In seiner neuen Regiearbeit The Five Rules of Success, der dieses Jahr unter anderem im Programm des Filmfestivals Oldenburg vertreten war, setzt sich Orson Oblowitz kritisch mit den heutigen USA auseinander, insbesondere dessen Gründungsmythos und der Erfüllbarkeit des Aufstiegsversprechens, dass man durch harte Arbeit und eisernen Willen, erfolgreich sein kann. Im Interview unterhalten wir uns mit ihm über die Inspiration zu seinem Film, sein eigenes Erfolgsgeheimnis und Los Angeles als Metapher für die gesamten USA.
Dein Film heißt The Five Rules of Success und im Laufe des Film erklärt der Protagonist, welche fünf Regeln ihn zum Erfolg führen sollen. Was sind eigentlich deine fünf Regeln zum Erfolg?
Ich weiß gar nicht, ob ich mit fünf überhaupt auskomme oder ob ich so viele brauche. Als Filmemacher denke ich, dass es wichtig ist, so ehrlich und aufrichtig wie nur möglich zu sein. Es ist so wie bei im Schauspiel, wo man auch eine Wahrheit transportieren oder darstellen muss innerhalb einer fiktionalen Rahmens, den die Geschichte liefert. Diese Wahrheit zu finden ist sehr wichtig und bildet, um zu deiner Frage zurückzukommen, so etwas eine Regel, nach der ich lebe und arbeite.
Was war die Inspiration für The Five Rules of Success?
Mich inspirierten die Geschichten meines Nachbarn hier in Los Angeles, wo ich derzeit lebe. Er ist ein junger Mann, der immer wieder im Gefängnis war und der mir von seinen Erlebnissen erzählte. Was mich immer wieder verwunderte, war, dass er in meinen Augen ein sehr cleverer und charismatischer Bursche war, mit dem man sich gut unterhalten kann, aber der in den Augen des Systems nur ein Verbrecher war.
Als mir dies klar wurde, wollte ich unbedingt eine Geschichte über jemanden erzählen, der aus dem Gefängnis kommt, diesen Menschen aber nicht als Verbrecher sehen oder Ex-Sträfling, sondern einfach als Menschen. Ich wollte mich damit von jenen Filmen abwenden, die solche Menschen eben nur als diese „harten Kerle“ zeigen, die dich sofort verprügeln, wenn du sie nur schief ansiehst.
Außerdem inspirierte mich das Werk Eddie Bunkers. Er hat die Vorlage zu Filmen wie Animal Factory geschrieben und spielte eine kleine Rolle in Quentin Tarantinos Reservoir Dogs.
Abgesehen davon wollte ich eine Geschichte darüber erzählen, was gerade in den USA passiert, besonders in Los Angeles. Mich haben schon immer die Geschichten von Menschen inspiriert, denen ich auf der Straße begegne, insbesondere solchen, die in den Mainstream-Medien so gut wie gar nicht vorkommen.
In deinem Film spielt Los Angeles eine ganz besondere Rolle und die Stadt ist praktisch ein weiterer Hauptcharakter, wenn man so will. Kannst Du uns etwas zu den Drehorten sagen und welche Relevanz sie für die Geschichte des Films haben?
Los Angeles hat so eine facettenreiche Geschichte, nicht nur als Zentrum der US-amerikanischen Filmindustrie, sondern auch als Ort vieler Geschichten, wenn man alleine an die Thriller eines James Ellroy denkt oder an die Filme eines Sam Fuller. Los Angeles ist der Geburtsort des film noir und hat bis heute nicht den Ruf verloren, so etwas wie eine Metapher für die Abgründe der US-amerikanischen Gesellschaft zu sein. Mich hat diese Sicht auf L.A. schon immer fasziniert, schon in meinen Arbeiten als Fotograf, als ich mich vor allem im Osten Hollywoods aufhielt und nach Motiven suchte.
