Die zwei Leben der Veronika

Die zwei Leben der Veronika

Kritik

Die zwei Leben der Veronika
„Die zwei Leben der Veronika“ // Deutschland-Start: 31. Oktober 1991 (Kino)

Seit sie denken kann, macht der jungen Polin Weronika (Irène Jacob) das Singen besondere Freude. Bei einer Chorprobe eines ihrer Bekannten wird die Leiterin auf die Stimme der Fremden aufmerksam, beginnt ein Gespräch mit ihr und ermutigt sie, für sie und einen anderen Bekannten, den Leiter eines bekannten Orchesters, vorzusingen. Überwältigt von der positiven Resonanz fühlt sich Weronika glücklich, als sie eines Tages auf einmal, während sie den großen Marktplatz Krakaus überquert, auf eine französische Touristin trifft, die sich nicht bemerkt, aber ihr exaktes Ebenbild ist. Bei dem Konzert am Abend kommt es dann zu einem tragischen Zwischenfall. In Paris lebt Veronique (ebenfalls Irène Jacob), die, überwältigt von einem unbestimmten Gefühl und unter Protest ihres Lehrers ihren Gesangsunterricht beendet. An der Schule, an welcher sie Musik unterrichtet, sieht sie eine Marionettenaufführung und ist sehr ergriffen von der Geschichte einer jungen Ballerina. Ergriffen von der tragischen Geschichte und der Einfühlsamkeit, mit der sie erzählt wurde, recherchiert sie über den Marionettenspieler, der zudem viele Kinderbücher verfasst hat. Mit der Zeit erhält Veronique geheimnisvolle Pakete und Briefe, deren Inhalte, ein Schnürsenkel und eine Kassette, sie nicht nur zum Absender bringen können, sondern auch zur Auflösung eines Geheimnisses, welches sie seit Langem in sich trägt.

Momente der Erhabenheit

Immer wieder erscheint es Kunstschaffenden sinnvoll, fertige Antworten zu präsentieren auf Fragen des Lebens und der Gegenwart, doch einer der letzten Regisseure, für den Spiritualität sich nicht in schönen, aber letztlich sinnleeren Bildkonstruktionen erschöpfte, war wohl Krzysztof Kieślowski, der sich mit der Filmreihe Dekalog über die Stellung der Zehn Gebote in der heutigen Zeit sowie der Drei Farben-Trilogie ein zeitloses filmisches Denkmal schuf. In Die zwei Leben der Veronika, einer polnisch-französischen Koproduktion, widmet er sich der Frage der Verbundenheit von Menschen, dem Konzept des Mitleidens sowie jenen Momenten der Erhabenheit in der Welt, wenn wir selbst eine Verbindung spüren, die weit über unsere Existenz hinausgeht.

Das Besondere an der Vision Kieślowskis ist, dass sie jene Momente der Erhabenheit, der Klarheit und Intensität für den Zuschauer öffnet und diesen daran teilhaben lässt. Dies geschieht schon nach wenigen Minuten, wenn man den ersten Chorauftritt Weronikas sieht, die so von der Emotionalität des Stückes ergriffen ist, dass sie es scheinbar gar nicht merkt, dass um sie herum der restliche Chor vor dem Regen die Flucht ergriffen hat. Immer wieder begegnen uns in der Filmografie Kieślowskis solche Bilder, in denen die Figur in einem Moment der Ekstase sich befindet, in einem Moment des höchsten Glückes, welches aber, wir ahnen es bereits früh, wohl flüchtig ist. Als Zuschauer nimmt man an diesen Momenten teil, weil man selbst diese Verbundenheit spürt, doch nicht zuletzt auch wegen der berührenden Darstellung Irène Jacobs, die mit ihrer Doppelrolle, vor allem aber dank solcher Szenen wie jener, die gerade beschrieben wurde, dem Zuschauer nicht mehr aus dem Gedächtnis gehen wird.

Interessant ist hierbei, dass es weder in Die zwei Leben der Veronika, noch in den anderen Werken Kieślowskis um Spiritualität im Kontext einer Religion geht, sondern sie, schon alleine wegen der Figuren und ihrer Welt, in Bestandteil des Lebens sind. Immer wieder, auch bei dem Auftritt des Puppenspielers, hat man den Eindruck, wie auch Veronique/Weronika etwas Besonderem beizuwohnen, was selten passiert und gerade deswegen so besonders ist.

Nicht alleine sein

Trotz allem ist Die zwei Leben der Veronique kein fröhlicher Film, denn aus der Natur der Flüchtigkeit jener intensiven Momente ergibt sich eine Tragik. In der Musik Zbigniew Preisners wie auch den Bildern Slawomir Izdiaks sind diese beiden Kontraste bereits vorhaben, man ahnt sie schon von der ersten Minute an, wie auch die beiden Figuren, auch wenn sie von der Existenz ihres jeweiligen Doppelgängers nicht wissen. Die Begegnung mit dem Doppelgänger ist einem altern Aberglaube nach ein Zeichen für den baldigen Tod und eliminiert den Anspruch der Einzigartigkeit des Individuums, doch in Die zwei Leben der Veronika soll es nicht hierbei bleiben, da es gerade diese vage Ahnung der Existenz eines Anderen ist, der ein Zeichen der Hoffnung und des Trosts ist.

All diese angesprochenen Themen finden sich nicht nur in den Bildkompositionen, sondern auch in der reichen, vielschichtigen Farbsymbolik wieder, deren Analyse wohl ein ganzes Buch füllen könnte. Bereits seit der Drei Farben-Trilogie, aber auch schon vorher, arbeitet Kieślowski mit diesen Farbebenen, welche jede Einstellung zu einer wahren Kostbarkeit machen. Ein besonderes Beispiel liefern hierfür die Elternhäuser von Veronique/Weronika, die als Orte des Schutzes und der Erinnerung, aber auch der Verbundenheit dienen. Besonders eine weitere Sichtung, die sich schon alleine wegen der formalen Schönheit von Die zwei Leben der Veronika lohnt, wird sich für den interessierten Zuschauer als ein sehr bereicherndes Erlebnis erweisen.

Credits

OT: „La Double Vie de Véronique“
Land: Polen, Frankreich, Norwegen
Jahr: 1991
Regie: Krzysztof Kieślowski
Drehbuch: Krzysztof Kieślowski, Krzysztof Piesiewicz
Musik: Zbigniew Preisner
Kamera: Slawomir Izdiak
Besetzung: Irène Jacob, Wlyadyslaw Kowalski, Sandrine Dumas, Guillaume des Tonquédec, Calude Duneton, Philippe Volter

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 1991 Goldene Palme Nominierung
Beste Darstellerin Irène Jacob Sieg
César 1992 Beste Hauptdarstellerin Irène Jacob Nominierung
Beste Musik Zbigniew Preisner Nominierung
Film Independent Spirit Awards 1002 Bester fremdsprachiger Film Nominierung

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Die zwei Leben der Veronika von Krzysztof Kieślowski ist ein Drama über Spiritualität, Verbundenheit und Momente der Erhabenheit in unserem Leben. Formal wunderschön und darstellerisch in einer ganz eigenen Liga ist Kieślowski ein zeitloses Meisterwerk des europäischen Films gelungen, das man diskutieren und anders bewerten kann, aber das einen auf keinen Fall kaltlassen wird.
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