Stollen
© Janine Pätzold

Stollen

Kritik

Stollen
„Stollen“ // Deutschland-Start: 18. November 2021 (Kino) // 10. Dezember 2021 (DVD)

Bei dem Wort Stollen dürften die einen an Bergstollen denken, in Stein gehauene Gänge, zum Zwecke des Bergbaus angelegt. Anderen wird an der Stelle vielleicht eher das Backwerk in den Sinn kommen, ein brotförmiger Kuchen aus Hefeteig, der vorrangig zur Weihnachtszeit verzehrt wird. Beim Dokumentarfilm Stollen ist der Titel daher durchaus clever gewählt, wenn es darin um beides geht, Bergbau wie Backwerk. Das klingt erst mal nach einem Widerspruch, so richtig viel hat beides auf den ersten Blick nicht gemeinsam. Und doch sind beide eng mit der Geschichte des Erzgebirges verbunden, welches hier im Mittelpunkt steht.

Genauer nimmt uns Regisseurin Laura Reichwald mit in das Dorf Pöhla, das für den Wandel der Gegend stellt. Viele Jahrhunderte lang wurde in der Gegend Uran abgebaut. Und auch wenn das nun schon eine Weile zurückliegt und das Leben schwer war, die Identität der Menschen ist nach wie vor eng damit verbunden. Da werden alte Bräuchte gepflegt, so als wäre die Zeit stehen geblieben. Ob das nun der eigenen Verbundenheit wegen geschieht oder weil ein touristisches Publikum damit angezogen wird, das ist dabei zuweilen nicht ganz eindeutig. Zu sehr hat sich das eine mit dem anderen vermischt.

Der Kampf um die eigene Identität

Das ist den Menschen vor Ort auch durchaus bewusst. In den Interviews mit Reichwald wird deutlich, dass da hinter den Kulissen schon mit dem richtigen Weg gerungen wird. Eine Tradition, die nur der Touristen wegen aufrecht erhalten wird, ist schließlich keine wirkliche Tradition. Und so steht über allem die Frage: Wie soll es weitergehen in der Zukunft? Zwar wird immer wieder betont, dass die Leute im Erzgebirge ein eingeschworener Kreis sind mit einer unverrückbaren Identität – einer der Männer macht dies an der Aussprache von „Glück auf“ fest. Aber das bedeutet nicht, dass nicht auch sie einem Wandel unterliegen.

An einer Stelle erklärt eine Frau beispielsweise, wie sich die Schwibbögen im Laufe der Zeit geändert haben, eines der bekanntesten Objekte der Erzgebirgischen Volkskunst und fester Bestandteil der Weihnachtsdekoration. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine wissenschaftliche Aufarbeitung. Vielmehr teilt sie ihre eigenen Erinnerungen an die Kindheit. Das ist allgemein das Konzept von Stollen: Hier kommen keine Historiker zu Wort, sondern die einfache Bevölkerung. Der Zugang zu den Themen ist ein sehr persönlicher, wenn Ansichten geteilt werden, Hoffnungen und Sorgen.

Eine strittige Zukunft

Eine davon betrifft Pläne, den Bergbau wieder anzugehen. Dieses Mal sucht man jedoch die Schätze der Neuzeit, welche unter anderem bei der Fertigung von Handys gebraucht werden. Das hört sich erst einmal toll an, nach einer neuen Perspektive. Gleichzeitig würde das jedoch zu deutlichen Veränderungen der Landschaft führen. Auch die Zukunft hat also ihren Preis. Der Dokumentarfilm, der auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis 2021 Uraufführung hat, sucht nach diesen Ambivalenzen und Abwägungen, zeigt Menschen, die bei allem Stolz doch auch nicht ganz sicher sind.

Stollen wechselt dabei ganz klassisch zwischen Aufnahmen aus dem Alltagsleben, gerade bei traditionellen Tätigkeiten, und Interviewsituationen hin und her. Da wird im einen Moment gesungen, nur um anschließend über den Bergbau zu reden. Das ist schon mit einer gewissen thematischen Schere verbunden. Die Klammer des Films ist dann doch eine geografische, weniger eine inhaltliche. Das ist für ein Publikum interessant, das selbst einen Bezug zum Erzgebirge hat. Der Rest kann sich aber zumindest mit dem immer wieder gerne verwendeten Frage auseinandersetzen, wie sich Tradition und Moderne verbinden lassen und wie Gegenden eine Zukunft haben können, die von der Vergangenheit leben.

Credits

OT: „Stollen“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Laura Reichwald
Drehbuch: Laura Reichwald, Stephan Bernardes, Georg Kußmann
Kamera: Janine Pätzold

Trailer

https://vimeo.com/475223560

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„Stollen“ nimmt das Publikum mit ins Erzgebirge, wo die Menschen zwischen Bergbau und Weihnachtsprodukten von der Vergangenheit leben. Der Dokumentarfilm fragt dabei gleichzeitig nach der Zukunft und dem schwierigen Verhältnis zwischen gelebter Tradition und Tourismusausverkauf, bei der auch die eigene Identität diskutiert wird.