Ein guter Mensch Şahsiyet
© 2018 Ay Yapim

Ein guter Mensch

Kritik

Ein guter Mensch Staffel 1
„Ein guter Mensch“ // Deutschland-Start: 3. Dezember 2020 (DVD/Blu-ray)

Die Diagnose seines Arztes trifft den pensionierten Gerichtsschreiber Agâh Beyoğlu (Haluk Bilginer) wie ein Schlag ins Gesicht: Alzheimer im Frühstadium. Sich selbst, die Fähigkeit zu kommunizieren, seine Persönlichkeit sowie die Beziehung zu seiner vor einigen Jahren an Krebs gestorbenen Frau Mebrure zu vergessen, macht ihm sehr zu schaffen und stürzt in eine tiefe Sinnkrise. Während eines Treffens mit einem langjährigen Freund beschließt Agâh, ein Verbrechen, welches niemals vor Gericht gebracht wurde, zu ahnden. So macht er sich auf in seine alte Wirkungsstätte, um sich mit dem nötigen Handwerkszeug, vor allem aber den nötigen Akten zu versorgen. Im Hauptquartier der Polizei in Istanbul hat Nevra Elmas (Cansu Dere) ihre ersten Wochen fast hinter sich, doch so richtig angekommen ist sie noch nicht. Die hochdekorierte Kommissarin hat sich für die Arbeit im Morddezernat beworben, doch ihr Status als einzige Frau unter Männern macht sie immer wieder zum Ziel für sexistische Sprüche ihrer Kollegen. Ihr Vorgesetzter hat wenig für die Vorbehalte der Kollegen übrig, genauso wie für die Imagekampagne der Polizei und interessiert sich nur für Nevras Fähigkeiten als Ermittlerin, die bei einem Mord an einem ehemaligen Richter auf die Probe gestellt werden. Dieser gibt den Beamten einiges an Rätseln auf, besonders aber die Notiz des vermeintlichen Mörders, die ausgerechnet an Nevra gerichtet zu sein scheint.

Fluch und Segen des Vergessens

Mit vielen Vorschusslorbeeren gelangte dank Magenta TV bereits im Jahre 2019 die türkische Mini-Serie Ein guter Mensch auch nach Deutschland, wo sie Anfang Dezember 2020 auch fürs Heimkino erschien. Die kreativen Köpfe hinter der Serie sind Regisseur Onur Saylak und Drehbuchautor Hakan Günday, welche bereits für andere Projekte des türkischen Fernsehens zusammenarbeiteten. Ein guter Mensch dürfte aber im Hinblick auf das Kritikerlob die wohl erfolgreichste Kollaboration sein. So wurde Darsteller Haluk Bilginer für seine Rolle des Agâh Beyoğlu ein Emmy verliehen und auf der Seite IMDB ist Ein guter Mensch mit einer derzeitigen Wertung von 9,1 eine der besten Serien aller Zeiten. Die Ehren sind durchaus gerechtfertigt, gelingt den Machern doch eine vielschichtige Mischung aus Drama und Thriller über Verdrängung, Erinnerung und das Vergessen.

Im Zentrum stehen mit  Agâh Beyoğlu und der jungen Polizistin Nevra Elmas zwei Charaktere, für welche Vergessen und Erinnern sowohl Fluch wie auch Segen sind. Gerade Agâh fürchtet um das Vergessen seiner eigenen Person, dem, was ihn eigentlich ausmacht, während Nevra den Ablauf einer Tat, den Hintergrund, aber gleichzeitig auch ihre eigene, mit dem Verbrechen verwobene Geschichte rekonstruiert. Ein guter Mensch zu sein, wie es der Titel der Serie andeutet, steht für sie an erster Stelle, wenn es die Rekapitulation des eigenen Lebens sowie der Arbeit geht. Doch viel wichtiger als die Frage, was ein solcher Mensch ist oder was ihn ausmacht, ist die Suche nach dem Menschen, der sie überhaupt sind.

Innerhalb der zwölf Folgen der ersten Staffel wird minutiös aufgedeckt, wer sie sind, was sie verdrängt oder vergessen haben. Speziell Agâh wird immer wieder überrascht von dem Wissen, welches ihm bereits abhanden gekommen ist, auch ohne Einwirken der Krankheit und aus welchen Puzzleteilen er sich eine Identität gemacht hat. Der Reiz der Serie besteht vor allem darin, diese Teile mit den Figuren zu entdecken, sodass am Ende Charaktere entstehen, die von ihrer Komplexität her es durchaus mit einem Tony Soprano oder einem Walter White aufnehmen können.

Hinter der Fassade

Serienkiller sind für die Türkei eher unüblich, heißt es an einer Stelle in der Serie, denn in diesem Land laufen die Menschen eher Amok. Durch ihre Geschichte sowie die Figuren blicken Regisseur Saylak und Autor Günday hinter diese Fassade, was auch auf ästhetischer Ebene immer wieder ein Thema der einzelnen Folgen ist. Wirkt die prächtige Fassade des Apartmenthauses aus der Zeit der Ottomanen wie ein Verweis auf die facettenreiche Vergangenheit, so deuten die Schmierereien, die Risse wie auch andere Details stets auf eine weitere Schicht darunter an, die auszubrechen droht. Nicht nur der genaue Blick der Kamera Feza Çaldırans ist hier wichtig, auch Einzelheiten wie die Kostüme, die immer etwas zu perfekt wirken, so als wollten man hier etwas vertuschen, einen Eindruck erwecken und von dem Innern weg täuschen.

Credits

OT: „Şahsiyet“
Land: Türkei
Jahr: 2018
Regie: Onur Saylak
Drehbuch: Hakan Günday
Musik: Sertaç Özgümüş, Güntaç Özdemir
Kamera: Feza Çaldıran
Besetzung: Haluk Bilginer, Cansu Dere, Şebnem Bozoklu, Necep Memili, Metin Akdüler

Bilder

Trailer

Kaufen/Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

„Ein guter Mensch“ ist eine unterhaltsame, spannende Mischung aus Drama und Thriller. Erzählerisch wie formal auf höchstem Niveau kann die Serie sehr wohl überzeugen und wirkt im Vergleich zu anderen Produktionen, die schon nach wenigen Folgen in der Repetition verfangen sind, wie eine sehr willkommene Abwechslung.
9
von 10