In I’m Your Woman (seit 11. Dezember 2020 auf Amazon Prime Video) erzählt Julia Hart die Geschichte einer Frau, die von einem Tag zum nächsten ihr bisheriges Leben aufgeben muss, weil ihr Mann in eine finstere Sache verwickelt ist. Wir haben uns mit der Regisseurin und Co-Autorin über die Idee des Films, das 70er Jahre Setting und das Thema Frauen in Filmen unterhalten.
Wie und wann bist du auf die Idee für I’m Your Woman gekommen?
Ich habe mir zusammen mit meinem Mann Jordan Horowitz, der auch meine Filme produziert und mit mir die Drehbücher schreibt, einen Haufen alter Krimidramen aus den 1970ern angeschaut, als wir das erste Mal Eltern wurden. Ich liebe Filme wie Thief – Der Einzelgänger, French Connection – Brennpunkt Brooklyn, Der Pate und Getaway. Doch so sehr ich diese Filme auch liebe, sie haben fast alle Männer als Hauptfiguren. Als frisch gebackene Mutter habe ich mich dabei immer gefragt: Was passiert eigentlich mit den Frauen dieser Männer, mit den Müttern und Kindern? So sind wir auf die Idee gekommen, die Geschichte von Jean zu erzählen, anstatt uns wie sonst üblich auf die Männer zu konzentrieren.
Und warum hast du diese Geschichte dann auch selbst in den 1970ern angesetzt? Sie wäre zumindest theoretisch ja in der Gegenwart möglich gewesen.
Auf der einen Seite wollte ich eine Hommage an eben diese Filme drehen und die Frauen, die darin auftauchen. Ihnen eine eigene Stimme geben in diesem Genre der damaligen Zeit. Aber ich fand auch diese spezielle Zeit sehr interessant im Hinblick auf Frauen und die amerikanische Kultur. Jean findet sich in einer Situation wieder, die sie nicht selbst bestimmen kann und der sie hilflos ausgeliefert ist. Sie hat keinen Job, hat keine eigenen Leidenschaften. Und ich wollte zeigen, wie sie in dieser Situation ihre eigene Kraft und ihre eigene Stimme finden muss. Amerika befand sich damals in einer Zwischenphase. Die 60er Jahre waren eine so explosive Zeit. Die Menschen lehnten sich gegen die Regierung auf. Es gab den Krieg, der von der Bevölkerung abgelehnt wurde und die Frage aufwarf: Warum schicken wir all diese jungen Männer in den Krieg? Aber auch die Bürgerrechtsbewegungen und die Ermordung bedeutender Persönlichkeiten haben die Zeit damals geprägt. In den 70ern war man mit den Nachwirkungen dieser Entwicklungen beschäftigt und hatte noch nicht so recht die eigene Position gefunden. Und in den 80ern bewegte sich das ohnehin wieder in eine ganz andere Richtung. Das macht die 70er so spannend: Es war eine Zeit mit so viel Potenzial und so vielen Überlegungen, wie es weitergehen wird. Und das gibt den Filmen von damals ein ganz eigenes Flair, weil die Menschen um ihre eigene Stimme kämpften und dabei noch nicht wussten, was sie mit dieser Stimme sagen wollen.
Könntest du uns etwas über den Titel deines Films verraten? Warum hast du ihn ausgesucht?
Von all den Filmen, die mich inspiriert haben, war der wichtigste Der Einzelgänger von Michael Mann, der auch sein erster Spielfilm war. Darin gibt es einen Dialog, in dem Tuesday Weld zu James Caan sagt: „I’m your woman and you’re my man“. Am Anfang meines Films ist Jean noch Eigentum ihres Mannes, ein Objekt, ihr Leben gehört ihr nicht wirklich. Am Ende des Films und ihrer Reise hat sich das aber gewandelt und sie gehört sich jetzt selbst.
Ich fand den Titel interessant, weil er einerseits sehr selbstbewusst ist, „I am“ bedeutet, dass da jemand das Sagen hat. Gleichzeitig gibt es da aber auch dieses „your woman“, was sie noch immer in Relation zu einem Mann definiert.
Genau. Ich wollte eben auch die Komplexität dieser Beziehung zwischen Mann und Frau mitansprechen. So sehr Frauen inzwischen auch an Macht gewonnen haben, wir werden jetzt zum Beispiel das erste Mal eine Vize-Präsidentin in den USA haben, sie werden doch noch immer zu Objekten gemacht. Die Gesellschaft kämpft nach wie vor damit, Frauen wirklich gleichberechtigt zu behandeln. Und diese Situation hat den Film und damit auch den Titel beeinflusst.
Welche Erfahrungen hast du selbst damit gesammelt? Auch wenn sich viel verändert hat in den letzten Jahren: Als Regisseurin arbeitest du in einem Bereich, der nach wie vor von Männern dominiert wird.
Da hast du recht. Es hat sich viel getan, aber es muss sich noch deutlich mehr tun. Ich selbst hatte in der Hinsicht relativ viel Glück und musste nicht so sehr darum kämpfen, dass meine Filme gemacht werden können und ich ernst genommen werde. Aber mir ist bewusst, dass es nicht allen so ergeht. Ich bin dankbar dafür, dass vor mir so viele Frauen Pionierarbeit geleistet und sich ihren Platz hinter der Kamera erkämpft haben. Wir brauchen Frauen in diesen Positionen, aber auch Männer, die anderen Türe öffnen können. In der Hinsicht hat es schon viele Fortschritte gegeben.
Nun sind Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen das eine. Aber wie sieht es mit Frauenfiguren aus, die von Männern geschrieben werden? Hat sich da etwas getan?
Das ist eine wirklich gute Frage. Tatsächlich gibt es auch bei Frauenfiguren Fortschritte. Sie sind heute oft komplexer und vielschichtiger und interessanter. Pablo Larraíns Jackie fällt mir da spontan ein. Das war ein unglaubliches Porträt einer komplexen und starken Frau. Aber auch Jonathan Glazers Under the Skin. Okay, das war ein Alien. Trotzdem ist es interessant, wie die Hauptfigur Gefühle in ihren verschiedensten Variationen wahrnimmt. Aber es hat natürlich auch früher schon tolle Frauenfiguren gegeben. Ellen Ripley in Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt von Ridley Scott. Oder auch Thelma & Louise von ihm. Klar, da stammte das Drehbuch von einer Frau. Aber auch das ist eben wichtig, dass Männer und Frauen bei solchen Stoffen zusammenarbeiten, der Mann sich darauf einlassen kann, was die Frau zu sagen hat. Da ist es wichtig, sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein. Es hat also schon immer Männer gegeben, die gute Frauenfiguren zeigen. Aber es gibt immer noch zu viele Frauenfiguren, bei denen du auf Anhieb merkst: Das hat sich ein Mann ausgedacht.
Du selbst schreibst deine Drehbücher mit deinem Mann Jordan. Hilft das beim Entwickeln der Figuren, wenn die weibliche und die männliche Perspektive zusammenarbeiten?
Auf jeden Fall. Ich denke, dass das einen enormen Unterschied macht. Jordan hat eine Perspektive, die ich selbst nicht habe, die ich durch ihn aber einnehmen kann. Und umgekehrt gilt das natürlich auch. Das gibt dir ganz andere Möglichkeiten. Mich interessieren beispielsweise Männerfiguren, die eben nicht allein dem traditionellen Männerbild entsprechen, sondern die auch weibliche Züge haben. Wir bringen einfach unterschiedliche Facetten zusammen bei unserer Arbeit, die wir alleine so nie haben würden.
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