Für mich sind die Drehorte immer sehr wichtig, vor allem, sie selbst zu wählen, weshalb ich noch nie einen Location Scout für meine Filme brauchte. All die Orte, die du in The Five Rules of Success siehst, habe ich selbst gefunden, wie beispielsweise das Restaurant, in dem der Protagonist arbeitet. Dort habe ich mich einmal mit einem Freund zum Essen verabredet und noch während wir dort saßen, habe ich ihm gesagt, dass ich gerne hier drehen würde und sogleich den Inhaber angesprochen, der sofort Feuer und Flamme war. Sechs Monate später kamen wir dann mit dem Filmteam dorthin zurück und es war noch genau so wie zu meinem ersten Besuch, sogar der kitschige Mini-Wasserfall war noch vorhanden. Die Inhaber haben unsere Crew während dieser Zeit mit köstlichem armenischen Essen versorgt und es tat mir im Herzen weh, als ich hörte, dass sie wegen der Auflagen der Corona-Epidemie für immer schließen mussten.
Es ist schade, wenn solche Orte verschwinden, gerade in Los Angeles, das auch von Prozessen wie Gentrifizierung nicht verschont bleibt. Schon als ich Queen of Hollywood Blvd., meinen Film vor The Five Rules of Success, drehte, musste ich mich beeilen, weil sich die Skyline Los Angeles’ drastisch veränderte. Schaue ich heute auf die Skyline der Stadt, dann ist diese von diesen ganzen neuen, hässlichen Gebäuden zerstört worden. Filme wie The Five Rules of Success oder Queen of Hollywood Blvd. sind vielleicht so etwas wie Rückblicke auf Los Angeles, wie es einmal war und wie es aussah.
Ich wollte schon immer eine Seite von Los Angeles zeigen, die ich so im Film noch nie gesehen habe. Deswegen habe ich mich für das Restaurant entschieden, aber auch für bestimmte Teile der Stadt, wie beispielsweise die Gegend, in welcher der Film spielt, die einen großen Latino-Einfluss hat und einen Teil Santa Monicas darstellt. Mit dem Karaokeklub, den man im Film sieht, ging es mir ähnlich, denn als ich diesen zum ersten Mal betrat, sah alles so aus wie in einem ägyptischen Grabmal. So etwas kann man sich doch nicht entgehen lassen als Filmemacher. (lacht)
All diese Orte sind für mich wichtige Charaktere und sie geben uns als Zuschauer eine Ahnung von dieser Welt unter der Wirklichkeit, die wir täglich erleben. Das kann man nicht in einem Studio einfangen, das geht nicht.
Deine Inszenierung betont das Außergewöhnliche und teils auch Surreale dieser Orte, Kannst du uns was zu der Ästhetik des Films sagen und wie du hier vorgegangen bist?
Inspiriert haben mich die Arbeiten von Regisseuren wie Gaspar Noe, Sion Sono oder Wong Kar-wai und ich hatte eine sehr genaue Vision in meinem Kopf, fand es aber schwierig, diese einem Kameramann oder einer Kamerafrau zu kommunizieren, weshalb ich mich kurzerhand entschlossen habe, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Mir war es wichtig eine Balance zu haben zwischen Realismus und einer eher surrealen Ebene, die jedem Ort ohnehin bisweilen schon innewohnt, welche ich aber beispielsweise durch den Einsatz von Weitwinkelobjektiven noch verstärken wollte. Man kann so den Charakteren nahe kommen, doch sie gleichzeitig im Kontext der Welt um sie herum betrachten, wird stets daran erinnert, wie klein und unbedeutend sie sind innerhalb dieser. An manchen Stellen sieht man dann, wie überlegen sie anderen Figuren sind, durch ihren Status oder andere Eigenschaften. Die Wahl des Objektives spielte für mich eine wichtige Rolle im Hinblick auf das Verständnis der Figuren und der Welt, in der sie sich bewegen.
Es hat einfach sehr viel Spaß gemacht, den Film zu drehen. Meist waren nur wenige Schauspieler und Crewmitglieder am Set und unser Vorgehen glich einer Art Tanz, weil wir rund 90 Prozent des Films mit Handkameras drehten, meist auf relativ wenig Platz wie in dem Apartment, in welchem ich übrigens The Five Rules of Success auch schnitt. Als wir einmal unseren Rhythmus gefunden hatten, war die Arbeit wie ein Rausch und machte sehr viel Spaß.
