Das Netz der tausend Augen Le secret
© Roissy Film

Das Netz der tausend Augen

Kritik

Das Netz der tausend Augen Le secret
„Das Netz der tausend Augen“ // Deutschland-Start: 31. Oktober 1975 (Kino) // 26. Februar 2021 (DVD)

Die Flucht aus dem Gefängniskrankenhaus ist David Daguerre (Jean-Louis Trintignant) schon mal geglückt. Doch was jetzt? In Paris kann er nicht bleiben, so viel wird schnell klar, zu viel Polizei. Und so zieht es ihn weiter, bis in die südfranzösischen Cevennen. Dort findet er Unterschlupf bei dem Paar Julia Vandal (Marlène Jobert) und Thomas Berthelot (Philippe Noiret). Sie sind sogar bereit, ihm auch bei der Flucht vor den Männern zu helfen, die ihn verfolgen sollen. Aber was genau wollen diese von ihm? Welche Geheimnisse trägt David da mit sich herum? Während Thomas nur zu gern dem Fremden beisteht, überwiegt bei der zunehmend verängstigten Julia das Misstrauen, ob dieser überhaupt die Wahrheit sagt …

Die Schatten mächtiger Organisationen
Zuletzt erfreuten sich Verschwörungstheorien wieder einer größeren Beliebtheit. Verständlich: Die Vorstellung, dass da irgendwelchen geheimen Organisationen im Hintergrund die Strippen ziehen, ist schon irgendwie aufregend und zudem beliebig wandelbar. Eben weil alles nur auf geflüsterten Behauptungen basiert, lässt sich nichts beweisen. Der Reiz liegt nicht im Wissen, sondern dem Möglichen, dem Spekulieren, was da alles in den Schatten lauern mag. In Filmen machte man sich dieses unstillbaren Bedürfnisses immer mal wieder zunutze, um das Publikum zu fesseln. Tatsächlich hat der Paranoia-Thriller eine lange Tradition.

Ein eher weniger bekannter Vertreter ist Das Netz der tausend Augen aus dem Jahr 1974. Der Film beginnt damit, dass wir David bei der Flucht aus dem Krankenhaus zusehen, in dem er offensichtlich gegen seinen Willen festgehalten wird. Offen bleibt dabei jedoch der Grund seines Aufenthalts. Hielt man ihn gefangen, weil er ein großes Geheimnis kennt, dessen Bekanntwerden unter jedem Preis verhindert werden soll, wie er dem Paar erzählt? Oder ist er doch „nur“ ein psychisch Kranker, der sich das alles einbildet? Möglich ist beides, Regisseur Robert Enrico (Einer bleibt auf der Strecke), der hier einen Roman von Francis Ryck adaptierte, lässt das bewusst offen, damit sowohl die beiden anderen Hauptfiguren wie auch das Publikum sich nie ganz sicher sein können, was nun gespielt wird.

Der konzeptionelle Stillstand
Das ist als Grundvoraussetzung nicht verkehrt, hat jedoch zugleich einen größeren Nachteil: Da die Geschichte keine Antwort liefern darf, ist eine wirkliche Entwicklung praktisch ausgeschlossen. Würde der Film eine konkrete Bedrohung durch andere zeigen, wäre automatisch klar, was Sache ist. Ebenso darf es keinen wirklichen Beweis geben, dass David verrückt ist, weil damit alles zu Ende wäre. Diese narrative Sackgasse soll durch einen Tapetenwechsel überdeckt werden. Genauer beschließt das Trio irgendwann, die Berghütte hinter sich zu lassen und stattdessen in Spanien Schutz zu suchen. Für alle Fälle zumindest, falls es überhaupt tatsächlich Schutz brauchen sollte.

Für die Zuschauer und Zuschauerinnen ist das durchaus ein Vorteil, da sich Das Netz der tausend Augen auf diese Weise in einen Roadmovie verwandelt, der mit ständig wechselnden Hintergründen einhergeht. Es sind auch schöne Hintergründe, mit denen man sich durchaus einige Zeit vertreiben kann. Der zweite große Pluspunkt des französischen Films ist die Besetzung. Gerade Jean-Louis Trintignant (Hetzjagd) gefällt doch als gehetztes Tier, dessen Gefährlichkeit man spürt, sie aber nicht ganz einordnen kann. Zusammen ergibt das einen Film, der durchaus atmosphärisch ist, im weiteren Verlauf auch die Intensität erhöht – gerade durch die Paranoia von Julia, die uns ständig daran erinnern soll, dass das alles vielleicht doch ganz anders ist.

Doch obwohl beim Drumherum einiges Gutes dabei ist und das grundsätzliche Szenario einiges an Potenzial mitbringt, die Geschichte selbst ist doch recht dünn. So dünn, dass nicht klar ist, wie das ein ganzes Buch hat ergeben können. Der Film hätte entweder mehr Ereignisse gebraucht oder eine stärkere Vertiefung der Figuren, von denen nach anderthalb Stunden praktisch nichts zurückbleibt. So aber ist Das Netz der tausend Augen doch eher nichtssagend, was durch das billige Ende nicht besser gemacht wird. Wer Paranoia-Thriller der Atmosphäre wegen schätzt, vielleicht auch die historische Komponente spannend findet – der Film ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Misstrauens gegenüber dem Staatsapparat –, der kann hiermit durchaus selbst die Zeit vergessen. Ein versteckter Klassiker ist die Buchadaption aber eher nicht.

Credits

OT: „Le secret“
Land: Frankreich
Jahr: 1974
Regie: Robert Enrico
Drehbuch: Robert Enrico, Pascal Jardin
Vorlage: Francis Ryck
Musik: Ennio Morricone
Kamera: Etienne Becker
Besetzung: Jean-Louis Trintignant, Marlène Jobert, Philippe Noiret

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In „Das Netz der tausend Augen“ nimmt ein Paar einen Fremden auf, der behauptet, ein wichtiges Geheimnis zu haben und dafür verfolgt zu werden. Der Paranoiathriller ist durchaus atmosphärisch, schön bebildert, dank eines undurchsichtig auftretenden Jean-Louis Trintignant darf man auch tatsächlich rätseln, was dahinter steckt. Narrativ ist das aber weniger eindrucksvoll, da man sich schon früh in eine Sackgasse begibt.
6
von 10