Everything That Is Forgotten in an Instant

Everything That Is Forgotten in an Instant

Kritik

Im Sinne der Authentizität eines Werkes, egal ob aus der Literatur oder aus dem Bereich Film, wird ein Liebhaber bestimmt irgendwann einmal dazu übergehen, es nicht länger mehr in einer synchronisierten Fassung schauen oder lesen zu wollen, sondern im Original. Gerade in Deutschland ist das Publikum in der besonderen Lage, dass es sich gar nicht erst mit Untertiteln befassen muss, wenn man von wenigen Ausnahmen absieht. Speziell im Bereich der Big Budget-Produktionen wird wohl niemand auf die Idee kommen, einen Film für das hiesige Publikum nicht zu synchronisieren. Dennoch geht in diesem Prozess immer etwas verloren, vom Sprachduktus der Akteure, die vielleicht extra für die Rolle eine bestimmte Sprechweise trainiert haben oder gar eine andere Sprache gelernt haben. Jedoch sollten sich auch Freunde von Untertiteln nicht gefeit fühlen, denn gerade bei dem Bemühen die Sprache eines Filmes zu verstehen, gibt man durch den fast beständigen Blick auf den Bildschirmrand auf, sich ganz dem eigentlich wichtigen, nämlich dem Bild zu widmen.

Mag die Diskrepanz zwischen Bild und Ton auch nicht ins Gewicht fallen oder sich dem Einzelnen erschließen, ist sie doch ein Fakt sowie der Ausgangspunkt von Richard Shpuntoff filmischem Essay Everything That Is Forgotten in an Instant, der auf der diesjährigen DOK Leipzig gezeigt wird. Shpuntoff weiß, wovon er spricht, hat er doch selbst über viele Jahre, wie er gleich zu Anfang des Filmes sagt, für viele ausländische Produktionen die Übersetzung angefertigt und die Untertitel für das spanischsprachige Publikum verfasst. Immer geht etwas verloren, vom Bild oder von der Sprache, die man versucht zu verstehen, und man macht sich als Zuschauer in gewisser Hinsicht von dem Blick auf die Untertitel abhängig, obwohl diese nicht immer gut sind oder teils sogar in eine ganz andere Richtung gehen als das, was die Schauspieler in einer Szene sagen. Für ihn ist diese Verlusterfahrung, die Sprengung von Seh- und Hörgewohnheiten der Ausgangspunkt für einen filmischen Essay, in dem es vor allem um das Finden von Sprache und von Verbindungen zwischen Menschen wie auch Sprachwelten geht.

Die Freiheit der Wüste
Eigentlich sollten Untertitel vor allem eine Hilfe beim Verständnis eines Filmes sein, aber beim besten Willen nicht alles vermitteln, geht doch die Hauptaussage einer Szene vor allem über das Bild an sich aus. Shpuntoff nutzt dies als Grundlage für ein interessantes Experiment, wenn er bewusst Untertitel bei Szenen weglässt, die in einer anderen Sprache gesprochen werden oder aber diese bewusst irreführend gestaltet. Während in einer langen Sequenz über die Veränderungen der Infrastruktur in Buenos Aires sowie das politische Klima gesprochen wird, behandeln die englischen Untertitel einen ganz anderen Zusammenhang, der lediglich thematisch mit dem Bild verknüpft ist. In der folgenden Sequenz wechselt die Szene zu New York, genauer gesagt in jene Bezirke, in denen Shpuntoff aufwuchs, und es geht ebenfalls um Infrastruktur, wie die Pläne zum Bau eines Highways, dieses Mal unterlegt mit spanischen Untertiteln, welche aber eher zu der vorherigen Sequenz passen. Dies ist nur eines von vielen Spielen, welches Shpuntoff mit seinem Zuschauer treibt, der sich schon bald auf dieses einlässt und anfängt, weniger Beachtung dem geschriebenen Wort, der Übersetzung zukommen zu lassen und sich stattdessen lieber den Bildern sowie den Figuren widmet.

Begibt man sich in diese „Wüste“, um die Metapher Shpuntoffs zu nutzen, und wagt man es sich, frei von der Abhängigkeit des Verstehens über Sprache zu machen, merkt man, wie viel mehr man paradoxerweise versteht. Jedoch ist dies nicht bloß eine kauzige Fingerübung des Regisseurs, sondern sie hat Methode, geht es Shpuntoff darum, sich von Gewohnheiten zu trennen und die großen Zusammenhänge zu erkennen. Das Verständnis kann intuitiv stattfinden, ohne die Falle der Sprache, was zu einer anderen Seherfahrung für den Zuschauer werden kann, sofern man gewillt ist, sich auf dieses sehr eigenwillige Experiment einzulassen.

Credits

OT:Todo lo que se olvida en un instante“
Land: Argentinien
Jahr: 2020
Regie: Richard Shpuntoff
Kamera: Richard Shpuntoff

Filmfeste

Dok Leipzig 2020



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„Everything That Is Forgotten in an Instant“ ist ein Film über die Abhängigkeit von Sprache, über deren Fallstricke und über das Vertrauen in Bilder. Richard Shpuntoff fordert seinen Zuschauer zu einem riskanten Experiment auf, bei dem es darum geht, aus der Komfortzone des Verstehens herauszukommen und die Lücken in diesem zuzulassen.