Endlich ist sie wieder da, die beschauliche Weihnachtszeit. Mit einem Kakao unter die Decke kuscheln, sich mit Plätzchen vollstopfen und zum gefühlt 500. Mal Tatsächlich… Liebe, Ist das Leben nicht schön? und/oder Das Wunder von Manhattan gucken. Doch die meisten Weihnachtsfilme sind so zuckersüß, dass sie beinahe selbst (und nicht der überzuckerte Kakao) Karies verursachen. Wer davon irgendwann Abwechslung braucht, dem bietet der Katalog an Weihnachtsfilmen inzwischen auch eine stattliche Auswahl an nicht ganz so besinnlichen Werken. Auch wenn etwa Klassiker wie Die Geister, die ich rief, Stirb langsam, Gremlins – Kleine Monster, The Nightmare Before Christmas oder Bad Santa nicht ganz so beschaulich daherkommen, sind sie in ihrer Inszenierung trotzdem sehr massentauglich.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es jedoch auch immer wieder Weihnachts-Horrorfilme, die deutlich fieser, dreckiger und blutiger dahergekommen sind. Neben älteren Slashern wie etwa Silent Night, Deadly Night und diversen Krampus-Filmen, wären an dieser Stelle vor allem Black Christmas und dessen beiden Remakes erwähnenswert. Eigentlich gäbe es vermutlich genügend „böse“ Weihnachtsfilme, um sich seinen ganz eigenen filmischen Adventskalender zusammenzustellen. Wer dafür jedoch nicht genügend Zeit hat oder es ihm an Material fehlt, der kann nun beruhigt aufatmen. Denn mit Deathcember gibt es jetzt (endlich) auch eine Horror-Weihnachts-Anthologie.
Horror in kleinen Scheiben
Eigentlich ist es überraschend, dass diese Idee so lang auf sich warten ließ. Man möchte meinen, das Horrorgenre sei bis in den kleinsten kreativen Winkel abgegrast und auch der Sonderform der Anthologie sei nach Ausflügen in die Gruft (Tales from the Crypt), zu Found Footage-Kassetten (V/H/S – Eine mörderische Sammlung), ins Alphabet (22 Ways To Die) oder zu einzelnen Feiertagen (Holidays) nichts mehr neues abzugewinnen. Dabei liegt eine Adaption als Adventskalender geradezu auf der Hand, auch wenn dieses Kalender-Konzept längst nicht auf der ganzen Welt Verbreitung findet. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum die Macher den Beititel 24 Doors to Hell ergänzten. Hinter diesen 24 Türchen verstecken sich nun 24 Kurzfilme (+ zwei zusätzliche „Zugaben“) mit mehr oder weniger Weihnachtsthematik. Die Bandbreite ist wie bei den meisten Horroranthologien recht divers, der Zuschauer bekommt vom kleinen, blutigen Sketch, über die kreative Huldigung bis hin zur kindlich anmutenden, aber nicht ansatzweise für die Blagen geeignete (Knet-)Animation einige Abwechslung zu bieten – alles natürlich mit einem ironischen Unterton. Aber ebenfalls wie bei den meisten Anthologien ist nicht nur die thematische und ästhetische Gestaltung sehr verschieden, sondern auch die Qualität.
Eine bunte, blutige Platte
Anders als etwa bei The ABCs of Death, bei der die Reihenfolge des Alphabets die Reihenfolge der Kurzfilme (bzw. deren Titel) festlegte, waren die Macher von Deathcember etwas freier. So beginnt direkt einer der Macher – Dominic Saxl – das bunte Treiben mit seinem Beitrag über einen Jungen, dem seine zu große Vorliebe für Schoko-Adventskalender zum Verhängnis wird. A Door To Far ist ein durchaus charmanter und gut gewählter Einstieg, da er handwerklich zwar eher im unteren Drittel anzusiedeln ist, jedoch mit einem witzigen Twist endet. So vergraulen die Macher die Zuschauer nicht mit einer zu hohen Einstiegsbarriere, lassen jedoch auch genug Luft nach oben. An dieser „Oberluft“ schnuppern im folgenden Verlauf noch einige Beiträge, meist jedoch nur auf recht einseitige Weise – style over substance oder eben umgedreht. So überzeugt zwar der dritte Beitrag, der am 3. Dezember 2389 spielt, mit einer unglaublich hochwertigen Ästhetik, die sich nicht vor großen Hollywood-Produktionen verstecken muss, bleibt jedoch auf inhaltlicher Ebene eher belanglos. Es folgen diverse Aufs und Abs rund um holländischen Bodyhorror, misslungene Familientreffen, blutige Schlittschuhfahrten, besondere Knallbonbons, und und und… Das meiste ist solide und aufgrund der Kürze auch kurzweilige Genrekost, extreme Ausreißer nach oben wie unten gibt es nur wenige.
