Sie ist intelligent und begabt. Körperlich hat Chloe (Kiera Allen) hingegen schon seit ihrer Kindheit zu kämpfen. Nicht nur, dass sie an diversen Krankheiten wie Diabetes leidet, sie sitzt außerdem im Rollstuhl, weshalb sie bis heute isoliert bei ihrer Mutter Diane (Sarah Paulson) lebt. Doch damit soll bald Schluss sein: Die 17-Jährige hat sich für diverse Colleges beworben und freut sich schon darauf, endlich die Welt da draußen kennenzulernen. Während sie noch darauf wartet, endlich Antwortschreiben der Schulen zu bekommen, macht sie eines Tages eine eigenartige Entdeckung, als sie über Tabletten in einer Einkaufstasche stolpert. Und das ist nicht die einzige Sache, welche Chloe zu denken gibt. Was genau verschweigt ihr ihre Mutter da?
Ganz anders und doch ähnlich
Mit seinem Spielfilmdebüt Searching erregte der zuvor nur im Kurzfilmbereich tätige Aneesh Chaganty 2018 schon einiges an Aufsehen. Zwar hatte es schon andere Filme gegeben, deren Optik nur aus Desktopaufnahmen bestanden. Aber kaum einen war es so gut wie ihm gelungen, dieses visuelle Gimmick tatsächlich mit Inhalt zu verbinden – und vor allem Energie. Der Thriller um eine verschwundene Tochter zeichnete sich vielleicht nicht durch eine besonders tiefgängige Geschichte aus, war aber von einer Rastlosigkeit geprägt, die durchaus mitzureißen wusste.
Umso größer war die Neugierde, was der Regisseur im Anschluss wohl als nächstes machen würde, inszenatorisch wie inhaltlich. Zum Teil ist Run – Du kannst ihr nicht entkommen genau das Gegenteil. Wo bei Searching die technischen Kommunikationsmittel unserer Zeit den Rahmen der Handlung bildeten, fehlen diese hier fast völlig. Tatsächlich wächst Chloe so isoliert auf, dass man anfangs gar nicht genau weiß, ob die Geschichte überhaupt in der Gegenwart spielt. Als dann doch mal Verweise fallen, auf ein iPhone oder das Internet, beantwortet das aber nicht nur Fragen, sondern provoziert gleich neue. Warum hat Chloe kein Smartphone? Solche kleinen Hinweise gibt es von Anfang an zuhauf. Es braucht da nicht einmal den unnötig reißerischen deutschen Untertitel, um eine gewisse Ahnung zu haben, worauf das hinausläuft.
Überzogen, aber spaßig
Tatsächlich ist die Geschichte selbst auch ziemlich vorhersehbar. Schon die einleitende Szenen, in der Diane ihr zu früh geborenes Kind verliert, gibt einem genug mit für den weiteren Weg, um ungefähr im Bilde zu sein. Ganz ohne Überraschungen ist Run – Du kannst ihr nicht entkommen dabei nicht. Gerade im letzten Drittel drehen Chaganty und sein Co-Autor Sev Ohanian richtig auf und lassen die Ereignisse richtig schön eskalieren. Was zunächst als ruhiges Familiendrama beginnt, wandelt sich dann in einen lustvoll überzogenen Thriller, der sicherlich nicht viel Sinn ergibt, aber doch Spaß macht und dabei Erinnerungen an Misery weckt.
Zumindest hier sind die Parallelen zu Searching dann auch erkennbar, wenn das Duo erneut eine Vorliebe für rastlose Thriller zeigt. Gemein ist dabei, dass Chloe aber auf einen Rollstuhl angewiesen ist, was ihre Möglichkeiten von vornherein einschränkt. Was für die meisten Menschen zu einer nur geringen Herausforderung würde, wird hier schnell zu einer Mammutaufgabe. Newcomerin Kiera Allen, die mit Run – Du kannst ihr nicht entkommen ihr Schauspieldebüt abgibt, nimmt diese physischen Herausforderungen überzeugend an. Dass die Rolle mit einem Menschen besetzt wurde, der auch im wahren Leben in einem Rollstuhl sitzt, ist daher gleich in mehrfacher Hinsicht eine gute Entscheidung gewesen.
Sarah Paulson wiederum gefällt wie vor einigen Wochen in Ratched als Protagonistin, bei der Wärme und Eiseskälte kaum voneinander zu trennen sind. Eine Frau, die einen anlächelt und dabei doch ganz unsicher fühlen lässt. Damit stimmt der Unterhaltungsfaktor, zumal Chaganty erst gar nicht versucht, die eher dünne Geschichte in die Länge zu ziehen. Schade ist jedoch, dass er die Ambivalenz, ob Chloe nicht vielleicht doch sich etwas einbildet, nicht wirklich verfolgt, sondern mehr oder weniger gleich in die Tonne wirft. Auch bei der Figurenzeichnung gab man sich mit wenig zufrieden. Da insgesamt aber der Unterhaltungsfaktor stimmt, der Psychothriller an manchen Stellen auch schön fies wird, ist Run – Du kannst ihr nicht entkommen ein würdiges Zweitwerk, welches neugierig macht auf das, was der Filmemacher wohl als nächstes angehen wird.
(Anzeige)