In der Mini-Serie Tod von Freunden spielt Katharina Schüttler an der Seite von Darstellern wie Jan-Josef Liefers und Anton Petzold eine Familienmutter, die in Gestalt eines alten Freundes von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Ab dem 7. Februar 2021 läuft das Thrillerdrama, welches von Friedemann Fromm (Weissensee) geschrieben und inszeniert wurde, im ZDF. Das haben wir zum Anlass genommen, uns im Interview mit der Schauspielerin über extreme Rollen, die Herausforderung, Dänisch zu lernen und über Grenzen zu sprechen.
An einer Stelle sagt Ihre Figur in der Serie, dass es wichtig sei, Grenzen zu kennen und diese wie auch immer zu überwinden. Inwiefern trifft dies auf die Rolle zu, die Sie in Tod von Freunden spielen?
Für Sabine ist dieser Satz interessant, weil ich glaube, dass sie unsere Welt als grenzenlos empfindet. Ich glaube auch, Grenzen existieren eigentlich nur in unseren Köpfen, und Sabine weiß darum, was sie für mich außergewöhnlich macht. Durch ihren Unfall hat Sabine das erste Mal in ihrem Leben eine Grenze erfahren müssen und das Trauma, nie mehr als Tänzerin arbeiten zu können, hat sie damals schwer getroffen. Aber sie hat diese Verbundenheit zu der Präsenz ihres Körpers und somit zur Gegenwart, die es ihr ermöglicht, über so gut wie alles hinweg zu kommen. Wenn wir die Erfahrung machen, auf Grund eines traumatischen Erlebnisses an eine Grenze zu stoßen, und es schaffen, diese aus eigener Kraft zu überwinden, öffnen sich neue, unermesslich weite Räume in uns. Wir sind also an einem Punkt in unserem Leben, an dem wir ohne diese Erfahrung nie hingekommen wären. Deswegen hat dieser Satz über Grenzen viel mit Sabine zu tun.
In einem Beitrag über Sie las ich, dass Sie bei Ihrer Wahl von Projekten sehr gerne extreme Rollen spielen. Inwiefern ist Sabine eine solche Rolle, wenn sie doch eigentlich eine sehr menschliche Erfahrung durchmacht, die viele von uns erleben?
Eine extreme Rolle kann ein ganz normaler Mensch sein, der in eine extreme Lebenssituation gerät und mit dieser umgehen muss. Insofern ist Sabine auf eine Art schon auch eine „extreme Rolle“. Auf jeden Fall ist Sabine eine außergewöhnliche Frau. Sie hat etwas sehr Radikales in der Art und Weise, wie sie das Leben annimmt und wie sich ihrem Schmerz stellt und ihn zulassen kann. Gleiches gilt für ihre Art, diesem Schmerz durch Tanz körperlichen Ausdruck zu verleihen und so in ihn „einzutauchen“. Indem sie sich ihrem Schmerz stellt, ist sie in der Lage, ihn zu transformieren. Dieses Verhalten finde ich wir sehr beeindruckend, weil wir doch häufig dazu neigen, schmerzvolle Erfahrungen eher zu verdrängen, anstatt sie körperlich zu erfassen. Wir „retten“ uns in die „Vernunft“. Unser Denken lässt uns immer wieder in die Vergangenheit reisen: Was wäre gewesen, wenn wir uns anders verhalten hätten? Hätten wir das Unglück verhindern können? Das ist in gewisser Weise eine Form des Wahnsinns, das, was ist, nicht zu akzeptieren.
Obwohl es in erster Linie ein Familiendrama mit Thrillerelementen ist, gibt es immer wieder Szenen, die auf Dinge außerhalb dieser Geschichte verweisen, wie beispielsweise die Szene mit den Flüchtlingen ganz zu Anfang. Inwiefern sind diese Ihrer Meinung nach Verweise auf das, was mit den beiden Familien passiert?
Solche Momente wurden vom Regisseur und Autor Friedemann Fromm natürlich bewusst gesetzt. Sabine lebt mir ihrer Familie auf einer kleinen Insel. Sie hat eine Grenze aus Wasser zwischen sich und der Welt und den Menschen gewählt, die sie schützt. Diese Grenze ist ein Teil ihrer Identität geworden. Es gibt einen großen Teil ihres Lebens, ihrer Vergangenheit, den sie schlichtweg weggesperrt hat und bei dem sie Wert darauf legt, dass dies auch so bleibt. Auch da gibt es eine Form der Grenzsetzung.
