Auf der Couch in Tunis Un divan à Tunis
Szenenbild aus Manele Labidis "Auf der Couch in Tunis" (© 2019 PROKINO Filmverleih GmbH)

Manele Labidi [Interview]

In Auf der Couch in Tunis (seit 5. November 2020 auf DVD erhältlich) erzählt Manele Labidi die Geschichte von Selma, einer Französin tunesischer Abstammung, die in Tunis eine Praxis für Psychotherapie eröffnen möchte. Doch dieses Projekt stellt sich bald als gar nicht so einfach heraus, als sie nicht nur bei der Bevölkerung auf Skepsis stößt, sondern auch mit Behörden zu kämpfen hat. Wir haben uns mit der Regisseurin und Drehbuchautorin über ihr Spielfilmdebüt unterhalten, welche Herausforderungen sie selbst dabei zu überwinden hatte und was sie zu der Geschichte bewegte.

Könntest du uns ein wenig über den Hintergrund deines Filmes erzählen? Wie und wann bist du auf die Idee für Auf der Couch in Tunis gekommen?
Für mich war immer klar, dass ich meinen ersten Langfilm unbedingt in Tunis drehen wollte. Ich war schon immer sehr von dem Land und den filmischen Möglichkeiten dort fasziniert, im Hinblick auf die Locations, aber auch die Leute, die dort wohnen. Hinzu kommt natürlich meine eigene Biografie: Ich bin zwar in Frankreich geboren, aber mit beiden Kulturen aufgewachsen und jedes Jahr in Tunesien, weshalb ich das starke Bedürfnis hatte, dort auch den Film zu drehen. Nach der Revolution vor einigen Jahren habe ich in dem Land auch eine veränderte Energie wahrgenommen, die Menschen haben sich anders verhalten, anders geredet. Sie haben offenere und tiefgründigere Gespräche geführt, zum Beispiel über Politik, aber auch das Leben im allgemeinen und ihre Gefühle. Und eben diesen besonderen Moment wollte ich festhalten, aber nicht mit den Mitteln eines Dokumentarfilms, sondern einem Spielfilm. Gleichzeitig sollten meine eigenen Erfahrungen darin festgehalten werden, da ich mich dort trotz meines Hintergrunds immer noch wie eine Ausländerin fühle.

Wie viel von dir steckt dann in der Hauptfigur Selma? Sie ist ja wie du in Frankreich geboren und dann nach Tunesien gegangen, um dort zu arbeiten.
Ich denke, dass das ein Traum ist, den ganz viele in der westlichen Welt haben: In das Land deiner Eltern gehen und dort etwas Neues und Aufregendes zu erleben. Selma und mir war dabei schon bewusst, dass es nicht einfach werden würde, das so durchzuziehen. Aber wir konnten nicht anders, es war wie eine Mission für uns. Für mich kam kein anderes Projekt in Frage, bevor ich dieses fertig hatte. Das kann man vielleicht rational gar nicht so begründen, aber in meiner Generation gibt es sehr viele, die auf diese Weise nach einem Sinn suchen. Die vielleicht auch etwas beweisen wollen in einem Umfeld, das sie bislang nur von Erzählungen oder durch Urlaube kennen. Dieses Gefühl der Neuheit wollte ich zeigen. Deswegen sieht man in Auf der Couch in Tunis auch nichts in Frankreich, keine Leute, die von dort kommen. Es gibt nur Selma und ihre Erfahrungen.

Aber wie waren dann deine eigenen Erfahrungen beim Drehen des Films? Selma tut sich mit ihrem Projekt der Praxis ja schon schwer.
Es war auch für mich nicht ganz leicht, um ehrlich zu sein. Die Genehmigungen haben wir alle ohne Probleme bekommen, es gab auch keine Versuche, uns beim Inhalt irgendwie zu beeinflussen. Die Schwierigkeiten lagen eher darin, sich an eine andere Arbeitskultur zu gewöhnen – zumal mein Team zur einen Hälfte französisch, zur anderen Hälfte tunesisch war. Da mussten wir uns erst einmal finden und ich zwischen beiden vermitteln. Hinzu kommt, dass das System in Tunesien teilweise schon recht absurd bist. Wenn du dort aufgewachsen bist, dann weißt du das natürlich und bist es gewohnt. Aber als Franzose ist das erst mal hart. Ein Hindernis war noch die Hitze. Die machte nicht nur der französischen Crew zu schaffen, sondern auch der Kamera, die zwischendurch schon mal einfach ausgehen konnte, ohne erkennbaren Grund. Gleichzeitig mochte ich das. Ich brauche Herausforderungen, um mich wirklich entfalten zu können.

Die Schwierigkeiten, die Selma in dem Film hat, sind die durch die Eigenheiten von Tunesien begründet oder in ihrer Art, wie sie mit der Situation umgeht?
Beides würde ich sagen. Sie ist schon recht naiv, als sie ankommt und geht davon aus, dass man nur auf sie gewartet hat, weil es da bislang keine vergleichbare Praxis gibt. Wenn sie sich nicht um eine Genehmigung für ihre Praxis kümmert, dann ist das schon ein Anzeichen dafür, dass sie etwas auf das Land herabblickt und denkt, sie könne alles so machen, wie es ihr gefällt. Das ist ein Phänomen, das es oft gibt, dass Leute in ein fremdes Land gehen und sich überlegen fühlen. Auch wenn sie mit vielen Idealen angereist ist und Gutes tun möchte, ist es doch auch etwas ihre eigene Schuld, wenn sie solche Probleme hat, weil sie sich einfach nicht genügend vorbereitet hat auf das Land und die Situation vor Ort. Vieles in Tunesien ist nicht rational erklärbar, sondern funktioniert über die Gefühlsebene. Das kann sehr schön sein, weil du dich ohne diese ganzen Regeln freier fühlst. Aber es kann auch frustrierend sein, wenn du mal etwas ganz Konkretes brauchst.