Es hatte also, um auf den Anfang der Antwort zurückzukommen, viel mit diesen asiatischen und europäischen Einflüssen zu tun, die ich im Kopf hatte, doch gleichzeitig sollte der Film dieses typische L.A.-Flair einfangen.
Meine Lieblingsszene ist die, in welcher der Protagonist, gespielt von Santiago Segura, von seiner Bewährungsbeamtin, gespielt von Isidora Goreshter, in seinem Apartment aufgesucht hat und sich eine Art Machtspiel zwischen den zwei Charakteren entwickelt. Kannst du was zu dieser Szene sagen, wie du an sie herangegangen bis und wie du mit den Schauspielern gearbeitet hast?
Im Vorfeld hatten wir keine Proben, auch weil wir schnell arbeiten mussten, was ich im Übrigen sehr mag. Dennoch hatte ich mit den Schauspielern vorher gesprochen, über ihre Figuren und die Szenen, in denen sie vorkommen, hatte ihnen Artikel oder Bilder geschickt, sodass jeder beim Dreh verstand, was meine Vision bei einer bestimmten Szene ist. Es war mir zudem wichtig, dass die Darsteller nicht das Gefühl haben, ich würde sie ausbeuten, denn, wenn man sie oder ihr Gesicht auf der Leinwand sieht, ist das ihre Visitenkarte und ihre Leistung.
Gerade diese Szene ist auch ein Beispiel dafür, wie Schauspieler den Effekt einer Situation oder eine Szene noch verstärken können. Isidora spielte die Szene und stellte die Tasse, in welcher der Protagonist seine Urinprobe abgeben sollte, auf ihr Knie während sie auf seinem Sofa saß. Schauspieler sind wie Athleten, die vor allem dann aufblühen, wenn sie zu einem Wettkampf erscheinen und dann ihr Bestes geben. Isodora hatte die Szene und die Situation nicht nur verstanden, sondern war so selbstbewusst, dass sie die Wirkung noch verstärkte durch ihr Spiel.
Meine Philosophie bei der Arbeit mit Schauspielern ist, dass ich ihr Vertrauen gewinne und sie wissen, dass sie mir vertrauen können. Ich mache vielleicht hier und da ein paar Korrekturen, aber die meiste Zeit halte ich mich aus ihrer Arbeit heraus, wenn sie am Set sind. Wenn man die richtige Besetzung hat und alle die Szene und die Figur verstanden haben, geht vieles von selbst.
Im Falle von Santiago ging es mir weniger darum, mit ihm einzelne Dialoge durchzugehen oder zu proben, sondern auch darum, ein Verständnis von diesem Charakter zu erlangen. Wir haben zusammen Gefängnisinsassen besucht, haben Strafanstalten besichtigt und er hat von mir sehr viel Material erhalten von Ex-Sträflingen und ihren Erfahrungen, als sie entlassen wurden und sich wieder in die Gesellschaft jenseits der Gefängnismauern eingliedern mussten. Ich gab ihm zu verstehen, dass er in meinen Augen die richtige Wahl für diese Figur war und ich vertraute ihm, dass er beim Dreh schon die richtige Entscheidungen treffen würde.
Dein letzter Film Hell is Where the Home is ist auf der einen Seite ein Home Invasion-Thriller, aber eigentlich geht es um das Konzept von Sicherheit in den Vereinigten Staaten. Gehst du in The Five Rules of Success nicht gar einen Schritt weiter und untersuchst den Gründungsmythos der USA, das Aufstiegsversprechen des amerikanischen Traums?
In beiden Filmen geht es um den amerikanischen Traum und wie sich die USA, nicht erst mit der Wahl Donald Trumps, entwickelt haben. Es geht um eine unterschwellige Aggression und die Wahl war der Höhepunkt dieses Trends in vielerlei Hinsicht. In Hell is Where the Home is waren es diese an sich normalen Menschen, mit denen man auf einen Wochenendausflug geht und die zu den eigentlich Bösen werden und welche diese unterschwellige Aggression widerspiegeln. Es geht um das Amerika und dessen Verständnis von Sicherheit und Abriegelung, wie es nun unter Donald Trump seinen traurigen Höhepunkt erreicht.
