Prinz Caprice (Gerard Clair) hat schon alles gesehen und nichts kann mehr sein Interesse wecken. Nachdem er jeden Winkel der Welt durchforstet hat, kehrt er daher betrübt an den Hofe seines Vaters König Vlan (Mathieu Ahlersmeyer) zurück. An diesem befindet sich glücklicherweise der größte Gelehrte des Reiches, der Staatsminister Mikroskop (Heinz Erhardt), welcher sich auf Geheiß seiner Majestät, aber gegen seinen Willen, sogleich an die Arbeit macht, dem Sohnemann eine Reisemöglichkeit zum Mond zu verschaffen. Mikroskop übertrifft sich selbst und baut eine Rakete mit drei Sitzplätzen, was Caprice dazu veranlasst, die beiden dazu zu überreden, ihn zu begleiten. Auf dem Mond angekommen – von dem selbstverständlich jeder Wissenschaftler weiß, dass er unbewohnt ist – treffen sie auf Mondbewohner, die zuerst nicht glauben können, Besucher von der Erde zu empfangen – selbstverständlich weiß jeder Wissenschaftler, dass sie unbewohnt ist. Bald freunden sich die Regentskollegen Vlan und Cosmos (Hans Leibelt) an, während Caprice sich in die Mondprinzessin Fantasia (Stina-Britta Melander) verliebt.
Wer singt denn da?
Überraschenderweise kommt eine Operette nicht ohne Musik und Gesang aus. Dass Heinz Erhardt singen kann, lässt sich mit etlichen Schallplatten belegen. Die Beweisführung beschränkt sich aber nicht nur auf die Vinylerzeugnisse, auch in diversen Filmen schwang er mit Freude das stimmbändliche Tanzbein, etwa Drillinge an Bord oder Vater, Mutter und neun Kinder. Dem gemeinen Zuschauer (den Rezensenten keinesfalls ausgenommen) mag es einerlei erscheinen, für das geschulte Ohr ist es jedoch ein Unterschied, ob ein Liedchen geträllert oder etwas in einer Operette rezitiert wird. Während Erhardt anfangs noch in einem Dialog mit Ahlersmeyer ein paar Zeilen selbst singen darf, wäre das zumindest eine Erklärung dafür, wieso er in weiteren Gesangsstücken von Kurt Marschner nachsynchronisiert wird – die erste Instanz dessen kommentiert Erhardt auch gleich zum Zuschauer überrascht, dass er ja plötzlich singen könne (nicht das einzige Mal, dass Mikroskop die vierte Wand durchbricht).
Die Stimme eines Nichtsängers für Lieder mit der Stimme eines Sängers zu ersetzen, ist keine ungängige Praxis (eines der berühmtesten Beispiele mag Der König der Löwen sein) und oft profitiert ein Film davon. Da Erhardt aber lediglich drei Gesangseinlagen im gesamten Film zugeschrieben sind, welche jeweils nur einige Zeilen umfassen, handelt es hier eine recht merkwürdige Entscheidung, die eher aus dem Film herausreißt, statt irgendetwas zu verbessern. Seine Manierismen und Sprachspiele bereichern Die Reise auf den Mond hingegen, die Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben. Die Musik zum Libretto stammt von Jacques Offenbach, der guten Gewissens als der Vater der Operette bezeichnet werden kann, und als solcher gemessen an den Maßstäben dieser Art Musiktheater natürlich hervorragende Arbeit abliefert.
Es lebe der Minimalismus!
Der ganze Film ist ziemlich minimalistisch ausgestattet, was sich nicht nur auf die Kulissen, sondern teilweise auch auf die Akteure bezieht. Der Chor der Hofwachen beispielsweise ist gezeichnet, nicht einmal sonderlich detailreich. Manchmal treten Komparsen als statische Zeichnungen auf, manchmal gibt es kleinere Zeichentrickfilmsequenzen. Das spart ordentlich Geld und lässt sich dazu noch gut als artistischer Kniff verkaufen. Angesichts dessen, was manche Opernregisseure in ihren Inszenierungen mit dem Bühnenbild veranstalten, ist das hier alles schon sehr viel zugänglicher und sorgt vor allem auf dem Mond dafür, die surreale Atmosphäre zu verstärken. Während sich Erde und Mond zwar deutlich unterscheiden lassen, wäre es vielleicht doch besser gewesen, die Szenen auf der Erde etwas üppiger, um nicht zu sagen bodenständiger zu gestalten. Nicht nur optisch hebt sich der Mond ab, auch die Funktionsweisen der Mondgesellschaft sind so konzipiert, dass wir sie klar als andersartig wahrnehmen.
Wer sich schon immer fragte, wie wohl eine zweistündige Operettenversion von Georges Méliès‘ wegweisendem Kurzfilm Die Reise zum Mond aussähe, erhält hier eine ziemlich gute Antwort und kann beherzt zugreifen. Nach starken anderthalb Stunden schleichen sich allerdings einige Längen ein, die ein oder andere Sequenz zieht sich etwas zu lange und etwa zehn Minuten vor Schluss der 120 Minuten Laufzeit ist eine Szene in einer Weise bearbeitet, für die heute jeder Junioreditor verlacht werden würde und die eher wie eine schlechte Cutscene eines Videospiels aussieht – fairerweise muss bedacht werden, dass der Film von 1964 ist und der Effekt miserabel gealtert sein mag, für damalige Verhältnisse aber absolut in Ordnung und passend war.
OT: „Die Reise auf den Mond“
Land: Deutschland
Jahr: 1964
Regie: Ulrich Erfurth
Drehbuch: Walter Brandin, Maria Frey, Ulrich Lauterbach
Vorlage: Eugène Leterrier, Albert Vanloo, Arnold Mortier
Musik: Jacques Offenbach
Kamera: Hans-Jürgen Thieme, Hans-Joachim Herbst,Rudolf Körösi, Gerhard Weishaupt, Rolf Hinz
Besetzung: Mathieu Ahlersmeyer, Gerard Clair, Heinz Erhardt, Hans Leibelt, Stina-Britta Melander
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