Als Unternehmer ist Victor Genovés (Luis Tosar) zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen. Dabei bringt ihn so schnell nichts aus der Ruhe, er ist es gewohnt, immer wieder schwierige Entscheidungen treffen zu müssen. Doch diese hier wird selbst für ihn zu einer unüberwindbaren Aufgabe: Eine Gruppe namens „Die Schergen des Midas“ hat ihm einen Brief geschickt, in dem sie ihn auffordert, 50 Millionen Euro zu zahlen. Tut er dies nicht, wird alle paar Tage ein Mensch ermordet, so lange, bis er einwilligt. Zunächst hält er die Drohung für einen Scherz, wird jedoch bald eines Besseren belehrt. Doch was tun? Die Aufforderung ignorieren? Die Polizei einschalten? Oder am Ende doch die Summe zahlen? Schließlich ist er durch sein Handeln für das Leben anderer Menschen verantwortlich. Zahlt er nicht, wird das für viele andere den Tod bedeuten …
Die meisten dürften Jack London in erster Linie mit seinen Abenteuerromanen in Verbindung bringen, die in der Wildnis Nordamerikas spielen und von der Schönheit der Natur sprechen – etwa Ruf der Wildnis oder Die Abenteuer von Wolfsblut. Dabei schrieb er durchaus auch von der Zivilisation. Oder dem, was sich Zivilisation nennt. So auch in der 1901 veröffentlichten Kurzgeschichte Die Lieblinge des Midas, welche die Grundlage der Netflix-Produktion Die Schergen des Midas bildet. Von Natur ist weit und breit nichts zu sehen, keine Idylle, die es zu bewahren gilt. Vielmehr zeigt die Serie menschliche Abgründe sowie eine Gesellschaft, die auseinanderbricht.
Ich soll für andere bezahlen?
Im Mittelpunkt steht dabei Genovés, der eines Tages unverhofft über Leben und Tod entscheiden soll. Bezahlt er nicht die geforderte Summe, wird jemand getötet. Und dann noch einer und noch einer. Das kommt bei Erpressungen natürlich schon immer mal wieder vor, wenn Protagonisten und Protagonistinnen entscheiden müssen, wie viel ihnen das Geld eines geliebten Menschen wert ist. Die Schergen des Midas ist dabei aber noch einmal etwas gemeiner, da es hier eben nicht um Angehörige geht, um die eigenen Kinder oder sonstige Leute, die einem nahestehen. Stattdessen geht es um Wildfremde, die man nicht kennt, nie kennen wird, mit denen einen gar nichts verbindet. Und die sollen einem Millionen von Euro wert sein?
Kaum einer würde in einer solchen Situation bezahlen, heißt es an einer Stelle. Und natürlich ist die Geschichte völlig konstruiert. Ob es das grundsätzliche Szenario ist, die ausgeklügelten Todesmomente oder die geradezu unverschämt höflichen Briefe, die Genovés erhält: Nichts an Die Schergen des Midas ist auch nur im Entferntesten glaubwürdig. Doch das bedeutet hier nicht zwangsläufig einen Nachteil. Vielmehr gleicht es einem Gedankenexperiment. Das Publikum wird implizit immer dazu aufgefordert, selbst Stellung zu beziehen. Könnte man mit der Gewissheit leben, den Tod anderer nicht verhindert zu haben? Die Serie spricht damit eben nicht nur die Frage nach dem Wert eines menschlichen Lebens an und ob man diesen in Zahlen ausdrücken kann, sondern führt auch vor Augen, wie abstrakt andere Menschen für einen sind, wenn sie nicht unserem Umfeld entstammen.
Geld regiert die Welt
Die Schergen des Midas erinnert dabei durchaus an Die Brücke – Transit in den Tod und andere Serien, in denen brillante Masterminds grausame Morde begehen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Zumal die von Mateo Gil und Miguel Barros entwickelte Serie ein Spanien zeigen, das kurz vor einem erneuten Bürgerkrieg steht. Doch dieses Mal geht es nicht um einen Kampf zwischen Demokraten und Faschisten, sondern zwischen den Reichen und den Armen. Immer wieder wird die Suche nach der geheimnisvollen Organisation mit Bildern von der Straße verknüpft, wo die Menschen zunehmend gewaltsam gegen die da oben protestieren. Und auch wenn inhaltlich beides nur selten miteinander verbunden wird, es trägt doch ungemein zu der dystopischen Stimmung rund um korrupte, amoralische Eliten bei, die für Geld und Macht über Leichen gehen.
Manchmal fehlt es da an der letzten Konsequenz. Da man das Mysterium um die Midas-Gruppe nicht in der ersten Staffel bereits verraten wollte, tritt die Geschichte zuweilen schon auf der Stelle. Anstatt die Ideen weiter zu verfolgen, wechselt der Fokus da schon mal auf die von Marta Belmonte gespielte Journalistin Mónica Báez, die trotz bester Absichten und brisanter Informationen selbst an dem System scheitert. Die auch an Victor scheidet, schön ambivalent durch Luis Tosar (Sleep Tight) verkörpert. Das ist dann durchaus sehenswert, aufgrund der moralischen Komponente und macht, trotz eines typischen Netflix-Endes, neugierig darauf, wie es in einer hypothetischen zweiten Staffel weitergehen könnte, selbst wenn diese derzeit nicht vorgesehen ist.
OT: „Los favoritos de Midas“
IT: „The Minions of Midas“
Land: Spanien
Jahr: 2020
Regie: Mateo Gil
Drehbuch: Mateo Gil, Miguel Barros, Arantxa Cuesta, David Muñoz
Vorlage: Jack London
Idee: Mateo Gil, Miguel Barros
Musik: Lucas Vidal
Kamera: Pau Esteve Birba
Besetzung: Luis Tosar, Marta Belmonte, Carlos Blanco, Marta Milans, Bea Segura, Guillermo Toledo
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