Sommer 1958: Die 13-jährige Frédérique (Julie Bataille) und ihre kleine Schwester Sophie (Candice Lefranc) verbringen wie jedes Jahr ihre Ferien an der Atlantikküste gemeinsam mit ihrer Tante Bella (Zabou Breitman) und deren Familie. Und doch ist dieses Mal etwas anders. Ihre Eltern sind nicht dabei, sondern nur das verhasste Kindermädchen. Das hat gute Gründe. Schon länger kriselt es zwischen Léna (Nathalie Baye) und Michel (Richard Berry), eine Trennung rückt immer näher. Tatsächlich hat Léna längst angefangen, sich auf ihr Leben danach vorzubereiten. Denn wenn es nach ihr geht, dann wird sie mit den beiden Töchtern und ihrem neuen Freund Jean-Claude (Vincent Lindon) nach Paris ziehen, um dort noch einmal komplett von vorne anzufangen – wovon die aber noch nichts ahnen …
Semi-autobiografischer Rückblick
Ihre Filmkarriere startete Diane Kurys eigentlich als Schauspielerin, bis sie sich dazu entschied, auch selbst hinter die Kamera zu treten und eigene Geschichten zu erzählen. In ihrem Debüt Die kleinen Pariserinnen (1977) verarbeitete sie ihre eigenen Erfahrungen als Jugendliche in Paris, wo sie nach der Scheidung der Eltern mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aufwuchs. Mit Ein Sommer an der See kehrte sie 13 Jahre später noch einmal zu diesem Thema zurück und schilderte eine Art Vorgeschichte ihres Erstlingswerkes. Zwar wurden die Namen geändert, das Ensemble ist aus naheliegenden Gründen sowieso ein anderes. Und doch sind die Gemeinsamkeiten offensichtlich, thematisch wie inszenatorisch.
Das bedeutet, dass Ein Sommer an der See erneut weniger eine Geschichte an sich zu bieten hat, sondern mehr eine Momentaufnahme in dem Leben eines heranwachsenden Menschen darstellt. Der Film wird durch die Augen von Frédérique gezeigt, das Alter Ego der französischen Filmemacherin. Zwar ist Kurys nicht völlig konsequent dabei, wenn sie zwischendurch schon auch mal die Perspektive wechselt, um auch mal den Erwachsenen zu folgen. Insgesamt handelt es sich aber um ein Drama, das am ehesten im Coming-of-Age-Bereich angesiedelt ist. Es geht um das Leben eines heranwachsenden Menschen und wie dieser die Welt um sich herum wahrnimmt.
Wo andere das Thema der Scheidung in den Mittelpunkt gerückt hätten, da ist dieses hier nur ein Element unter vielen, ein Schatten, der am Rand über der Geschichte liegt und nach und nach näher rückt. Wer sich von Ein Sommer an der See eine Art Scheidungsdrama im Sinne von Kramer gegen Kramer oder Marriage Story erhofft, der wird daher enttäuscht sein. Kurys thematisiert auch nicht direkt, wie sich Frédérique bei der Sache fühlt. Das kommt nur punktuell zur Sprache. Stattdessen darf es auch um erste Liebe gehen, um Erlebnisse mit den Cousins und Cousinen, die noch von einer sehr kindlichen Natur sind. Es gibt ausgelassene Szenen am Strand, die so gar nichts mit den Problemen zu tun haben, die in der Familie herrschen.
Das Leben in all seiner Widersprüchlichkeit
Dass darf man dann als oberflächlich und nichtssagend empfinden, wie es manche Kritiker getan haben. Kurys vermeidet allzu konkrete Aussagen, vermittelt keine Erkenntnisse darüber, was es heißt, wenn eine Familie auseinanderbricht. Von einer exzessiven Szene einmal abgesehen ist Ein Sommer an der See zudem ein sehr leiser, beiläufiger Film, vergleichbar zu anderen französischen Filmen über Familienzusammenkünfte wie Familientreffen mit Hindernissen. Diese Atmosphäre wird hier mit einer nostalgischen Anmutung verbunden, mit einer fast zärtlichen Rückschau auf die späten 1950er, geprägt von Wehmut und einer Sehnsucht nach unschuldigeren Tagen.
Das ist natürlich ein Widerspruch zu den tragischen Ereignissen, was ebenfalls irritierend sein kann. Gleichzeitig ist das aber auch die Stärke des Films, wenn er diese Widersprüchlichkeit aufzeigt, die das Leben bereithält. Kurys zeigt uns eine Zeit des Umbruchs, sowohl für Frédérique wie auch die Familie insgesamt. Eine Zeit, die gleichzeitig schön und doch wieder schrecklich ist, wenn alte Sicherheiten entgleiten, sich dabei aber neue Möglichkeiten eröffnen. Denn so furchtbar es teilweise ist, was sich hier ereignet, durch die zeitliche Distanz findet die Regisseurin und Co-Autorin auch versöhnliche Töne. Das Leben geht weiter, es liegt noch so viel vor der jungen Protagonistin, es wird noch weitere Sommer geben, selbst wenn diese dann anders sein werden.
OT: „La Baule-les-Pins“
IT: „C’est la vie“
Land: Frankreich
Jahr: 1990
Regie: Diane Kurys
Drehbuch: Diane Kurys, Alain Le Henry
Musik: Philippe Sarde
Kamera: Giuseppe Lanci
Besetzung: Nathalie Baye, Richard Berry, Zabou Breitman, Jean-Pierre Bacri, Vincent Lindon, Julie Bataille, Candice Lefranc, Alexis Derlon, Emmanuelle Boidron, Maxime Boidron, Benjamin Sacks
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