In einer verwüsteten Welt gehören das Liebespaar Fando (Sergio Klainer) und die querschnittsgelähmte Lis (Diana Mariscal) zu den wenigen Überlebenden. Zusammen machen sie sich auf die Suche nach Tar, die letzte Stadt auf Erden und ein Ort, an dem man laut einer Prophezeiung die wahre Erleuchtung erhält und Klarheit über den Sinn des eigenen Lebens. Der Weg ist beschwerlich, vor allem für Fando, der Lis wegen ihrer Lähmung stets auf einem Karren vor sich her schieben muss, doch auch wegen der vielen teils komischen, teils feindlichen Begegnungen auf ihrem Pfad in die Stadt. Von einer Horde sich im Schlamm wälzender Menschen bis hin zu einer Horde Transvestiten stellen sich den beiden Liebenden viele in den Weg, wegen derer es zu bisweilen berührenden Konfrontationen kommt, unter anderem die Wiederbegegnung mit der eigenen Mutter sowie dem jüngeren Ich. Zudem stellt sich einem auch der jeweils andere in den Weg, denn die Beziehung der beiden geht durch Höhen und Tiefen, durchlebt Momente höchster Euphorie wie auch brutaler Aggression.
Eine Sammlung besonderer Zwischenfälle
Der erste Film des chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky sollte sogleich eine Vorausdeutung auf das sein, was von nun an die meisten seiner Werke begleiten sollte. Bei der Premiere von Fando y Lis auf den Filmfestspielen in Acapulco kam es bereits während der Vorführung zu Tumulten, die so heftig wurden, dass Jodorowsky sowie sein Team aus dem Kino flüchten mussten, um nicht Opfer des wütenden Mobs zu werden, welcher wegen der Bilder des Films so aufgebracht war. Auch aufgrund dieser Reaktionen galt Fando y Lis lange Zeit als ein vergessener Film im Werk des Chilenen, der nur wenige Jahre später mit El Topo zwar abermals einen ähnlichen Skandal auslösen würde, aber auch einen der prägenden Kultfilme seiner Zeit machte. Dabei ist Fando y Lis nicht minder interessant, stellt er nicht nur einen wichtigen ersten Schritt für Jodorowsky als Künstler dar, sondern offenbart einen Künstler, der die Extreme liebt, der zwischen Zärtlichkeit, Ekel, Liebe und Wut changiert, sodass bereits dieser erste Spielfilm nicht nur formal grenzüberschreitend ist, sondern zugleich seinem Zuschauer eine emotionale Achterbahn abverlangt.
Es ist unmöglich einen Künstler wie Jodorowsky zu bewerten oder sich mit ihm zu beschäftigen, ohne sich zugleich mit der Tradition des absurden Theaters wie auch des Surrealismus zu befassen, in dessen Kontext ein Film wie Fando y Lis zu verstehen ist. Wie in der Werken Samuel Becketts oder den frühen surrealistischen Arbeiten eines Regisseurs wie Luis Buñuel ist die Sprengung der Formen, sowohl der inhaltlichen wie auch der ästhetischen, nicht der Rahmen, sondern das Zentrum des Werkes. Die Geschichte, lose basierend auf einem Theaterstück von Jodorowskys Kollegen und Freund Fernando Arrabal, ist in wenigen Worten erzählt und trennt sich bereits früh von den Konventionen eines Narrativs, welches auf Aspekten wie Kausalität beruht. In seiner sehenswerten Einleitung zum Film stellt Professor Richard Peña die These auf, dass es sich im Falle von Fando y Lis vielmehr über eine Sammlung von Zwischenfällen handelt, deren Sinn im Rahmen einer konventionellen Erzählung bisweilen sich nicht erschließt, teils also wenig mit der Suche der beiden Charaktere nach jener sagenumwobenen Stadt zu tun hat.
In Fando y Lis zeigt sich Jodorowsky als ein großer Visualist, weniger als ein Erzähler, sondern als ein Regisseur, der nach Erfahrungen strebt. Wie später der Revolverheld in El Topo durchlaufen auch Fando und Lis eine ganze Reihe von Begegnungen, die mal erschreckend, dann aber wieder wunderschön oder schrecklich komisch sind. Jodorowsky zeigt die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrung, was seinen Zuschauer fordert und wahrscheinlich zur Zeit der Veröffentlichung für so manchen einfach zu viel war, wie die Reaktionen bei der Premiere in Acapulco belegen.
Die Schönheit eines Begräbnisses
Doch es ist nicht nur die Form, die sich in Fando y Lis herauskristallisiert, sondern auch die Themen, welche Jodorowskys Werk durchziehen. Neben der körperlichen Behinderung einer Figur ist es auch der Kontrast von Geburt und Tod, der eine signifikante Rolle in diesem ersten Film spielt. Selbst die Liebe ist keinesfalls als reiner Glücksmoment zu verstehen, sondern auch als ein Ort des Opfers, welches man vollbringt und sich in den extremen Verhaltensweisen, besonders von Fando, gegenüber seiner Geliebten zeigt. In der Restriktion und der Zerstörung der Liebe, des Glücks, aber auch der Mutter liegt der Schlüssel zu einer ganz besonderen Erfahrung, die mit dem Tod besiegelt wird, eine unvergleichliche Freiheit. Vielleicht aber auch der Zugang zu jener Stadt, nach der sich die beiden Charaktere so sehr sehnen und von der sie bald selbst nicht mehr so recht wissen, ob es diese denn überhaupt gibt.
OT: „Fando y Lis“
Land: Mexiko
Jahr: 1968
Regie: Alejandro Jodorowsky
Drehbuch: Alejandro Jodorowsky, Fernando Arrabal
Vorlage: Fernando Arrabal
Musik: Pepe Ávila, Mario Lozuá, Héctor Morely
Kamera: Antonio Reinosso, Rafael Corkidi
Besetzung: Sergio Kleiner, Diana Mariscal, María Teresa Rivas, Tamara Garina, Juan José Arreola
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