Der parfümierte Alptraum Perfumed Nightmare
© Kidlat Tahimik

Der parfümierte Alptraum

Kritik

Der parfümierte Alptraum Perfumed Nightmare
„Der parfümierte Alptraum“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Seit Kindertagen träumt Kidlat Tahimik davon, die Welt zu sehen und einmal in den Weltraum zu fliegen. In seinem Dorf ist er einer der vielen Jeepney-Fahrer, ein Taxi, welches aus Ersatzteilen alter Militärfahrzeuge gefertigt wurde, bunt geschmückt und bemalt wurde. Auf seinen täglichen Fahrten überquert Tahimik mit seinen Fahrgästen immer wieder die beiden Brücken, welche die Gemeinde verbinden, so auch mit einem reichen US-amerikanischem Geschäftsmann, der von der positiven Art wie auch dem Humor seines Fahrers begeistert ist. Auch Tahimiks Begeisterung für die Mondmission der NASA sowie die Ingenieurkunst eines Wernher von Braun, einem der führenden Denker hinter der Technologie hinter der Raumfahrt, lässt den Amerikaner nicht unbeeindruckt. Nachdem die Verhandlungen über eine philippinisch-amerikanische Zusammenarbeit im Sande verlaufen sind, sieht der frustrierte Geschäftsmann in Tahimik einen Gleichgesinnten, den er dafür begeistern kann, samt Jeepney mit ihm zunächst nach Europa und dann in die Staaten zu kommen, wo sie gemeinsam ein Imperium aufbauen. Außer sich vor Freude bereitet sich Tahimik auf die ihn erwartenden Aufgaben vor, die ihn zunächst nach Paris bringen, wo er als Fahrer sowie Befüller von Kaugummi-Automaten arbeiten soll. Seine Gespräche mit Straßenhändlern über ein geplantes Bauprojekt, welches nach und nach immer mehr von ihnen in den Bankrott oder die Geschäftsaufgabe treibt, gibt dem jungen Mann zu denken, ob sein Traum vom Fortschritt tatsächlich so positiv ist wie er immer dachte.

Die Versuchungen des Fortschritts

Neben Brilliante Mendoza und Lav Diaz gehört Kidlat Tahimik zu den wohl wichtigsten Filmemachern seiner Heimat, den Philippinen. Bereits sein Regiedebüt Der parfümierte Alptraum legt die Grundfesten eines Werkes, welches sich schwerpunktmäßig mit dem schwierigen Erbe des Kolonialismus sowie der Zeitalter der Moderne befasst und seitens der Kritik wohlwollend aufgenommen wurde, sodass Tahimik auf der Berlinale beispielsweise für seinen ersten Film mit dem Preis der Filmkritik geehrt wurde. Gerade vor dem Hintergrund einer durch Technik und Globalisierung immer mehr zusammenwachsenden Welt ist Der parfümierte Alptraum für den heutigen Zuschauer eine interessante, teils provokante Studie darüber, was als Gedanke hinter diesen Konzepten steht und wie sie in der Wirklichkeit umgesetzt werden.

Nach eigener Aussage ist Tahimik durch Zufall Filmemacher geworden, wobei das Regieführen nie etwas war, was er aktiv als Karriere für sich verfolgte. Vielleicht erklären solche Aussagen die an ein Heimvideo erinnernde Ästhetik von Der parfümierte Alptraum, dessen verwaschene Optik sowie die Amateurhaftigkeit einzelner Szenen. Mit einem breiten, selbstsicheren Grinsen im Gesicht zieht Tahimik zuerst ein kleines Spielzeugauto, dann ein Bobbycar und schließlich ein ganzes Auto über die Zementbrücke, welche jene von seinem Vater gebaute ersetzte. Bereits in diesen ersten Minuten, welche die Entwicklung von Tahimiks Figur im Film beschreiben, beginnt man an der eingangs formulierten These vom Zufall dieser Berufswahl zu zweifeln, beweist Tahimik doch ein großes Talent für die Verbindung von Form und Inhalt sowie einen immer wieder aufblitzenden Humor, der sehr viel mit seiner einnehmenden Persönlichkeit zu tun hat, der man selbst einige grobe Schnitzer innerhalb der Handlung verzeiht.

Letztlich ist Tahimik eine Figur einer Generation, die ein eher zwiespältiges Verhältnis zum Fortschritt hat. Schon das Bild der Brücke oder das des Jeepneys, welches er fährt, verweisen auf den Kontrast der Technologie hin, welche als Teil des Kolonialismus aufgezwungen wurde unter dem Vorbehalt der Überlegenheit und schließlich wie die Kolonisierten dieses Konzepte für sich beanspruchten und nutzten. Die Implementation der neuen Brücke und der alten Truppenfahrzeuge klappt ohne große Problem, jedoch geht es Tahimik in der Folge um eine neue Art des Kolonialismus, der nun nicht mehr nur von einer Nation, sondern von einer Ideologie des Fortschritts geprägt wurde und die es nicht zuletzt auf das Individuum abgesehen hat, es verführt oder es überrennt.

„Ich fühle, dass ich immer kleiner werde.“

Im Prinzip folgt Der parfümierte Alptraum der Logik eines Entwicklungsromans, wie ihn Johann Wolfgang von Goethe beispielsweise mit den Wihelm Meister-Romanen vorlegte. Tahimik beschreibt einen Prozess der Reife, der sich über drei Stufen, von seiner Heimat aus hin zu Frankreich und zuletzt nach Deutschland, dem Geburtsland Wernher von Brauns, hinzieht. Mit einem nun eher an eine Dokumentation erinnernden Optik und begleitet von Tahimiks Erzählstimme werden wir Zeuge einer Entwicklung, eines Nachdenkens über den Fortschritt, dessen positive Absicht vielleicht nicht infrage steht, aber zumindest seine ideologisch motivierte Umsetzung.

Zentral ist hier eher eine Aussage wie „Ich fühle, dass ich immer kleiner werde.“ Tahimiks zahlreiche Begegnungen, seine Gespräche mit Fahrgästen und seine Erlebnisse geben immer wieder Denkanstöße über diesen Fortschritt und was er mit der Welt um einen herum macht. Mit Humor und einem nicht unterzukriegenden Optimismus wie ihn Tahimik schon in den ersten Minuten des Filmes zeigt, deutet er auf eine Möglichkeit an, diesem zu begegnen und unabhängig zu bleiben, wie er es als Filmemacher bereits seit Anfang seiner Karriere immer gewesen ist.

Credits

OT: „Mababangong Bangungot“
Land: Philippinen
Jahr: 1977
Regie: Kidlat Tahimik
Drehbuch: Kidlat Tahimik
Musik: Hanns Chistian Müller
Kamera: Harmut Lerch, Kidlat Tahimik
Besetzung: Kidlat Tahimik

Trailer

Filmfeste

Berlinale 1977
Locarno 1977
International Film Festival Rotterdam 1978
Berlinale 2019
Locarno 2020

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„Der parfümierte Alptraum“ ist eine Mischung aus Drama und Komödie mit vielen Elementen des Dokumentarfilms. Mit viel Humor gelingt Kidlat Tahimik ein erhellender Blick auf die Moderne, auf Fortschrittsideologien und Globalisierung, der mit wenigen Mitteln viel erreicht, zumindest aber Denkanstöße gibt an den Zuschauer.
8
von 10