Seitdem die Ärztin Martha (Senta Berger) in Rente gegangen ist, kümmert sie sich um die diversen Kinder in ihrer Nachbarschaft. Als der Student Tommy Skagen (Jonathan Berlin) mit seinem jüngeren Bruder Winnie (Emile Chérif) dort einzieht, zögert sie auch nicht lange und bietet ihre Hilfe an. Schließlich haben die beiden keine Eltern und Tommy ist oft den ganzen Tag unterwegs, weshalb Winnie viel allein ist. Aus gutem Grund: Der junge Mann ist nicht nur mit seinem Jurastudium beschäftigt, sondern verdient nebenher Geld mit seiner Arbeit an den Docks und bei illegalen Mixed Martial Arts Kämpfen, um seine hohen Schulden begleichen zu können. Als dann auch noch Viktor (Peter Lohmeyer), der Vater der beiden, aus dem Gefängnis entlassen wird, müssen sich die zwei endgültig darüber klar werden, wie es in Zukunft weitergehen soll …
Hilfe für Fremde
Auch wenn es heute mehr Möglichkeiten denn je gibt, sich mit anderen Menschen zu vernetzen – Stichwort soziale Medien und Smartphones –, wirklich enger zusammengerückt ist man nicht unbedingt. Tatsächlich klagen immer mehr über Einsamkeit, finden abseits der virtuellen Welten schwieriger Anschluss. Gerade in Städten ist es keine Seltenheit, die eigenen Nachbarn und Nachbarinnen nicht zu kennen und in der Anonymität verlorenzugehen. Auf Fremde zuzugehen, direkt mit ihnen zu sprechen, das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Es fehlt die Zeit, vielleicht auch das Interesse, um sich noch darauf einzulassen. Vielleicht auch das notwendige Gespür, was geht und was nicht.
In den besseren Momenten regt Martha & Tommy da durchaus auch zum Nachdenken an. Wie weit darf ich in meinem Wunsch gehen, anderen Menschen zu helfen? Dass Martha beste Absichten hat, das wird kaum einer bestreiten. Ihr Hang zu Übergriffen, wenn sie sich immer wieder einmischt, ist aber ebenso wenig zu übersehen. Diese Balance zu halten aus Hilfsangebot und Respekt ist nicht immer ganz einfach, zumal Tommy mit seiner Situation so offensichtlich überfordert ist und Hilfe ablehnt, die er gut gebrauchen kann. Verkompliziert wird das noch dadurch, dass er sich um seinen jüngeren Bruder kümmern muss, der kein Mitspracherecht dabei hat.
Überladen und konstruiert
Leider ist diese grundsätzlich spannende Frage aber in einen an vielen Stellen missglückten Film verpackt. Einige der Fehler von Martha & Tommy gehen dabei bereits auf das Drehbuch von Holger Karsten Schmidt (Nord bei Nordwest: Der Anschlag) zurück. Anstatt sich auf die zentralen Konflikte zu konzentrieren, wird ohne Ende noch ein bisschen mehr aufgeladen. Während die Vorgeschichte von Martha um ihre verstorbene Tochter zumindest als psychologisches Fundament noch vertretbar ist, sind Punkte wie Tommys illegale Kämpfe und die Rückkehr des Vaters einfach viel zu viel. Das Drama ist dermaßen überladen, dass ihm komplett die Natürlichkeit verlorengeht. Wer etwas über die Realität der Menschen aussagen möchte, der sollte sich schon auch in dieser aufhalten.
Immer wieder sind da Szenen dabei, die nicht glaubwürdig sind, völlig konstruiert und überzogen, zudem vollgestopft mit Klischees. Wobei es zum Teil nicht ganz eindeutig ist, ob es bei diesen Szenen nun an dem Drehbuch oder an der Umsetzung durch Regisseurin Petra K. Wagner (Frankfurt, Dezember 17) liegt. So oder so: Wenn beispielsweise Winnie irgendwann seinem Vater gegenübersteht, von dem er dachte, dass er tot ist, dann geschieht das mit einer geradezu surrealen Gleichgültigkeit. Auch an anderen Stellen von Martha & Tommy darf man als Zuschauer mindestens verwundert, wenn nicht gar irritiert sein, mit welchem Schulterzucken inhaltliche Entgleisungen und grauenvolle Dialoge akzeptiert werden.
Gut gemeint, mäßig umgesetzt
Lichtblick innerhalb dieser Misere ist der Auftritt von Jonathan Berlin (Die Freibadclique), dem es doch ganz gut gelingt, die immer in seiner Figur vor sich hin brodelnde Wut zu verdeutlichen, auch abseits der Exzesse. Gegen Ende reicht aber auch sein Talent nicht mehr aus, wenn das Drehbuch ihm einige sehr seltsame Sätze in den Mund legt. Zugutehalten muss man Martha & Tommy sicherlich, dass der Film zumindest versucht, sich von einem eindeutigen Schwarzweiß-Denken zu lösen und zum Ende hin sich auch keinem billigen Wohlfühlende ergibt. Doch die guten Absichten, welche hier verfolgt wurden, in allen Ehren: In der Form ist das nichts.
OT: „Martha & Tommy“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Petra K. Wagner
Drehbuch: Holger Karsten Schmidt
Musik: Helmut Zerlett
Kamera: Peter Polsak
Besetzung: Senta Berger, Jonathan Berlin, Emile Chérif, Peter Lohmeyer, Uwe Kockisch, Ivan Vrgoc
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