Bislang war Dr. Laurent (Jean Gabin) in Paris tätig. Jetzt hat der Arzt die französische Hauptstadt verlassen, um in St. Martin zu praktizieren, einem kleinen Dorf in den Alpen. Dort wird seine Hilfe auch dringend gebraucht. Nicht nur, dass der bisherige Arzt in Rente gegangen ist, auch bei den Behandlungsmethoden herrscht Nachholbedarf. So wird er kurz nach seiner Ankunft Zeuge, wie eine junge Frau auf qualvolle Weise entbindet, selbst Wochen später leidet sie noch an den Folgen. Dr. Laurent will dies ändern und verspricht den Frauen, dank den neuesten Errungenschaften der medizinischen Forschung, eine schmerzlose Geburt. Während das Interesse bei ihnen groß ist, formiert sich in dem Dorf auch Widerstand gegen diese Änderungen …
Konflikt Land und Stadt
Wenn es in Filmen einen Großstädter aufs Land verschlägt, dann geht das oft mit humorvollen Culture-Clash-Momenten einher. Schließlich könnten die jeweiligen Welten für die Figuren kaum unterschiedlicher sein, weshalb beide Seiten erst einmal nichts miteinander anfangen können. Bei Der Fall des Dr. Laurent gibt es diese Konflikte auch. Mit Humor haben die aber relativ wenig zu tun. Stattdessen geht es um unterschiedliche Handlungsmethoden, wie sie einerseits in Paris, andererseits in der Provinz üblich sind. Dass diese in Letzterer noch nicht ganz auf dem neuesten Stand ist, sollte nicht verwundern. Umso mehr, wenn es sich um eine Provinz in den 1950ern handelt, als die realen Wege wie auch die Informationswege noch etwas länger waren.
Im Gegensatz zum heute gebräuchlichen Filmklischee, dass die Menschen auf dem Land noch das richtige Leben führen, wissen, was wirklich zählt, findet der Lernprozess in Der Fall des Dr. Laurent deshalb nicht beim Städter statt. Vielmehr ist es die ländliche Bevölkerung, die sich öffnen muss, die etwas hinzulernen kann und soll. Das Argument, das habe man immer schon so gemacht, ist nun einmal nicht das stichhaltigste. Vor allem nicht im wissenschaftlichen Umfeld. Die Aussage des Films ist daher schon, dass man sich außerhalb der eigenen Komfortzone aufhalten muss, um Fortschritte zu machen. Ein Leben kann besser werden, man muss es nur zulassen.
Historischer Einsatz fürs Frauenwohl
Im Zentrum von Der Fall des Dr. Laurent steht dabei aber gar nicht so sehr der Konflikt zwischen Stadt und Land sowie Wissenschaft und Tradition. Schließlich wird der Protagonist später auch mit der Ärztekammer seine Probleme bekommen, obwohl diese in der Stadt sind und der Wissenschaft zugewandt. Wichtiger ist Regisseur und Drehbuchautor Jean-Paul Le Chanois die humanistische Komponente. Der Arzt wirbt schließlich nicht aus einem Gefühl der Überlegenheit für seine Methoden, sondern weil er den Menschen helfen möchte. Aus heutiger Sicht erscheint es daher geradezu bizarr, wie Teile der Dorfbevölkerung darauf bestehen, dass sich nichts ändert, Schmerzen nicht nur in Kauf nehmen, sondern diese sogar gutheißen.
Damit untrennbar verbunden ist ein inzwischen antiquiertes Geschlechterbild. Frauen, so wird im Dorf deutlich gemacht, sollen nicht nur Kinder gebären. Sie sollen dabei auch Schmerzen haben, da ansonsten – so die geläufige Ansicht – keine wirkliche Verbindung zwischen Mutter und Kind entstehen kann. Wie bei einem Film aus den 50ern nicht wirklich anders zu erwarten, wird die Frau daher auf ihre Funktion als Gebärmaschine reduziert. Wenn Der Fall des Dr. Laurent dies ändern will, sich dafür einsetzt, Frauen eine schmerzlose Geburt zu ermöglichen, dann ist das zwar in erster Linie von einer historischen Relevanz. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Fortschritte bei Geburten schließlich groß gewesen. Begrüßenswert ist dieser frühe Einsatz für Frauenrechte aber schon.
Nicht wirklich ein Spielfilm
Allerdings ist Der Fall des Dr. Laurent dann auch in erster Linie ein Film, dem es um die Vermittlung der Aussage geht. Als eigentlicher Film, losgelöst vom historischen Kontext, ist das Drama sehr viel weniger sehenswert. So gibt es zwar schon das eine oder andere schöne Bild. Auch der besonnen und einfühlsam auftretende Jean Gabin (Zwei Mann, ein Schwein und die Nacht von Paris, Endstation Schafott) trägt dazu bei, dass man sich die Geschichte eines hilfsbereiten Arztes anschauen kann. Es fehlt aber das Narrative, es fehlen Figuren, die über eine Funktion hinausgehen. Das hat am Ende mehr von einem Aufklärungsvideo als einem tatsächlichen Spielfilm und dürfte für ein heutiges Publikum daher in erster Linie belanglos sein.
OT: „Le cas du Docteur Laurent“
Land: Frankreich
Jahr: 1957
Regie: Jean-Paul Le Chanois
Drehbuch: Jean-Paul Le Chanois, René Barjavel
Musik: Joseph Kosma
Kamera: Henri Alekan
Besetzung: Jean Gabin, Nicole Courcel, Silvia Montfort, Arius, Daxely, Lucien Callamand, Josselin, Mag Avril, Marthe Marty
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