Sei dein eigener Held! Normalerweise setzt Netflix bevorzugt auf ein passives Publikum, das sich anhand von Algorithmen immer genau das vorsetzen lässt, was dem eigenen Geschmack entspricht. Schließlich soll es möglichst lange auf der Couch kleben bleiben und alles tun nur nicht ab- bzw. umschalten. Dann und wann versucht sich der Streamingdienst aber auch an einer etwas interaktiveren Form der Unterhaltung. Genauer handelt es sich dabei um Titel, bei denen die Nutzer und Nutzerinnen an bestimmten festgelegten Punkten Entscheidungen fällen müssen und damit den Fortgang der Geschichte beeinflussen. Das kann mal spannend sein, wie bei Black Mirror: Bandersnatch, mal humorvoll (Captain Underpants und das riesige Auswahl-O-Rama).
Überlebenskampf in der Natur
Eine dritte Ausrichtung versuchte man mit der Serie Du gegen die Wildnis. Darin folgten wir dem britischen Abenteuer Bear Grylls, wie er sich durch den Dschungel oder andere eher wenig menschentaugliche Orte schlägt, sich mit wilden Tieren auseinandersetzt oder anderweitig um sein Überleben kämpft. Das war als Konzept schon ganz interessant. Das junge Zielpublikum durfte nicht nur mitfiebern und die Illusion haben, selbst für den Ausgang der Geschichte verantwortlich zu sein. Die Folgen waren zudem immer wieder mit lehrreichen Segmenten gefüllt, in denen man Kurioses bis Nützliches über das Leben in der Natur lernen durfte.
So ganz überzeugte die Umsetzung aber nicht, da die Ergebnisse der Entscheidungen zuweilen etwas willkürlich waren. Das ist bei Du gegen die Wildnis – Der Film nicht anders, welches das Konzept aufgreift und in einer längeren Fassung präsentiert. Dieses Mal muss sich Bear um Probleme kümmern, die mit einem Reservat in Afrika zu tun haben: Der Strom ist ausgefallen, damit auch das elektrisch geladene Gitter. Das wiederum führte dazu, dass ein Löwe und ein Pavian aus dem Reservat ausgebrochen sind. Die Nutzer*innen müssen sich um diese Probleme kümmern. Neu ist dabei, dass sie nicht nur an den entsprechenden Schaltstellen bestimmen, welche Strategie Bear verfolgen soll, sondern auch in welcher Reihenfolge die drei Handlungsstränge angegangen werden.
Das dauert zu lang
Prinzipiell ist das eine durchaus clevere Idee, um die Haltbarkeit von Du gegen die Wildnis – Der Film zu erhöhen. Schließlich kann man hier die Kapitel anders anordnen und das Szenario noch mal anderweitig durchspielen. Tatsächlich hat das Ganze aber einen entscheidenden Makel: Die für einen Durchgang benötigte Zeit ist schlicht zu lang. Wer beispielsweise bei einer Mission sich falsch entscheidet und danach die anderen spielt, ist bei einem Neustart gezwungen, alle Missionen noch einmal durchzugehen – auch die, bei denen alles klappte. Da hätte es auf jeden Fall die Möglichkeit gebraucht, gezielter von Punkt zu Punkt springen zu können.
Zumal das Problem mit der Willkürlichkeit wieder auftritt. Während bei einigen Entscheidungsmöglichkeiten die Folgen absehbar sind, verkommt Du gegen die Wildnis – Der Film an anderen Stellen letztendlich zu einem reinen Glücksspiel. Der Anspruch, dem Publikum noch etwas Wissenswertes mit auf den Weg zu geben, wird dadurch nicht wirklich erfüllt. Hinzu kommt, dass einige Zwischenstationen für die Geschichte völlig irrelevant sind, etwa wenn Bear unterwegs verschiedenen potenziellen Nahrungsquellen über den Weg läuft. Die Enttäuschung darüber ist umso größer, da die Szenen, in denen man überhaupt eingreifen kann, rar gesät sind. Da stimmte bei der Serie die Balance aus Film schauen und Entscheidungen fällen doch deutlich besser.
Schöne Bilder
Ganz ohne Reiz ist aber auch die Filmvariante nicht. Eine große Stärke sind die Bilder, die uns die Wildnis Afrikas näherbringen, ohne auf billige Computereffekte setzen zu müssen. Auch die Schauplätze sind abwechslungsreich, beinhalten Savannen, felsige Meeresklippen und eine tiefe Schlucht. Charismatisch ist Grylls ohnehin, weshalb man ihm ohne größere Probleme auch eine Dreiviertelstunde dabei zusieht, wie er von einer brenzligen Situation in die nächste gerät. Außerdem muss man anerkennen, mit welchem Aufwand das hier alles betrieben wurde, gerade bei den Alternativszenarien. Wer die Serie mochte, sollte sich Du gegen die Wildnis – Der Film anschauen. Neulingen ist aber die Serienfassung als Probeeinstieg eher ans Herz gelegt, da die Folgen dort nicht einmal halb so lang waren und somit besser zum Reinschnuppern geeignet sind.
OT: „Animals on the Loose: A You vs. Wild Movie“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Ben Simms
Idee: Robert Buchta, Bear Grylls, Delbert Shoopman
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