Ökozid
© rbb/zero one film/ Julia Terjung

Ökozid

Kritik

Ökozid
„Ökozid“ // Deutschland-Start: 18. November 2020 (Das Erste)

2034: Vier Jahre soll es noch dauern, bis Deutschland aus der Kohle ausgestiegen ist. Doch die Welt konnte nicht warten, immer wieder kommt es zu Dürren und Hochwasser, die Folge des Klimawandels. Hätte die Bundesregierung mehr machen müssen? Hat sie fahrlässig gehandelt, indem sie nicht mehr für die Verringerung des CO₂-Ausstoßes getan hat? Der Internationale Gerichtshof soll dies entscheiden, als 31 Länder, vertreten durch Larissa Meybach (Friederike Becht) und Wiebke Kastager (Nina Kunzendorf), Deutschland auf Schadensersatz verklagen. Auf der Gegenseite kämpft der Anwalt Victor Graf (Ulrich Tukur) dafür, dass die Bundesregierung und die damalige Kanzlerin Angela Merkel (Martina Eitner-Acheampong) freigesprochen werden und ein weitreichender Präzedenzfall verhindert wird …

Auch wenn im Jahr der Corona-Pandemie das Thema zwangsweise etwas in den Hintergrund gerückt ist, so bleibt es doch eines der wichtigsten und folgenreichsten überhaupt: der Klimaschutz. Seit Jahren wird weltweit darum gestritten, ob und wie der Ausstoß von CO₂- verhindert werden kann und soll, eine Lösung ist aber nach wie vor nicht in Sicht, auch weil zahlreiche Regierungen auf der ganzen Welt die Bemühungen bremsen, wenn nicht gar umkehren. Insofern ist es wichtig und willkommen, wenn mit Ökozid im Rahmen der Themenwoche „Wie Leben – bleibt alles anders“ an die Dringlichkeit erinnert wird. Und das geht nun einmal am besten über den Schockfaktor.

Und wer ist schuld?
Zu Beginn des Films ist das Kind mehr oder weniger schon in den Brunnen gefallen, jetzt geht es um Schadensbegrenzung – und um die Frage der Verantwortung. Dass die Regierungen, die nicht genug gehandelt haben, moralisch für den Zustand der Welt mitverantwortlich sind, daran besteht kein Zweifel. Aber wie sieht es rechtlich aus? Hätte das Recht auf Leben Merkel und Co. verpflichten müssen, mehr zu tun, als sie es getan haben? Das ist eine durchaus interessante Frage, wird in Ökozid aber eher halbherzig beantwortet. Andres Veiel, der Regie führte und zusammen mit Jutta Doberstein das Drehbuch schrieb, geht es nicht um den juristischen Aspekt, sondern darum, an welchen Stellen die Regierung versagt hat – und aus welchen Gründen.

Das ist ausgesprochen informationslastig. Anderthalb Stunden lang wird vor Gericht wiedergegeben, was in den Jahrzehnten zuvor alles geschehen ist, seien es im Hinblick auf fossile Brennstoffe oder der Umgang mit der Automobilbranche, deren erfolgreiche Lobbyarbeit eines der vielen ernüchternden Beispiele ist, wie wirtschaftliche Interessen alles andere überschattete. Wobei Ökozid nicht müde wird, mit dem Zeigefinger durch den Raum zu fahren und überall Verantwortliche zu finden. Das betrifft einerseits die üblichen Verdächtigen Politik und Wirtschaft, die Profit und Machterhalt über alles stellten. Aber auch das Volk bekommt sein Fett ab. Hätten Merkel, Schröder und andere konsequent gehandelt, wären sie sofort abgewählt worden. Klimaschutz, ja, gerne – aber nur, wenn es andere betrifft, so das deprimierende Fazit.

Viele Infos im narrativ dürftigen Gewand
Das macht nicht unbedingt Mut für die Zukunft, auch wenn zum Schluss noch ein bisschen umständlich eine Art Happy End erzwungen werden soll. Das größere Manko des Films ist aber, dass er als narratives Werk wenig überzeugt. Die Möglichkeit, den Auftritt vor Gericht auch als tatsächliche Auseinandersetzung inklusive Diskussionen zu zeigen, die wird nicht genutzt. Stattdessen gibt es eine Aneinanderreihung langer Monologe, die nur hin und wieder mal von der Gegenseite unterbrochen werden. Tatsächliche Spannung tritt dabei nicht auf. Schlimmer noch sind aber die halbherzigen Versuche, drumherum Geschichten aufzubauen, die eher narrative Alibifunktion haben.

Ökozid ist damit ein Film, der irgendwie zwischen den Stühlen sitzt. Für den rein dokumentarischen Zugang ist das drumherum zu viel, für einen Spielfilm hingegen zu wenig. Die kleinen Science-Fiction-Elemente, die uns das Jahr 2034 verbildlichen sollen, wirken aufgesetzt. Die Figuren sind zu schwach charakterisiert, bestehen nur aus stumpfen Klischees. Es entstehen so gar keine Emotionen, welche ein Justizdrama normalerweise mit sich bringt, selbst talentierte Schauspieler und Schauspielerinnen wie Friederike Becht (Ein verhängnisvoller Plan) und Ulrich Tukur (Die weiße Rose) schaffen es nicht, das Nichts mit Leben zu füllen. Als Erinnerung für die Dringlichkeit reicht das aus, der umfangreiche Stoff gibt Einblicke in das „warum“ der Misere. Dennoch wäre es besser gewesen, sich konkret für eine Richtung zu entscheiden und das konsequent durchzuziehen, anstatt diesen unbefriedigenden, eintönigen Mittelweg zu nehmen.

Credits

OT: „Ökozid“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Andres Veiel
Drehbuch: Andres Veiel, Jutta Doberstein
Musik: Ulrich Reuter, Damian Scholl
Kamera: Matthias Fleischer
Besetzung: Friederike Becht, Nina Kunzendorf, Ulrich Tukur, Martina Eitner-Acheampong, Edgar Selge, Sven Schelker, Hans-Jochen Wagner, Utsav Agrawal, Frank Röth

Bilder

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In „Ökozid“ wird die Bundesregierung aus dem Jahr 2034 vor dem Internationalen Gerichtshof von 31 anderen Staaten angeklagt, den Klimawandel nicht besser verhindert zu haben. Das ist inhaltlicher Sprengstoff, das wichtige Thema wird mit vielen Beispielen vergangener Versäumnisse unterfüttert. Die Umsetzung lässt jedoch stark zu wünschen übrig, da die narrativen Elemente drumherum nichtssagend sind, weder Spannung noch Emotionalität aufkommt.
5
von 10