darum, zwei Menschen in einer authentischen Situation zu zeigen, sondern sich mit ganz grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen, illustriert an einem Beispiel. Das erinnert an diverse andere TV-Diskussionsfilme wie kürzlich Gott zum Thema Sterbehilfe oder Ökozid, in dem es um die Frage geht, ob ein mangelnder Klimaschutz Klagegrund ist. Hier nun stehen zwei Faktoren gegenüber, die schon seit Jahren im Streit miteinander sind: Freiheit und Sicherheit. Vor allem die Ausweitung von Überwachung im Folge der zahlreichen terroristischen Anschläge der letzten zwanzig Jahre wird immer wieder kontrovers diskutiert. Aber auch: Ist Gewalt gerechtfertigt, um weitere Gewalt zu verhindern?
Die Frage der abstrakten Bedrohung
Das Verhör in der Nacht bleibt in der Hinsicht jedoch vergleichsweise abstrakt, versucht auch nicht, das Publikum auf billige Weise zu manipulieren: Hier gibt es keine dramatische Musik oder einen Countdown, der bis zum Knall eifrig mitzählt. Das liegt auch daran, dass Kehlmann offen lässt, ob es diese Bedrohung überhaupt gibt, was die Maßnahmen noch einmal ambivalenter werden lässt. Selbst wer sich zu der Entscheidung durchringen konnte, dass Gewalt und die Aussetzung von Menschenrechten in manchen Situationen gerechtfertigt sind, wenn es um das Gemeinwohl geht, kommt hier in Rechtfertigungsnöte. Der Film gibt dem Publikum eben nicht den Freischein, einfach mal ein Auge zuzudrücken, nach dem Motto: Ist ja gut gegangen!
Das wird nicht unbedingt allen gefallen. Das Verhör in der Nacht behält trotz vereinzelter persönlicher Ausflüge eine distanziert-hypothetische Haltung bei, die zuweilen schon ins Surreale reicht. Anders als bei den obigen TV-Kollegen, die sich ebenfalls in erster Linie dem Diskurs verschrieben haben anstatt dem Narrativen, ist das hier aber durchweg spannend. Das ist in erster Linie ein Verdienst des Schauspielduos: Sophie von Kessel und Charly Hübner (Hausen) holen sehr viel aus dieser Duellsituation heraus, belauern sich, versuchen bei aller Konfrontation ihre Höflichkeit beizubehalten. Hier gibt es kein Geschrei, keine Good-Cop-Bad-Cop-Spiele, sondern ein ausgiebiges Spiel mit den Schatten, bei dem bis zum Schluss offen bleibt, wie weit Thomas gehen würde und ob Judith das ist, was ihr vorgeworfen wird.
OT: „Das Verhör in der Nacht“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Matti Geschonneck
Drehbuch: Daniel Kehlmann
Vorlage: Daniel Kehlmann
Musik: Nikolaus Glowna
Kamera: Judith Kaufmann
Besetzung: Charly Hübner, Sophie von Kessel
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