Seit drei Generationen schon lebt die Familie von Mít (Hông Ngọc Lê) in Deutschland und während ihre Mutter Mai (Mai Phương Kollath) Wert darauf legt, dass ihre Tochter sich auf ihr Studium konzentriert, steht für ihre Großmutter Roan (Dân Boldt) vor allem die Tradition sowie die Rolle innerhalb der vietnamesischen Gemeinde im Vordergrund. Sowohl Mít als auch ihre Mutter haben es sich angewöhnt, zum einen die sehr traditionsbewusste Rolle der Tochter oder der Enkelin zu spielen, doch anderseits auch sich zu integrieren in Deutschland. Mít macht dieser Rollenwechsel immer mehr zu schaffen, gerade wegen ihrer Beziehung zu ihrer Kommilitonin Lara (Shari Asha Crosson), die sie vor ihrer Oma geheim halten will. Die Beziehung zu Lara wird immer ernster und es macht Mít Mühe, das Geheimnis zu hüten und den Vorhaltungen ihrer Mutter etwas zu entgegnen, die sie beschuldigt, sie würde ihr Studium nicht ernst nehmen und Schande über die Familie bringen. Dieser Konflikt verschärft sich, als bei Roan Alzheimer im Frühstadium festgestellt wird. Während sich Mai mit der Frage plagt, ob man Roan in ein Heim geben könne und was mit ihrer Verantwortung für die Gemeinde geschehe, ist für Mít schnell klar, dass sie handeln muss, vor allem, weil Roan auch den Altar weitergeben muss, der ihr von der Gemeinde anvertraut wurde. Mít will sich weiter um Roan kümmern, doch damit muss sie auch ihr Geheimnis aufgeben.
Die dritte Generation
In ihren Filmen setzt sich Regisseurin Thùy Trang Nguyễn, wie es auf ihrer Homepage heißt, mit der Sichtweise auf ihre Heimat Vietnam und ihre Kultur auseinander, welche dies vor allem durch den Hintergrund des Kolonialismus geprägt ist. Da sie in Berlin geboren wurde, ist Nguyễn wie die Figur der Mít in Jackfruit in zwei Kulturen zu Hause und lässt ihr Erfahrungen mit in die Geschichte mit einfließen, in welcher es um die Dekonstruktion von Aspekten wie Identität und Kultur geht. Jackfruit läuft zurzeit im Wettbewerb auf dem Filmfestival Max Ophüls und soll aufzeigen, wie die asiatischen Einwanderer in Deutschland wahrgenommen werden, erst recht in den Medien.
Viel hat sich Nguyễn mit ihrem ersten mittellangen Film vorgenommen, einem Familiendrama, in dem es im Kern um das Vergessen wie auch das Bewahren gilt. Bereits zu Anfang wird die Idee, dass sich drei Generationen einer Familie zusammenfinden, aufgegriffen, wenn auf den Gedanken verwiesen wird, dass spätestens mit der dritten Generation das Erbe der ersten vergessen sein wird. Dies scheint in gewisser Weise auch im Hinterkopf von Figuren wie Míts Mutter zu sein, die ihre Tochter auf den desolaten Zustand ihres Vietnamesisch hinweist, welches sie als „Kauderwelsch“ bezeichnet, während Roan diesen Kommentar geflissentlich ignoriert.
Dennoch verweisen solche wie auch viele andere, teils fast schon banale Szenen auf den schwierigen Spagat, den Mít leisten muss, wenn sie sich als Erbin einer Identität und einer Kultur versteht, gleichzeitig aber ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben leben will. In den drei Frauenbildern verhandelt Nguyễn zugleich verschiedene Herangehensweisen an Themen wie Assimilation, Integration und die Furcht davor, genauso wie eine überraschende Erkenntnis über die eigene kulturelle Identität, von welcher man sich gleichsam entfernt hat, wenngleich die ein erzwungener Prozess war, welcher mit der Kolonisation zusammenfiel.
Stilistisch bewegt sich Nguyễn in dem für viele unabhängige Produktionen typischen semi-dokumentarischen Stil, welcher sich vor allem auf die von Hông Ngọc Lê gespielte Mít, ihre Konflikte und ihre Gefühle konzentriert. Gerade unter Berücksichtigung, dass es sich bei Jackfruit um ein Familiendrama handelt, ist es durchaus löblich, dass Nguyễns Drehbuch das große, vielleicht etwas aufgesetzt wirkende Drama vermeidet und lieber auf subtile, stille Töne setzt.
OT: „Jackfruit“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Thùy Trang Nguyễn
Drehbuch: Thùy Trang Nguyễn
Musik: Nguyễn + Transitory
Kamera: Sarina Laudam, Katharina Hauke
Besetzung: Hông Ngọc Lê, Dần Boldt, Mai Phương Kollath, Shari Asha Crosson, Mehmet Yılmaz
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