The Five Rules of Success, der zusammen mit Queen of Hollywood Blvd. meine „Trilogie des Kapitalismus“ definiert, thematisiert den Einfluss von Kapitalismus auf unsere Gesellschaft und wie es ähnlich einem Virus unser ganzes Leben infiziert hat. Der amerikanische Traum hat nichts und hatte nie etwas mit irgendwelchen Charaktereigenschaften oder harter Arbeit zu tun, sondern war schon immer kapitalistisch. Das sieht man an der Situation des Hauptcharakters, der von der Gesellschaft nur auf seine Gefängnisstrafe reduziert wird und deswegen kaum die Möglichkeit hat, sich in diese Welt zu re-integrieren.
Der amerikanische Traum war eine sehr effektive Marketing-Strategie, der viele gefolgt sind. Viele Wissenschaftler und Künstler sind ihm gefolgt, viele Menschen aus anderen Ländern sind ihm gefolgt, sodass sich der Erfolg dieses Landes auf ihrer Arbeit begründet. Interessant oder zynisch ist, dass gerade diejenigen, denen dieser Traum den Erfolg verspricht, eben jene sind, die in der Realität Vorurteilen ausgesetzt sind, die es ihnen unmöglich machen, diesen Traum zu erreichen. Sie bleiben in der Hierarchie der Gesellschaft ganz unten und können daran nichts ändern.
Ich wollte diese Sicht auf den Erfolg in The Five Rules of Success unbedingt einbauen. Wenn X aus dem Gefängnis kommt und Donald Trump im Fernsehen sieht, sieht er sich selbst, hat eine Vision von sich selbst und was er tun muss, um genauso zu einem Erfolg zu werden. Trumps Erfolg baut sich darauf auf, dass ihn eine Aura umgibt, bei der jeder denkt, er könne auch etwas erreichen wie Trump, was eine unglaubliche Lüge ist. Trump ist das Bild eines erfolgreichen Mannes, wie es wahrscheinlich jemand hat, der nur sehr wenig Geld hat. Der Protagonist meines Films versteht das und übernimmt dies für sein Leben. Fatalerweise.
Doch es ist wichtig zu verstehen, dass all diese Trends, Stereotypen und Ideen schon immer ein Teil der USA waren. Trump ist nur ein trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung, die durch das Coronavirus noch verstärkt wird.
Der Protagonist hat eine sehr interessante Geschäftsidee, denn er will ein Restaurant eröffnen, in dem die Gäste nachempfinden sollen, wie es ist im Gefängnis zu sein. Das hört sich so abgedreht an, dass es mir vorkommt wie etwas, das es eigentlich in den USA geben muss.
Als die Dreharbeiten abgeschlossen waren, hörte ich von einem Restaurant namens Locked Up, welches ein ähnliches Konzept verfolgt wie das der Figur im Film. Als ich die Geschichte schrieb, dachte ich aber mehr an das Phänomen des „Pain tourism“, wenn beispielsweise eine Reisegruppe durch Ghettos geht und diese besichtigt, um zu sehen, wie das dort so zugeht. Ich dachte aber auch an Filme wie Brian de Palmas Hi Mom, in welchem eine der Figuren, gespielt von einem sehr jungen Robert De Niro mit seiner Kamera in die Viertel geht, die mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnt werden, weil er die „black experience“ [die Erfahrung wie es ist in den USA mit schwarzer Haut zu leben. Anm. d. Red.) einfangen will. Auch die Idee der Escape Rooms, die immer populärer werden, interessierte mich, vor allem jene, in denen Schauspieler auftreten und man auf eine total abgefahrene Reise geschickt wird.
Es gibt kein solches Restaurant wie das im Film in Los Angeles, aber so wie ich diese Stadt kenne, könnte es dort funktionieren und würde mit Sicherheit mehr Geld machen als mit The Five Rules of Success. (lacht)
Vielen Dank für das nette Gespräch.
(Anzeige)