In der Szene, die Sie ansprechen, spiegelt sich das Thema von Freiheit und von Menschen geschaffenen Grenzen. Es geht darum, in welchem Raum wir uns bewegen und leben dürfen. Sind wir so frei, wie wir glauben zu sein? Eine Grenze schließt jemanden aus, dabei verschließt sie sich selber aber ebenfalls. Sie kann nie der Wahrheit entsprechen, da sie immer nur einen Teil des Ganzen erfasst. Das Gleiche geschieht in der Familie: durch die Unwahrheiten und Notlügen entsteht eine Geschlossenheit innerhalb der Gemeinschaft von Menschen, die sich eigentlich sehr nahe stehen und sich lieben. Durch Grenzen verlieren sich Menschen. Im Kleinen, wie man anhand der Familie in der Geschichte sieht, aber auch im Großen, weil wir uns verschließen und nicht mehr zusammen kommen. Diese Grenzen sind in unseren Köpfen und dadurch natürlich in unserer Gesellschaft. Eigentlich müssten wir diese Grenzen auflösen, indem wir uns klarmachen, dass sie eine Illusion sind, ein Hirngespinst. Grenzen haben mit der Wirklichkeit, in der wir alle zusammen leben, in Wahrheit nichts zu tun.
Haben Sie eine Lieblingsszene und können Sie uns etwas dazu sagen, wie es war, diese dann zu drehen?
Es gab sehr viele Szenen, auf die ich mich beim Drehen gefreut habe. Mitunter gerade auch die „extremen“ Szenen, wenn man sie so nennen will. Eine dieser Szenen war zum Beispiel der Moment, als die beiden Väter frühmorgens von ihrer Suche nach Kjell zurück kommen und es klar wird, dass sie erfolglos waren. Sabine entfacht ein Feuer am Strand und schreit in den Wind, dieses Feuer so lange brennen zu lassen, bis ihr Sohn wieder da ist. Man spürt ihre wahnsinnige Hoffnung, dass Kjell noch am Leben ist und diesen Ausnahmezustand auszudrücken hat mir unglaublichen Spaß gemacht zu spielen. Eine andere Szene, die mich sehr herausgefordert hat und dabei großen Spaß gemacht hat, war der Moment wo Sabine, die über Jahre hindurch nicht selbst getanzt hat und nur andere dabei angeleitet hat, auf einmal wieder selber tanzt und dabei ihr kaputtes Knie und ihren physischen Schmerz völlig vergisst und sich ihrem emotionalen Schmerz völlig hingibt.
Es gab wirklich viele Szenen, die außergewöhnlich schön waren zu spielen, da sie eben große Momente im Leben dieser Menschen erzählen. Zum Beispiel, wenn Bernd, gespielt von Jan-Josef Liefers, mir sagt, dass das zweite Kajak gefunden wurde, was so viel heißt, wie, dass es keine Hoffnung mehr gibt, unserer Kind noch lebend zu finden. Das sind Momente, die man niemals selber erleben will, aber sie in der Fantasie auszuloten, macht großen Spaß als Schauspielerin.
Gab es für diese Tanzszenen eine Choreografie? Wenn ja, wie entstand diese?
Ich habe die Tanz-Szenen mit einer Choreografin zusammen erarbeitet, die auch die große Tanzszene mit den Schülern aus Sabines Schule choreographiert hat. Zusammen haben wir uns auf die Suche begeben herauszufinden, was wir im jeweiligen Moment überhaupt mit dem Tanz erzählen wollen und wie wir das, was wir erzählen wollen, am besten ausdrücken können. Wir haben viel improvisiert und schlussendlich die Sachen, die uns gefielen, zusammen gebastelt. Die Szene, in der Jakob Nachts in die Tanzschule kommt, war beim Dreh eine wiederholbare Choreographie, auch wenn sie wie aus dem Moment entstanden wirkt. Es war ein sehr zeitintensiver und sehr schöner Prozess.
Mich hat beeindruckt, wie der Aspekt des Überwindens von Grenzen in diese Tanzszenen mit einfloss.