Zwischen Himmel und Hölle
Auf der negativen Seite wären etwa ein mittelalterliches Filmchen zur Hexenverbrennung zu nennen oder (leider) auch der Beitrag von Kannibalen-Ikone Ruggero Deodato, der völlig seelenlos und blutleer wirkt. Ein weiterer im Genre bekannter Name zeigt da schon mehr Kreativität. So inszenierte Lucky McKee (May) einen sehr entschleunigten, aber keineswegs unansehnlichen Neo-Western. Ebenfalls sehr unterhaltsam ist der mexikanische Kurzfilm Villancicos, bei der ein im Sterben liegender Junge nur durch einen Weihnachtschor am Leben gehalten werden kann. Regisseur Isaac Ezban schafft hier das, woran viele seiner Kollegen und Mitstreiter gescheitert sind: eine simple, aber sehr witzige Idee gepaart mit einer gelungenen, sketchartigen Inszenierung. Ähnlich gelungen ist eine Reservoir Dogs-Huldigung über einen misslungenen Raubüberfall, der ebenfalls hochwertig inszeniert ist und mit einem (wenn auch etwas vorhersehbaren) Twist aufwartet.
Die beiden Beiträge, die am längsten im Gedächtnis bleiben dürften, sind gleichzeitig (oder genau deswegen) auch die kontroversesten der gesamten Anthologie. Der deutsche Beitrag Pig von Andreas Marschall dürfte vor allem mit dem #metoo im Hinterkopf das Publikum spalten, auch wenn der weihnachtliche Aspekt hier etwas in den Hintergrund rückt. Von dieser Kontroverse war bei unserem Set-Besuch Anfang 2019 noch nichts zu bemerken… Besonders hervor sticht jedoch der auf den ersten Blick niedlichste Beitrag. In der Knet-Stop-Motion Crappy Christmas nimmt sich Macher Juergen Kling die katholische Kirche und deren zahlreiche Pädophilievorwürfe zur Brust und macht dabei keine Gefangenen. Dass einem bei Knetfigürchen das Lachen im Hals stecken bleiben kann, haben wahrscheinlich die wenigsten gedacht.
OT: „Deathcember – 24 Doors to Hell“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Lazar Bodroza, B.J. Colangelo, John Cook Lynch, Steve De Roover, Ruggero Deodato, Sonia Escolano, Isaac Ezban, Florian Frerichs, Rémi Fréchette, Sadrac González-Perellón, Trent Haaga, Juergen Kling, Ama Lea, Sang-woo Lee, Andreas Marschall, Annika Marx, Pollyanna McIntosh, Lucky McKee, Bob Pipe, Julian Richards, Jason Rostovsky, Alyosha Saari, Dominic Saxl, R. Zachary Shildwachter, Milan Todorovic, Michael Varrati, Vivienne Vaughn, Sam Wineman
Drehbuch: Wes Allen, John Cook Lynch, Steve De Roover, Ruggero Deodato, Sonia Escolano, Isaac Ezban, Florian Frerichs, Rémi Fréchette, Sadrac González-Perellón, Marc Gottlieb, Trent Haaga, Charles Horak, Juergen Kling, Sang-woo Lee, Andreas Marschall, Annika Marx, Pollyanna McIntosh, Lucky McKee, Audrey Meubus, Momir Milosevic, Dominik Ostler, Bob Pipe, Julian Richards, Jason Rostovsky, Alyosha Saari, Dominic Saxl, Michael Varrati, Vivienne Vaughn, Dimitrije Vojnov, Jasper Vrancken, Sam Wineman
Musik: Andrew Scott Bell, Dirk Buro, Boris Riccardo D’Agostino, Medhat Hanbali, Nikola Jeremic, Michael Kaufmann, Peter Litvin, Erik Lutz, Nemanja Mosurovic, The NightStalker, Paul Russell, Eduardo Daniel Victoria
Kamera: Vincent Allard, Brent Bailey, Scotty Baker, Tyler Bradberry, Julien Cherpion, Jakob Creutzburg, Franklin Dow, Helmut Fischer, Ryan Forte, Konstantin Freyer, Kosta Glusica, Lauren Guiteras, Jo Heim, Diego Madrigal, Sten Olson, José Luis Pulido, Sylvain Rodriguez, Emilio Salinas, J.T. Seaton, Zoran Veljkovic, Marc Windon
Besetzung: Pollyanna McIntosh, Richard Glover, Sean Bridgers, Detlef Bothe, Marie Nasemann, Barbara Crampton, Clarke Wolfe
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