Irgendwie hatte sich Ezequiel (Tyron Ricketts) das alles anders vorgestellt. Jahre hatte der Brasilianer, der mit seiner Frau Marta (Dalila Abdallah) und Sohn Stevie (Pablo Grant) in Berlin wohnt, als Capoeira-Lehrer gearbeitet. Doch das ist vorbei, als er nicht wie erwartet die Schule übernehmen durfte und seither keine Perspektive mehr darin sieht. Nur: Es fehlt an einer wirklichen Alternative. Seine Geschäftsidee, Flip-Flops zu verkaufen, stellt sich als ziemlicher Flop heraus, das Geld reicht hinten und vorne nicht, um seine Familie durchzubringen. Und so beschließt er, erst einmal den Job bei einer Firma für Denkmalschutz anzunehmen. Dachte er zumindest. Stattdessen stellt sich bald heraus, dass er zusammen mit Reynaldo (Komi Mizrajim Togbonou) und Jason (Nyamandi Adrian) historische Klos schrubben soll, was er so gar nicht mit seiner Würde vereinbaren kann …
Über schwarzes Leben in weißen Gesellschaften
Eines der großen Themen 2020 war – neben der allgegenwärtigen Corona-Pandemie und der dominanten US-Wahlen – das von Black Lives Matter. Befeuert von einem weiteren Fall exzessiver Polizeigewalt gegenüber einem schwarzen Mann, wurde weltweit protestiert und ein Ende des systematischen Rassismus gefordert. Auf den ersten Blick könnte man meinen, Herren wäre als Antwort darauf entstanden. Tatsächlich wird hier die Geschichte einer schwarzen Familie erzählt, die in Deutschland kaum über die Runden kommt. Auch die anderen Hauptfiguren sind allesamt dunkelhäutig und irgendwie gescheitert. Das Bild dreier schwarzer Männer, die nachts die Klos der weißen putzen, das hinterlässt schon Eindruck.
Und doch ist Herren mehr als nur ein bloßer Mitläufer. Zum einen entstand der Film schon vorher, lief 2019 auf den Biberacher Filmfestspielen, lange bevor sich die Medien auf das Thema stürzten. Außerdem handelt es sich hier, anders als bei so vielen Immigrationsgeschichten, nicht um ein reines Betroffenheitsdrama, das mit ernster Stimme von dem Leid der Welt berichtet. Die TV-Produktion ist deutlich leichtfüßiger und spöttischer, gleichzeitig auch komplexer. Die lose Adaption eines Romans von Warwick Collins macht aus Ezequiel kein reines Opfer eines ihn ablehnenden Systems. Wenn er an seinem Leben scheitert, dann auch deshalb, weil er an sich selbst und seinen Erwartungen scheitert.
Die Suche nach dem eigenen Platz
Tatsächlich ist Herren nur zum Teil ein Film, der die gesellschaftliche Situation abbilden möchte. Wichtiger war es Drehbuchautorin Stefanie Kremser, Ezequiel als Individuum in den Mittelpunkt zu rücken und von seinen Versuchen zu erzählen, eine Position in dieser Gesellschaft zu finden. Er versucht sich über seine Arbeit zu definieren, was nicht so wirklich klappt, will sich über seine Hautfarbe definieren. Am Ende definiert er sich über seinen Sohn, den er zu einem Studium drängt und damit einem Leben, dass er selbst wollte, aber nie erreicht hat. Stevie wird so zu einer Projektionsfläche gemacht, soll die Träume verwirklichen, an denen sein Vater gescheitert ist. Dass das nicht gesund ist, von erfolgsversprechend ganz zu schweigen, ist klar.
Herren wird damit zu einer Sinn- und Identitätssuche, die geschickt mehrere Themen streift. Da geht es mal um Rassismus, dann wieder um die Beziehungen innerhalb der Familie, die Frage nach würdevoller Arbeit, aber auch toxische Männlichkeit. So leidet Ezequiel sehr unter dem von ihm selbst auferlegten Bild, dass der Mann das Geld verdient. Als Stevie ihm irgendwann verrät, dass er ein anderes berufliches Ziel verfolgt als das, was ihm vorgegeben wurde, bricht eh die Hölle los, empfindet Ezequiel diese Wahl als doppelt würdelos – vor allem bei der konkreten Berufswahl. Dabei ist, das macht der Film klar, beruflicher Erfolg nicht gleichbedeutend mit Würde. Gerade die beiden Kollegen zeigen, dass Leben mehr sein kann. Dass es nicht unwürdig ist, wenig begehrenswerte Arbeit zu vollrichten.
Das alltägliche Glück
Auf eine gewisse Weise ist die Tragikomödie von Dirk Kummer (Alte Bande) dann auch eine Art Feel-Good-Film, wenn der frustrierte Ezequiel unerwartete Freundschaften schließt, sich mit der Arbeit arrangiert und auch wieder einen Zugang zu seinem Sohn findet. Das mag dann nicht übermäßig originell sein. Das TV-Format zwingt zudem dazu, dass die Entwicklung sehr schnell gehen muss, damit alle nach weniger als anderthalb Stunden durch sind. Dafür ist Herren charmant, von leisem Witz, mit Hauptdarsteller Tyron Ricketts auch sehr gut besetzt. Zudem gelingt es, die Balance aus einer besonderen Situation – das Leben als Schwarze in Deutschland – mit universellen Themen zu verknüpfen, in denen man sich schnell wiederfinden kann.
OT: „Herren“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Dirk Kummer
Drehbuch: Stefanie Kremser
Vorlage: Warwick Collins
Musik: Johannes Repka
Kamera: Falko Lachmund
Besetzung: Tyron Ricketts, Komi Mizrajim Togbonou, Nyamandi Adrian, Pablo Grant, Dalila Abdallah
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