Es gibt noch vieles Erzählenswertes über die Entstehung dieser Szenen. Beispielsweise habe ich irgendwann einmal während der Probe des ersten „Tanzes“, wenn Jakob Sabine nachts in der Tanzschule überrascht sagt, dass es sich für mich nicht richtig anfühlt, wenn Sabine in ihrem Tanzoutfit tanzt. Sie ist nachts geflüchtet in die Tanzschule, den einzigen Ort, an dem sie mit ihrer Verzweiflung alleine sein kann. Ihr Schmerz und ihre Trauer überwältigen sie spontan. Ihre Emotionen brechen völlig ungeplant aus ihr heraus. Sie tanzt nicht, weil sie tanzen will, sondern weil sie nicht anders kann. Also habe ich mir von der Kostümbildnerin mein Kostüm für den Spieltag erbeten und bin damit zur Tanzprobe gegangen, um festzustellen, dass es einen großen Unterschied macht, in Jeans und Pullover zu tanzen. Es hat der Szene einen völlig anderen Impuls gegeben. Das war toll. Es braucht aber viel Zeit, um zu solchen Erkenntnissen zu kommen und ich bin sehr dankbar, dass wir diese Zeit in der Vorbereitung hatten.
Inwiefern spielt die Tatsache, dass das Drehbuch auf Dänisch wie auch auf Deutsch verfasst ist, eine Rolle für die Geschichte?
Die Sprache spielt natürlich eine große Rolle für die Geschichte. Sie ist ein Teil der Geschichte. Es geht um zwei Familien, die aus zwei verschiedenen Welten kommen und in deren Welten miteinander zu einer verschmelzen. So lange die Familien harmonisch miteinander leben, sind die Sprachen wie eine. Erst wenn es zu Konflikten kommt, wird die Sprache zu einem trennenden Element. Insofern sind die zwei Sprachen ein eigener Bestandteil der Geschichte, die wir erzählen. Ich hoffe, dass viele Zuschauer sich in der Mediathek für die Original-Fassung entscheiden werden.
Ich finde den Wechsel der Sprachen wirklich außergewöhnlich und sehr spannend. Die Sprache war natürlich eine große Herausforderung für uns alle. Eine neue Sprache ist in meinen Augen nicht nur eine neue Form des Ausdrucks, sondern mit ihr ist auch eine neue Welt der Möglichkeiten und eine bis dahin unbekannte Version von einem selbst verbunden. In einer anderen Sprache verhält man sich anders, sagt, denkt und tut andere Dinge.
Als ich anfing, mich mit dem Dänischen zu befassen, war ich absolut verzweifelt, weil ich gar nicht wusste, wie ich jemals in der Lage sein sollte, auch nur annähernd glaubhaft einen geraden Satz in dieser merkwürdigen, schwer greifbaren und für meine Ohren absolut nicht zu artikulierenden Sprache über die Lippen zu bringen. Dänisch ist eine sehr weiche Sprache mit vielen Lauten, die wir im Deutschen nicht kennen und die teilweise an so fremden Orten gebildet werden, wie ich es bislang nur aus dem Arabischen kannte. Nach zwei Wochen habe ich meine anfängliche Verzweiflung überwunden und beschlossen, wirklich Dänisch zu lernen. Ich wollte mehr können als bloß meine Drehbuchsätze. Also habe ich mir bei jeder Gelegenheit Sprachkurs-Videos auf YouTube angeschaut. Ich wollte meine Dänischen Kollegen wirklich verstehen und nicht bloß so tun als ob ich sie verstünde. Ich wollte die Freiheit haben, im jeweiligen Moment zu entschieden, in welcher Sprache sich meine Antwort oder Reaktion richtig anfühlt.
Ich wollte mir durch die Sprache eine Freiheit erarbeiten, die zu Sabine passt. Sie und ihre Kinder sind nämlich keinesfalls Deutsche, sondern Teil der dänischen Minderheit in Flensburg, wo die Handlung unter anderem spielt, weshalb die Sprache einen wichtigen Teil von ihr darstellt. Ich konnte sie nur ganz erfassen, wenn ich auch einen Zugang zu dem Dänischen Teil in ihr finden konnte. Dieser Weg, die Sprache so zu lernen, wie ich es in der Vorbereitung auf die Dreharbeiten tat, fühlte sich absolut gut und richtig an. Obwohl die Dreharbeiten schon lange vorbei sind, befasse ich mich immer wieder mit dem Dänischen. So ganz am Ende meiner Reise bin ich scheinbar noch nicht angekommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
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