Für Martha (Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) ist es ein Traum, der endlich wahr wird: Die Geburt ihrer Tochter steht bevor! Darauf haben sie sich lange vorbereitet, eine Hausgeburt soll es sein. Doch als es soweit ist, scheint alles schief zu gehen. Erst ist ihre Hebamme verhindert, weshalb statt derer Eva (Molly Parker) als Ersatz einspringt. Dann kommt es zu Komplikationen, während sich die Geburt immer weiter hinzieht. Am Ende die Tragödie: Nur wenige Minuten später ist das Kind tot. Für die beiden bricht damit eine Welt zusammen. Obwohl die beiden der gemeinsame Schmerz eint, entfremden sie sich zunehmend. Hinzu kommt Marthas schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter Elizabeth (Ellen Burstyn), welche darauf besteht, Eva zu verklagen, um auf diese Weise für Gerechtigkeit zu sorgen …
Der ungewohnte Alltag
Es ist schon ziemlich interessant mitanzusehen, welche Filme Kornél Mundruczó da zuletzt gedreht hat – und wie unterschiedlich diese sind. Erst lässt der ungarische Regisseur in Underdog die Hunde los, als Allegorie auf Unterdrückung. Dann nimmt er sich mit Jupiter’s Moon der Flüchtlingsthematik an und verbindet diese mit übernatürlichen Fähigkeiten, als ein Mann feststellt, dass er über dem Boden schweben kann. Und dann kommt der Netflix-Film Pieces of a Woman, sein englischsprachiges Debüt. Dort gibt es nichts von der gesellschaftlichen Relevanz seiner beiden letzten Dramen. Und auch das Märchenhafte ist komplett verschwunden, ersetzt durch eine sehr alltägliche und persönliche Geschichte um zwei Menschen, die lernen müssen mit einer Tragödie umzugehen.
Tatsächlich sind sowohl Martha wie auch Sean recht gewöhnlich, nach kurzer Zeit ist die Charakterzeichnung bereits zu Ende ausgeführt. Das hängt auch damit zusammen, dass ein Großteil des Films mit dem jeweiligen Umgang mit dem Schicksalsschlag beschäftigt ist, wir die beiden also kaum losgelöst davon kennenlernen. Aber das müssen wir auch nicht. Es ist vielmehr eben diese Allgemeingültigkeit der beiden, welche die Tragödie so schmerzhaft macht. Pieces of a Woman gelingt es gut, die zwei Figuren so nahe an einen heranzuholen, dass man kaum anders kann, als Mitgefühl für die zwei zu empfinden, die das Glück schon in ihren Händen hielten, nur um es dann doch wieder zu verlieren.
Kunstvolle Schauspielspannung
Es ist dann auch die Inszenierung des Schicksalsmoments, welche so sehr durch Mark und Bein geht, dass man den Film im Anschluss so schnell nicht wieder vergisst. In einer knapp 20 Minuten langen Plansequenz folgen wir den zweien von der ersten Begegnung über die Ankunft der Hebamme bis zur Geburt. Ruhig und doch dynamisch fährt die Kamera umher, umkreist die drei Figuren, ist oft ganz nah an ihnen dran und erhöht immer weiter die Intensität. Pieces of a Woman erzeugt dabei eine Spannung, die selbst die besten Thriller oft nicht erreichen, was besonders dem Schauspieltrio zu verdanken ist, dessen aufkommende Angst immer wieder deutlich genug durchschimmert, ohne dabei das Geschehen dominieren zu müssen.
Die schauspielerischen Leistungen bleiben im Anschluss stark. Am meisten steht natürlich Vanessa Kirby (Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins) im Fokus, die schon bei der Premiere in Venedig 2020 als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde und die als Mutter brilliert, die nach dem schweren Verlust sich erst einmal selbst finden muss. Aber auch LaBeouf (Honey Boy) und Burstyn (Der Exorzist) haben ihre Momente. Allerdings müssen sie zuweilen gegen das weniger beeindruckende Drehbuch ankämpfen, geschrieben von Mundruczós Partnerin Kata Wéber, die schon bei den letzten Filmen für das Skript verantwortlich war. Gerade bei dem Handlungsstrang um die Gerichtsverhandlung geht dem Drama seine Natürlichkeit verloren. Auf den letzten Metern wird es sogar richtig unangenehm konstruiert, etwa bei einem komplett deplatzierten Monolog von Elizabeth.
Aber auch wenn der Film mit der Zeit ins Schlingern kommt und dabei auch thematisch umherirrt, so ist Pieces of a Woman doch ein unbedingt sehenswertes Drama. Mundruczó zeigt uns nicht nur den Schmerz, der durch diese Tragödie ausgelöst wurde, sondern auch eine Vielzahl von möglichen Reaktionen auf den Schmerz. Die sind dann zum Teil mindestens fragwürdig, wenn nicht sogar abscheulich. Aber sie sind eben menschlich, eine widersprüchliche und fragile Begegnung mit etwas, das nicht sein darf und deshalb nicht sein kann. Gleichzeitig wird dem Publikum Trost gespendet, der Film versucht selbst im Verlust die Möglichkeit eines Neuanfangs zu finden, eine Neuanordnung all der Teile, die am Anfang zu Bruch gegangen sind.
OT: „Pieces of a Woman“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Kornél Mundruczó
Drehbuch: Kata Wéber
Musik: Howard Shore
Kamera: Benjamin Loeb
Besetzung: Vanessa Kirby, Shia LaBeouf, Ellen Burstyn, Molly Parker, Sarah Snook, Iliza Shlesinger, Benny Safdie
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