Wie sieht es eigentlich mit Psychotherapie in Tunesien aus? Ist das dort verbreitet?
Ja, schon. Psychoanalyse ist weniger verbreitet. Die Psychotherapie als solche boomt aber, gerade nach der Revolution, um die Erfahrungen zu verarbeiten. Es gab in Folge einen starken Anstieg von Depressionen und Angstzuständen, weil vieles nicht mehr stabil war und die Sicherheiten fehlten. Es kam zu terroristischen Anschlägen, die Wirtschaftskrise wurde zu einer Bedrohung. Als der Diktator verschwand, war das einerseits eine gute Nachricht. Andererseits war er so etwas wie der Vater des Landes und als er weg war, war Tunesien wie eine Art Waisenkind. Die Freiheiten, die die Menschen gewonnen haben, und die Rechte sind eben nur eine Seite der Medaille. Diese Unsicherheit, wie es in Zukunft weitergehen wird, hat selbst zu einer Reihe von Problemen geführt. Und damit eben auch zu dem Bedürfnis, darüber zu reden.

Wie sehr spielt in Selmas Erfahrungen und ihre Schwierigkeiten hinein, dass sie eine Frau ist? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn sie ein Mann gewesen wäre?
Die Tatsache, dass sie eine Frau ist, macht es natürlich schon schwieriger. Eine Frau, die ihre eigene Praxis eröffnet und unabhängig sein will, die keinen Mann sucht, die ganz öffentlich auf der Straße raucht, das ist in Frankreich oder Deutschland nichts Besonderes, kann in einem anderen Kontext aber durchaus ein politisches Statement sein. Sicher hätte es ein Mann in ihrer Situation leichter gehabt, da Frauen, die sich in Männerdomänen bewegen, immer Hindernisse überwinden müssen. Das ist immer so, egal in welchem Land wir uns bewegen. Gleichzeitig wollte ich nicht, dass das zu dem Hauptgrund wird oder dass daraus eine Aussage gemacht wird zur Rolle der Frau. Auf der Couch in Tunis sollte kein Film darüber sein, wie sich eine Frau gegen Männer durchsetzt. Es wird in dem Film auch nie explizit erwähnt, dass ihre Situation mit dem Geschlecht zusammenhängt.

Wie sind denn deine eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht? Die Filmindustrie ist trotz aller Fortschritte schon auch noch eine solche Männerdomäne, bei der es deutlich mehr Regisseure als Regisseurinnen gibt.
Das stimmt. Ich selbst hatte damit zum Glück weniger zu kämpfen. Ob es nun mein Produzent war oder meine Crew, sie haben mich alle immer sehr unterstützt. Es hat mir nie jemand Steine in den Weg gelegt. Du merkst aber noch einen Unterschied, wenn du deinen Film der Welt vorstellst und wie die Reaktionen darauf ausfallen. Das müssen nicht unbedingt direkte Anfeindungen sein. Manchmal sind es kleine Details oder Ausdrücke, bei denen klar wird, dass da noch viel geschehen muss. Der Ton kann gegenüber Frauen schon etwas herablassend sein. Und natürlich gibt es auch auf der Produktionsseite noch große Unterschiede, es ist für einen Mann doch deutlich einfacher, einen Big-Budget-Film zu drehen, als für eine Frau. Frauen drehen nach wie vor eher kleinere, intimere Filme.

Wobei das natürlich aber auch mit der Frage zusammenhängt, warum jemand überhaupt Filme dreht. Wie siehst du deine eigene Funktion als Filmemacherin? Was willst du mit deinen Werken erreichen?
Ich will so viel wie möglich experimentieren, auch im Hinblick auf das Genre, und mich auf nichts festlegen lassen. Ich muss nicht ausschließlich Tragikomödien drehen wie jetzt bei Auf der Couch in Tunis. Ich würde gern auch ein reines Drama drehen oder vielleicht auch etwas in Richtung Horror. Genauso will ich auch an den verschiedensten Orten drehen und in mehreren Sprachen. Wie ich vorhin gesagt habe, brauche ich diese Herausforderung.

Und was ist konkret in der Hinsicht geplant? Woran arbeitest du?
Ich arbeite gerade an einer Geschichte, die dieses Mal in Frankreich spielt und sich um Politik und Medien dreht. Der Schreibprozess ist immer der anstrengendste Part. Gleichzeitig will ich mich da aber auch nicht hetzen, sondern mit die Zeit nehmen, die ich brauche. Wie viel das am Ende sein wird, wird sich zeigen. Ich hoffe, dass ich vielleicht so in einem Jahr mit dem Drehen anfangen kann.

Manele Labidi
© Viviana Morizet

Zur Person
Manele Labidi wurde 1982 in Frankreich geboren, wo sie als Tochter tunesischer Einwanderer aufwuchs. Sie studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften und arbeitete einige Jahre in der Finanzbranche, bevor sie sich dazu entschied, Filmemacherin zu werden. Nachdem sie in verschiedene Schreib- und Regieprojekte in den Bereichen Theater, Radio und TV-Serien involviert war, dreht sie mit A Room of my Own 2018 ihren ersten Kurzfilm – eine tragikomische Variation von Virginia Woolfs berühmtem Essay Ein Zimmer für sich allein. Auf der Couch in Tunis ist ihr erster Spielfilm und feierte 2019 in Venedig Premiere.



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