La Montaña sagrada The Holy Mountain Der heilige Berg Alejandro Jodorowsky
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Der heilige Berg

Kritik

La Montaña sagrada The Holy Mountain Der heilige Berg Alejandro Jodorowsky
„Der heilige Berg“ // Deutschland-Start: 21. August 1974 (Kino) // 21. Oktober 2016 (DVD)

Von einer Gruppe Liliputaner wieder zum Leben erweckt, streift ein junger Mann (Horácio Salinas), der später „Der Dieb“ genannt wird, durch eine Stadt, die von einer Schar Touristen bevölkert und von einem diktatorischen Regime kontrolliert wird. Angewidert von dem, was er sieht, flieht er und gerät dabei in die Fänge von dicken Legionären, die von seinem Körper einen Gipsabdruck machen, um diesen als lebensgroße Christusstatue an Touristen zu verkaufen und endlos zu vervielfältigen. Aus Zorn über das, was ihm angetan wurde, zerstört der Dieb viele der Statuen und flieht letztlich mit einer noch intakten wieder in die Stadt, wo er schließlich an einen hohen Turm gelangt, der von einem Alchemisten (Alejandro Jodorowsky) bewohnt wird. Als dieser ihm seine Kunst zeigt und seine Weisheit demonstriert, ist der Dieb fasziniert von der Aura des Mannes, der ihm verspricht, er werde ihn heilen können. Doch der Plan des Alchemisten geht noch viel weiter, hat er doch auch erkannt, dass die Welt um sie herum einer Verwandlung bedarf. So stellt er dem Dieb sieben Menschen vor, alle selbst ehemals Diebe, welche nun hohe Positionen innerhalb der Stadt bekleiden, beispielsweise als Politiker oder Architekt. Durch eine Reise zum heiligen Berg, einem mythischen Ort, verspricht der Alchemist seiner Gruppe eine Erleuchtung und damit verbunden eine neue Stufe des Daseins.

Der große Ausverkauf

Nachdem sich El Topo über die Jahre vor allem durch Mundpropaganda zu einem Underground-Hit entwickelt hatte, wurde derweil dessen Regisseur Alejandro Jodorowsky zu einer Art Galionsfigur der Gegenkultur auserkoren. Für sein nächstes Projekt stand dem chilenischen Filmemacher damit ein weitaus höheres Budget zur Verfügung, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet war, dass Allen Klein, Manager der Beatles, einer der Produzenten war, genauso wie George Harrison, John Lennon und Yoko Ono, welche ebenfalls einen Teil zum Budget beitrugen. Mit Montana Sacra – Der heilige Berg ist dabei ein Film entstanden, der thematisch wie formal an El Topo anschließt, der mit seinem pessimistischen Ende eine Bild der Gewalt und des Chaos abzeichnete, ein Spiegel der Welt gegen Ende der 1960er Jahre. Jodorowsky geht hier noch einen Schritt weiter, verhandelt aber gleichzeitig die Möglichkeit eines Auswegs aus einer Lage, die von vielen als unveränderbar wahrgenommen wird.

Nach El Topo waren auch die Medien auf den eher scheuen Jodorowsky aufmerksam geworden, sodass ein Rolling Stone-Reporter das Set von Montana Sacra besuchen durfte und von den kolossalen Maschinen und Kulissen berichtete. In der Tat ist dieser Film in gewisser Weise eine Geschichte über Megalomanie, wenn man sich alleine die ersten Impressionen des Diebes ansieht, wie er durch die Stadt zieht, und was in der Folge durch die Ausführungen des Alchemisten noch verstärkt wird. Ähnlich wie die Stadt in der zweiten Hälfte von El Topo zeigt Jodorowsky abermals eine Welt, die aus dem Ruder läuft, die einen Außenstehenden wie den Dieb verstört durch ihre Lautstärke, ihre Brutalität und ihre offensichtliche Unmoral. Alles, von Ethik, Religion bis hin zur eigenen Menschlichkeit, sind im Ausverkauf begriffen und heilig ist hier nichts mehr, außer vielleicht der omnipräsente Kommerz sowie die politische Macht, die ihr Gesicht durch Soldaten und Truppenverbände demonstriert. Ästhetisch wie erzählerisch dominiert in Montana Sacra gerade in der ersten Hälfte der Überfluss an Eindrücken, die in ihrer wirren Fülle einem schlechten Drogentrip ähneln, doch immer wieder Parallelen zur Wirklichkeit offenbaren.

Interessant angereichert wird das narrative Universum des Films noch durch die anderen „Diebe“, welche der Alchemist dem Dieb vorstellt. Diese repräsentieren nichts weniger als die Fundamente jener Gesellschaft sowie ihren Hang zur Despotie, zur Gier und zur Selbstsucht. Bisweilen erinnert diese Welt an jene großen Dystopien des 20. Jahrhunderts, insbesondere Aldous Huxleys Schöne Neue Welt oder George Orwells 1984. Moral und Glaube sind auch bei Jodorowsky abgelöst worden durch Sexualität und den Rausch.

Die Möglichkeit eines Auswegs

Jedoch geht es Jodorowsky nicht nur um die Darstellung dieser Welt, sondern auch um die Heilung, oder vielmehr die Möglichkeit einer solchen. Wie der Revolverheld El Topo oder die beiden Protagonisten in Fando y Lis strebt auch der Dieb nach einer höheren Daseinsform, einer Existenz außerhalb des Triebhaften und einer spirituellen Erleuchtung. Ähnlich jener mythischen Stadt Tar in Fando y Lis ist die Suche nach dem heiligen Berg der Weg und gleichzeitig Prüfung, für den Dieb wie auch seine Begleiter ein Pfad der Reinigung. Die immer wieder das Format des Films sprengende Ästhetik nach der Jodorowsky strebt, verlangt nach einer Durchbrechung dessen, was wir als Realität wahrnehmen.

In seinem Essay Ascending The Holy Mountain beschreibt der Regisseur und Autor Bilge Ebiri, dass Montana Sacra vielleicht der „freieste“ Film Jodorowsky ist, was zum einen am Budget liegen mag, zum anderen aber auch weil sich der Filmemacher dem Kern seines Werkes wie auch seiner Philosophie annähert. Das Spektakel, die Form, welche immer wieder als „psychedelisch“ bezeichnet wird, sowie das bewusste Aufbrechen dieser durch die Vermengung mit einer Wirklichkeit, die außerhalb des Filmischen liegt, soll die Realität sprengen. Letztlich geht es um den Zuschauer, der sich mit auf die Reise begibt nach einer Erleuchtung, einer spirituellen wie auch menschlichen, und die zu einer neuen Wahrnehmung führen soll.



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"Montana sacra – Der heilige Berg" ist der ambitionierteste Film Alejandro Jodorowskys und gleichzeitig wahrscheinlich sein prosperierendster. Formal wie erzählerisch Grenzen sprengend verhandelt der Chilene, welche Möglichkeiten der Erleuchtung es in der Welt gibt und wie das Individuum diese erreichen kann. Diese Form der Spiritualität wird nicht jedem gefallen, viele werden sie gar ablehnen, doch sie ist keinesfalls abgeschmackt oder verlogen, geht es Jodorowsky doch nicht um Eskapismus, sondern um eine Möglichkeit diese Realität zu überwinden.
9
von 10